Donnerstag, 28. März 2024

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Faszination für Pi
Wie sich die Kreiszahl mit Würstchen berechnen lässt

Den einen treibt ihre bloße Erwähnung den Angstschweiß auf die Stirn, andere geraten in Verzückung. Pi sei Kult, sagte der Mathematiker Christian Hesse im Dlf: Die Kreiszahl spiele nicht nur in allen Teilgebieten der Mathematik eine wichtige Rolle, sondern auch in unserem Alltag.

Christian Hesse im Gespräch mit Ralf Krauter | 14.03.2019
Das Bild zeigt das Symbol für die Zahl Pi in einem Kreis. Darunter stehen die Worte: Magie einer Zahl
Pi ist eine irrationale Zahl - und vermutlich auch 'normal' (picture-alliance / dpa / Tagesspiegel / Mike Wolff)
Ralf Krauter: Herr Hesse: Hand aufs Herz. Eigentlich ist diese Form der Verehrung einer Zahl doch völlig irrational?
Christian Hesse: Klar, keine Frage, aber Pi ist eben einfach Kult. Es ist die berühmteste Zahl der ganzen Mathematik und wird seit 4000 Jahren von der Menschheit studiert. Wohl niemand hat mehr Leidenschaft und Energie da hineingesteckt wie der niederländische Mathematiker Ludolph van Ceulen, der im 16. Jahrhundert 30 seiner besten Mannesjahre darauf verwendete, 35 Nachkommastellen von Pi auszurechnen. Von Hand natürlich. Bei der Arbeit an der 36. Stelle starb er an Erschöpfung.
Tragisch an der Geschichte ist, dass sein Schüler Snellius später feststellte, dass der große Meister mit einem kleinen Trick dieselbe Genauigkeit auch mit der Hälfte des Aufwands hätte erreichen können.
"Für mehr als 100 Jahre hieß die Kreiszahl Pi Ludolphsche Zahl"
Krauter: Das ist natürlich wirklich ärgerlich…
Hesse: Ja, aber Ludolph van Ceulens unermüdlicher Einsatz hat sich trotzdem gelohnt. Seine Frau war so stolz auf ihn, dass sie die berechneten Ziffern auf seinem Grabstein eingravieren ließ. Und nicht nur das. Für mehr als 100 Jahre hieß die Kreiszahl Pi Ludolphsche Zahl.
"Wenn Pi normal wäre, würde es alles über Sie wissen"
Krauter: Mal angenommen, Pi wäre nicht nur eine irrationale Zahl, wie wir’s alle in der Schule gelernt haben, sondern auch eine 'normale‘ Zahl. Welche Folgen hätte das?
Hesse: Wenn Pi normal wäre, würde es alles über Sie wissen. Ihre Schuhgröße, Ihre Hausnummer, Blutdruck und Cholesterinspiel. Alle diese Zahlen kämen irgendwo in Pi vor. Ja, jede beliebige Ziffernfolge würde irgendwo in Pi auftauchen, egal welche Länge sie hat. Vielleicht muss man sehr lange warten bis sie kommt, aber früher oder später passiert das. Pi kennt natürlich auch Ihren Geburtstag. Und meinen. Als 8-stellige Zahl geschrieben taucht meiner ungefähr in der Gegend der 35 Millionsten Stelle nach dem Komma auf.
Krauter: Beeindruckend. Treiben wir diesen Gedanken noch weiter: Mal angenommen, man würde jeden Buchstaben des Alphabets durch eine zweistellige Zahl codieren. Wäre in Pis Ziffern dann auch jede erdenkliche Buchstabenkombination zu finden?
Hesse: Ganz genau. Und damit früher oder später auch irgendwo zusammenhängend die Bibel, das Kamasutra und der gesamte Text dieses Gespräches, das wir hier gerade führen - ohne dass wir schon wissen, wie es weitergeht.
Krauter: Das erinnert an die Metapher vom Affen, der wahllos auf einer Schreibmaschine herumklimpert und irgendwann durch Zufall auch alle Werke von Shakespeare getippt hat.
Hesse: Ja, das ist das ‚Infinite-Monkey‘-Theorem aus der Mathematik von Zufallsfolgen. Meine räumliche Version gefällt Ihnen vielleicht auch: Wenn ein Schütze unendlich lange wahllos auf unendlich viele Scheunentore ballert, dann finden sich irgendwann, irgendwo alle Werke von Karl May in der Blinden-Schrift Braille. Mein kleines Theorem vom unendlichen Schützenfest.
"Pi tritt in jedem Teilgebiet der Mathematik auf"
Krauter: Faszinierend, aber letztlich reine Zahlentheorie. Wie sieht’s mit der praktischen Relevanz von Pi aus? Dass man die Kreiszahl braucht, um Umfang und Fläche von Kreisen zu berechnen, ist klar. Aber wo sonst ist Pi relevant?
Hesse: Pi tritt merkwürdigerweise in jedem Teilgebiet der Mathematik auf, oft an überraschender Stelle. Auch da, wo Kreise gar nicht in Sicht sind.
Fängt man zum Beispiel eine Zahlenfolge mit der 1 an und zieht ein Drittel ab, addiert ein Fünftel, zieht ein Siebtel ab usw. mit allen ungeraden Zahlen, so macht man genau das, was der Inder Madhava schon um 1400 n. Chr. machte. Und er machte sogar noch mehr. Er bewies, dass er damit der Zahl Pi geteilt durch 4 immer näherkam. "Gott liebt die ungeraden Zahlen", sagte Leibniz später angesichts dieser Summe aus nur ungeraden Zahlen.
Folgt man seiner Logik, muss Gott wohl auch Würstchen mögen, denn die haben eine noch interessantere Beziehung zu Pi.
"Mit Würstelwerfen lässt sich Pi also auch berechnen"
Krauter: Warum denn das? Das müssen Sie erklären.
Hesse: Im 18. Jahrhundert berechnete der Graf de Buffon die Kreiszahl, indem er längliche Objekte wie Baguettes oder Würstchen willkürlich auf seinen gekachelten Küchenboden warf und ermittelte, welcher Anteil von Würstchen über einer Fuge zwischen zwei Kacheln lag. Das Faszinierende ist: Dieser Anteil hat etwas mit Pi zu tun. Und man kann damit Pi ausrechnen, so genau wie man will. Mit Würstelwerfen lässt sich Pi also auch berechnen.
"Softwareentwickler benutzen Pi oft für eine im wahrsten Sinne Pi-mal-Daumen-Regel"
Krauter: Aber sicher nicht bis zur 35 Millionsten Nachkommastelle, wo Ihr Geburtsdatum auftaucht. Da wären vorher wohl die Würstchen alle. Heute würde man das doch eher mit Computern machen, oder?
Hesse: Klar. Und weil der Rechenaufwand nicht unerheblich ist, nutzt man das auch als Härtetest für Computer. Wenn ein Computer instruiert wird, die Zahl Pi auf einige Billionen Stellen zu berechnen, ist der so gefordert, dass man sein Stehvermögen unter extremen Anforderungen testen kann. Also, ob dessen Prozessoren richtig arbeiten oder dessen Schaltungen heiß laufen.
Eine weitere spannende Anwendung von Pi gibt es in der Informationstechnologie: Weil die Ziffernfolge von Pi völlig unregelmäßig ist, kann man irgendein Teilstück weit draußen benutzen, um Botschaften zu verschlüsseln. Und Softwareentwickler benutzen Pi oft für eine im wahrsten Sinne Pi-mal-Daumen-Regel, um Laufzeiten ihrer Programme abzuschätzen: 1 Nanojahrhundert sind nämlich Pi Sekunden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.