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"Faszinierend kristallklar"

Mit seinem neuen Konzerthaus "Musiikkitalo" hat Helsinki nach Ansicht des Architekturkritikers Nikolaus Bernau einen gelungenen Nachfolger für die alte Finlandia-Halle bekommen. Bernau lobt vor allem die von Yasuhisa Toyota gestaltete Akustik, die "eine unglaubliche Durchsichtigkeit des Klangs" erlaube.

Der Architekturkritiker Nikolaus Bernau im Gespräch | 31.08.2011
    Michael Köhler: Opernhäuser sind ja Wahrzeichen von Städten weltweit, Mailand, München, Sydney, Kopenhagen, zumal wenn es dann auch noch Städte sind, die am Wasser sind. Helsinki hat ein Opernhaus 1993 bekommen, doch nicht genug: Heute Abend wird das neue Konzerthaus eröffnet. - Nikolaus Bernau, der Bau tritt nach jahrelangen Diskussionen um den Standort an die Stelle des alten Konzerthauses vom finnischen Stararchitekten Alvar Aalto, der ja auch Essens Oper gebaut hat. Die 40 Jahre alte Finlandia-Halle ist ein Wahrzeichen, klingt aber nicht gut. Klingt die neue besser?

    Nikolaus Bernau: Ja, viel, viel besser! Die neue Halle ist von einem Japaner entwickelt worden, von der Akustik her, und ist ganz faszinierend kristallklar. Das ist vor allem natürlich im Unterschied zur Finlandia-Halle sehr auffällig, die so eine etwas dumpfe Akustik hatte. Yasuhisa Toyota hat jetzt einen Saal entwickelt, der sehr, sehr ähnlich wie die Berliner Philharmonie aufgebaut ist, mit dem Architekten Marko Kivistö zusammen, also als großer Zentralraum, bei dem die Musiker in der Mitte sitzen und das Publikum in so aufsteigenden Terrassen angeordnet ist und in dem die Akustik wie bei einer CD fast ist. Also man hat eine unglaubliche Durchsichtigkeit des Klangs. Das ist sehr, sehr gut natürlich bei allen Sachen, die etwas zu tun haben mit Bläsern, und bei sehr kleinen Gruppen ist es ganz hervorragend. Ich habe gestern eine kleine Jazzgruppe schon gehört; das war faszinierend, wie sauber jeder Klang selbst bei einer so kleinen Gruppe in dem dann doch 1700 Sitzplätze zählenden Saal zu hören war. Und es ist etwas schwieriger für Streichensemble, etwas schwieriger für tiefe Töne, die müssen sich kräftiger reinlegen. Aber gerade daran ist man gewöhnt aus der Finlandia-Halle, das musste man dort nämlich auch.

    Köhler: Herr Bernau, beschreiben Sie uns ein bisschen die Architektursprache. Die alte Finlandia-Halle war funktionelle Architektur, weißer Carrara-Marmor, hätte auch ein Messezentrum oder was Ähnliches sein können. Der Neubau hat jetzt eine markante Glasfassade, liegt im Museumsviertel der finnischen Hauptstadt, Sie haben es schon gesagt: für 1700 Besucher geeignet. Weitere Säle sind da, Proberäume für Orchester, eine Musikhochschule kann da rein. Wie sieht das von außen aus?

    Bernau: Das Interessante ist: Es hat zwei Ansichten. Das eine ist zum Parlament hin und zum Nationalmuseum und zur wichtigsten Straße Finnlands. Anders kann man die Mannerheimintie gar nicht bezeichnen. Dorthin ist der Bau nämlich ziemlich geschlossen mit einer grün-grauen Granitfassade. Grün ist in Finnland so ein bisschen die Nationalfarbe wegen des Kupferabbaus, der seit dem 17. Jahrhundert hier betrieben wird. Töölö-Bucht hin, also zu der Bucht, zu der auch die Finlandia-Halle hin organisiert ist, ist diese riesige Glasfassade, und dadurch wirkt der ganze Bau so ein bisschen eingepasst in die sehr, sehr komplexe Umgebung, die eben von ganz unterschiedlichen Architekturen geprägt ist. Und Marko Kivistö hat das gerade auf der Pressekonferenz, die vor wenigen Minuten zu Ende gegangen ist, auch gesagt: Wir haben versucht, einen Bau zu entwickeln, der nicht auffällt, der sich zurückhält und den anderen den Vortritt lässt. Das sind nämlich sehr starke Architekturen in der Umgebung, und er selber hält sich tatsächlich sehr zurück, mit Ausnahme eben dieser großartigen Glasfassade, die vor allem natürlich abends sehr wirksam wird, wenn nämlich dahinter die Foyers aufstrahlen und man - ja, das ist mit einer der größten, wenn man so will, Gags dieser Architektur - bis in den Konzertsaal hineinsehen kann, weil der nämlich auch Fenster hat.

    Köhler: Ist es übertrieben zu sagen, es ist sozusagen das Gegenteil dessen, was Alvar Aalto vor 40 Jahren gemacht hat, nämlich eine uneinsehbare schwere massive Marmorarchitektur, und jetzt, was Sie beschrieben haben, klingt ziemlich transparent und durchsichtig nach dem Gegenteil?

    Bernau: Es ist so ziemlich in jedem das Gegenteil von Aalto. Man muss dazu sagen, in Finnland gibt es durchaus zwar eine geradezu kultische Verehrung einerseits von Aalto, aber gerade auch in Architektenkreisen durchaus heftige Kritik an ihm, weil er nämlich eine so introvertierte Architektur gemacht hat und weil er natürlich auch ästhetisch die Architektur hier sehr dominiert hat über viele Jahrzehnte.

    Das zweite ist: Man achtet viel, viel stärker als zu Aaltos Zeiten auf Ökonomie und auf Funktionalität bis hin zu fantastischen Kleinigkeiten. Es gibt zum Beispiel einen kleinen Saal, in dem sind gleich drei Orgeln eingebaut, nämlich ein reiner Orgelsaal für eben die weltberühmte Sibelius-Akademie - eine niederländische, eine englische, eine deutsche Orgel, alles Barockorgeln, die englische ist eine romantische Orgel -, in dem eine Akustik entwickelt wurde, die wie die einer Kathedrale klingt. Das ist etwas absurd. Man kommt in diesen winzigen Raum rein und hat akustisch das Gefühl, man steht in einer riesigen Halle drin. Aber für die Studenten ist das natürlich ganz wichtig.

    Oder es gibt eben einen Saal, in dem man ordentlich Oper proben kann und aufführen kann. Alles dieses ist eben für die Funktionalität des Gebäudes so wichtig, und das ist dafür da, dass es ein wirklich vollkommen öffentlicher Bau ist. Das unterscheidet ihn von praktisch allen anderen Konzertsälen, die ich kenne.

    Köhler: Und dass es drei Saunen hat, unterscheidet es auch von anderen Konzerthäusern. So eine Sauna ist in Finnland nämlich pyhä, heilig, und gehört zum Kulturerbe, wie der Tango. Nikolaus Bernau berichtete.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.