Donnerstag, 28. März 2024

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Fata Morganas
Im Watt liegen Fantasie und Wirklichkeit eng beieinander

Manchmal scheint die Welt an der Nordsee förmlich Kopf zu stehen. An besonders windstillen Tagen kann man dort spektakuläre Phänomene erleben, die man sonst nur aus der Wüste kennt: Fata Morganas. Was genau verbirgt sich hinter diesen Luftspiegelungen, die Strandspaziergängern die verrücktesten Dinge vortäuschen?

Von Thomas Samboll | 30.09.2018
    Hallig Langeneß im Abendlicht
    Im Wattenmeer können unter Umständen Fata Morganas entstehen (picture alliance/dpa - imageBROKER)
    Es war ein lauer Spätsommerabend bei Westerhever, ganz in der Nähe des Bilderbuch-Leuchtturms mit den rot-weißen Streifen, der das ganze Jahr über zahlreiche Besucher anlockt. Rainer Schulz blickte über die grünen Salzwiesen hinaus auf die Nordsee. Die Sonne ging gerade unter. Aber dort am Horizont war noch etwas anderes zu sehen. Der Leiter der Schutzstation Wattenmeer in Westerhever rieb sich verwundert die Augen. Was er sah, war ein dicker, dunkler Balken, der in weiter Ferne auf dem Wasser zu liegen schien:
    "Und da drüber aufblitzend alle fünf Sekunden das Licht des Helgoländer Leuchtturms!"
    Und das machte den Biologen stutzig! Denn die Hochseeinsel Helgoland liegt eigentlich so weit draußen in der Nordsee, dass man sie von Westerhever aus unmöglich sehen kann. Aber an diesem Abend war alles anders:
    "Eine Stunde später etwa waren dann die Lichter von Helgoland sehr schön zu sehen. Da lag Helgoland quasi wie so ein Lichtermeer auf dem Horizont. Oben halt der Leuchtturm und links daneben die Positionslichter des Fernsehturms. Und da drunter die ganze Bebauung von Helgoland mit vielen Lichtern und die Hafenbeleuchtung und so weiter, einige Schiffe. Und jedes Licht wurde doppelt oder dreifach übereinander gespiegelt angezeigt. So dass man dann eben dort ein sehr buntes Bild erhalten hat."
    Das bunte Bild war eine klassische Fata Morgana, eine Luftspiegelung. Ein Phänomen, bei dem man an die Wüste denkt, aber nicht an die Nordsee und das Wattenmeer. Und doch sind Fata Morganas hier gar nicht so selten.
    Schwebende Häuser über der Nachbar-Hallig
    Auch Salina Erichsen hat solche Luftspiegelungen schon oft gesehen. Die 19-Jährige stammt von der winzigen Hallig Südfall und kutschiert fast täglich Touristen mit dem Pferdewagen durch das Watt. An einem heißen Sommertag blickte sie hinüber nach Süderoog. Doch statt der Nachbar-Hallig sah sie ein paar seltsame Dinge in der hitzeflirrenden Luft:
    "Und da guckte ich da rüber und dachte: Was ist das denn? Also was ist das, weil da schwebte irgendwas! Man meinte, da schwebte was. Und ich dacht' immer: Hä? Was schwebt'n da so komisch? Häuser, also richtig Häuser so."
    Salina Erichsen hat aber nicht nur Häuser schweben sein, sondern auch schon ganze Halligen: "Das ist auch ganz interessant. Durch das Wasser meint man, die sind gar nicht irgendwie am Boden, die Halligen, sondern die schweben in der Luft. Und das ist dann auch so eine Spiegelung vom Wasser richtig."
    Fata Morganas lassen sich einfach erklären
    Halligen, die schweben oder auch mal auf dem Kopf zu stehen scheinen, ferne Inseln, die plötzlich am Horizont auftauchen, Seehunde, die man nicht von Schiffen unterscheiden kann oder von den Dünen von Amrum – all das kann im Watt, zumal in der Abenddämmerung, ziemlich gespenstisch und unheimlich wirken. Dabei gibt's für solche Phänomene eigentlich eine ganz einfache Erklärung, so Rainer Schulz von der Schutzstation Wattenmeer:
    "Es geht eigentlich immer darum, dass unterschiedlich dichte Medien übereinanderliegen. Luftschichten, die unterschiedlich warm sind, sind unterschiedlich dicht. Und an den Grenzflächen, wo dann eben dichtere und dünnere Luft ganz nah aufeinanderliegen, da kann dann Reflektion, Spiegelung auftreten. Und dann kann es sein, dass zum Beispiel eine Hallig plötzlich kopfüber über dem Horizont hängt, weil in zwei Metern Höhe über dem Watt zum Beispiel so eine Grenzfläche auftritt."

    Die andere Möglichkeit: Die Lichtstrahlen werden beim Wechsel von der warmen in die kalte Luft gebrochen. Oder besser: Umgelenkt, weil sie dann nämlich eine Art Kurve beschreiben. So kann man dann plötzlich auch Objekte unter dem Horizont sehen wie Helgoland, oder Dinge in der Nähe scheinen plötzlich zu schweben, so wie die Halligen. Wirklich unheimlich ist das nicht. Wattenkutscherin Salina Erichsen wird trotzdem immer ein bisschen mulmig, wenn sie die Halligen schweben sieht:
    "Also das ist meistens ein Anzeichen für schlechtes Wetter! Das ist so eine alte Sage, was man denn von älteren Menschen denn immer hört: Oh, wenn das schwebt, dann gibt's schlechtes Wetter! Für uns Hallig-Leute ist das so'n gängiger Spruch, den man dann sagt. Und stimmt sogar manchmal, also stimmt doch oft."
    Viele bunte Häuser auf dem Unterland von Helgoland mit grauen Dächern und der Nordsee am Horizont
    Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit: Helgoland von Westerhever aus zu sehen. (picture alliance / Michael Narten)
    Landratten werden gerne hinters Licht geführt
    Manchmal spiegele sich sogar das sagenhafte Rungholt in der Luft, sagen die Hallig-Leute auch. Die stolze Stadt, die von einer gewaltigen Sturmflut zerstört wurde. Funde im Watt wie zum Beispiel Tonscherben oder Brunnenreste deuten darauf hin, dass Rungholt mehr war als nur eine Fata Morgana, wie sie Salina Erichsen heute manchmal sieht:

    "An guten Tagen meint man, man sieht den Deich von Rungholt von damals. Also da ist dann so eine Erhöhung, wo man denkt: Ach, da könnte was gewesen sein. Aber man sieht keine Häuser oder sowas, sieht man dann leider nicht mehr."
    An manchen windstillen Tagen liegen Fantasie und Wirklichkeit im Watt also offenbar eng zusammen. Gutgläubige Landratten lassen sich dann auch schon mal leicht hinter's Licht führen. Rainer Schulz von der Schutzstation Wattenmeer hat es ausprobiert:
    "Wir bieten manchmal von St. Peter aus die Wattwanderung nach Helgoland an. Aber das gibt's dann immer nur am 1. April! Und dann gehen wir auch nicht wirklich ganz in Richtung Helgoland, sondern klären das Ganze dann halt auf. Und dann wird das nur eine normale, kurze Wattwanderung."