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Fatale Fehlbesiedelung

Mikrobiologie. - Bakterien sind ständige Begleiter des Menschen. Besonders eng ist die Beziehung im Darm: Die Bakterien helfen uns bei der Verdauung – und sie trainieren unsere körpereigene Abwehr - wenn es sich denn um die richtigen Mikroben handelt. US-amerikanische Forscher berichten heute im Fachblatt "Science Translational Medicine": Die Darmflora kann auch ungünstige Auswirkungen haben auf den Verlauf von Krankheiten, die nicht den Darm betreffen. So machen sie eine Fehlbesiedelung des Darms mit dafür verantwortlich, dass eine HIV-Infektion oft voranschreitet.

Von Martin Winkelheide | 11.07.2013
    Jeder Mensch besitzt eine einzigartige Darmflora. Und es gibt typische Unterschiede – etwa zwischen dicken und dünnen Menschen, jungen und alten. Bei bestimmten Krankheiten – etwa bei chronischen Darmentzündungen – lässt sich oft eine Fehlbesiedelung des Darms feststellen. Welche Folgen die hat, konnten Forscher bislang nur sehr allgemein beschreiben, sagt Brett Finlay von der University of British Columbia im kanadischen Vancouver.

    "Die Mikroben im Darm stellen die unterschiedlichsten Moleküle her. Wenn Sie eine Blutprobe untersuchen, dann finden Sie all diese Stoffwechselprodukte. Sie reisen durch den Körper, und einige von ihnen erreichen sogar das Gehirn. Die Wirkung der Stoffe ist noch weitgehend unbekannt. Klar aber ist: Diese vielfältigen Stoffe beeinflussen den ganzen Körper."

    Forscher der Universität von Kalifornien in San Francisco haben jetzt einen überraschenden Fund gemacht: Stoffwechselprodukte von Darmbakterien wirken sich ungünstig auf den Verlauf einer HIV-Infektion aus – einer Krankheit also, die sich eigentlich fernab des Darms abspielt. Bei dem Vergleich von Gewebeproben von gesunden und HIV-positiven Menschen stellten Susan Lynch und ihre Kollegen fest: Auf der Darmschleimhaut von HIV-Patienten leben zahlreiche Bakterien, die dort normalerweise nicht hingehören.

    "Wir fanden bei HIV-Patienten viele Bakterien aus der Gruppe der Proteobakterien, darunter viele krank machende Bakterien: Salmonellen, bestimmte E. coli- und Pseudomonas-Arten. Außerdem fanden wir häufig Staphylokokken. Gleichzeitig waren einige Bakterien, die zu einer gesunden Darmflora gehören, unterrepräsentiert. Vor allem Bacteroides-Bakterien. Wir wissen: Menschen, die zu wenige von diesen Bakterien besitzen, leiden häufig an chronischen Entzündungen beispielsweise des Darms."

    Wie es zu der Fehlbesiedelung im Darm kommt, ist noch unklar. Zu Beginn einer HIV-Infektion vermehrt sich das Virus auch im lymphatischen Gewebe des Darms. Möglicherweise verliert die Darmwand dadurch einen Teil ihrer Barrierefunktion. Denkbar ist aber auch, dass das von HIV geschwächte Immunsystem ungünstige Bakterien im Darm schlechter in Schach halten kann. Welche Folgen aber die Fehlbesiedelung hat, das kann Susan Lynch bereits sehr genau beschreiben.

    "Es passiert sehr viel im Darm. Die ungünstigen Bakterien schädigen die Darmwand, sie wird dann noch durchlässiger. Hinzu kommt: Einige dieser Bakterien können die Aminosäure Tryptophan abbauen. Und wir wissen, dass große Mengen von dem Abbauprodukt mit Namen Kynurenin dafür sorgen, dass die körpereigene Abwehr angekurbelt wird."

    Die Bakterien schütten nicht allein Kynurenin sondern noch eine Vielzahl weiterer entzündungsfördernder Stoffe aus, hat Susan Lynch festgestellt. Diese Stoffe gelangen über die Blutbahn in den ganzen Körper. Sie glaubt, diese latente Entzündung ist es, die dafür sorgt, dass eine HIV-Infektion trotz aller Anti-Virus-Medikamente langsam voranschreitet und nach vielen Jahren dann doch nicht mehr kontrollierbar ist.

    "Vielleicht lässt sich dieser Teufelskreis durchbrechen, der durch diesen ständigen Entzündungs-Impuls entsteht, wenn wir wieder eine normale Besiedelung des Darms herstellen. Wahrscheinlich würden HIV-Patienten dann länger und besser leben. Wir könnten so vielleicht auch verhindern, dass ihre Gefäße zehn, 15 Jahre früher verkalken als bei Gesunden."

    Und so Herzinfarkt und Schlaganfall vorbeugen, einem häufigen Problem - auch bei HIV-Infizierten. Wie sich die Bakterien-Lebensgemeinschaft im Darm günstig verändern lässt, ist noch offen. Möglich wäre, zu versuchen, den Darm vollkommen neu zu besiedeln – mit einer Stuhl-Transplantation von einem gesunden Spender. Menschen mit einer Darminfektion mit gefährlichen Clostridium difficile-Bakterien sind bereits mit diesem Verfahren behandelt worden, sagt Tobias Goeser von der Universitätsklinik Köln.

    "Der Einsatz war hoch erfolgreich. Fast alle wenn nicht sogar alle Patienten, die diese Therapie bekommen haben, waren nachher frei von Clostridium."

    Ob sich aber auch Störungen der Darmflora bei HIV-Infizierten so beheben lassen, kann heute noch niemand sagen.