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Faust auf Dope

Als Hasko Weber vor acht Jahren zu Beginn seiner Intendanz in Stuttgart Goethes "Faust" auf die Bühne brachte, ging das gründlich schief. Seine erste Spielzeit als Intendant des Deutschen Nationaltheaters in Weimar eröffnet Weber nun mit einem packenden und munteren "Faust I".

Von Hartmut Krug | 07.09.2013
    Dem Erwartungsdruck bei einem Faust in Weimar hält Hasko Weber mit schöner Inszenierungslockerheit und einer überzeugenden dramaturgischen Konzeption erstaunlich souverän stand. In seinem "Faust" liegt die Betonung stark auf ausgestellter, komödiantischer Theatralik. Im Vorspiel auf dem Theater erleben wir eine rauchende Direktorin im Frack, einen Dichter, der die Verse mit altertümlich hohem Pathos knödelt, sich dann die Kleider vom Körper reißt und, im goldenen Höschen gelenkig turnend, posiert, eine Schauspielerin als lustige Person, die ihre Markierungen und Absprachen auf der Bühne schwer findet, einen Musiker, der zu spät auf die Bühne stolpert, und eine Abonnentin, die aus dem Publikum auf die Bühne klettert. Der Prolog im Himmel ist dann, ganz ohne Engel, auf die Wett-Vereinbarung reduziert.

    Und dann liegt der schmächtige Lutz Salzmann, der gerade noch Gott gespielt hat, als Faust wie ein Nerd mit Pferdeschwanz auf metallener Spielfläche im hölzernen Bühnenkasten. Er hustet und spuckt seine Verse und Bilder auf den Boden, nachdem er sich Drogen eingeworfen hat. Dabei fragt er sich, bin ich ein Gott? Aber nichts "vom Himmel durch die Welt zur Hölle". Er erlebt die Welt, wie sie sich ein Suchender in Gedanken erredet und bejammert beim Pakt mit Mephisto sein Leben:

    "Was kann die Welt mir wohl gewähren? Entbehren sollst du! sollst entbehren! Das ist der ewige Gesang, der jeden an die Ohren klingt, den, unser ganzes Leben lang, uns heiser jede Stunde singt. Nur mit Entsetzen wach ich morgens auf, ich möchte bittre Tränen weinen, den Tag zu sehen, der mir in seinem Lauf, nicht einen Wunsch erfüllen wird, nicht einen."

    Und dann sprudelt Faust seine Sätze wie besoffen von Redeerkenntnissen nur so heraus, während ihm Mephisto den Arm abbindet und das Blut in die Höhe und die Kanüle spritzt. Grandios, wie Salzmann die zu Sprichwörtern und Zitaten geronnenen Sätze herunterrattert und sie dabei lebendig und schön klingen lässt. Dieser Faust braucht nur den Lärm von einer Handvoll Leute im Hintergrund, um beim Osterspaziergang eine lange Fantasiebeschreibung zu entwickeln. Er sieht und erkennt nicht, er erdenkt sich die Welt und sucht weniger nach Wahrheiten als nach Wahrnehmungen und Erlebnissen. Sein Famulus ist ein cooler amerikanischer Dealer. Was Faust erkennt, was ihm erscheint, sind im Drogenrausch selbst geschaffene Phantome. Wie Mephisto, den der hochgewachsene, kräftige Sebastian Kowski, der die übrigen Schauspieler als Spielgruppe nutzt, mit denen er Faust vorspielt. Mephisto ist hier deutlich der Meister:

    "Hör auf, mit deinem Gram zu spielen, der, wie ein Geier, dir am Leben frisst; die schlechteste Gesellschaft lässt dich fühlen, dass du ein Mensch mit Menschen bist."

    Krunoslav Sebrek als Valentin und Nora Quest als Gretchen (Bild: pa / dpa / Candy Welz)


    Wenn Mephisto aus der Stube wieder heraus will, befreit er sich mit Karel Gotts "Einmal um die ganze Welt, und die Taschen voller Geld", mit dem er Faust in seinen Träumen einlullt. Wirklich heraus aus seiner Stube aber kommt Faust nicht. Weber reduziert Szenen teilweise geschickt und witzig auf ihr Anspielungs- oder Bedeutungspotenzial, wie bei Auerbachs Keller. Und die Walpurgisnacht ist, nun ja, eine Videoprojektion von einer wilden Disco-Nacht (ohne Hochzeit von Oberon und Titania). Während beim Vierertreffen im Garten mit Marthe und Mephisto, die sich mit urkomischer Direktheit in wild-ironische Kopulationen stürzen, ein Kontrastprogramm zum drängenden Faust und einer schier hinschmelzenden Margarethe gezeigt wird.

    Nach der Pause werden die Margarete-Szenen in einem altmodischen Kulissentheater gespielt, über dem "Wie weh wie weh wie wehe" steht. Während Margarete und Faust im leeren Raum heftig aufeinander zu rennen, ruft Mephisto, wie ein Regisseur vor der Bühne sitzend, für jede Szene ein neues erotisches Hintergrundbild herab. Mit, bei den Knien beginnend, immer weiter sich den Körper hinaufbewegenden Ausschnitten einer nackten Frau. Schließlich erkennt man den Tod und das Mädchen.

    Darunter braucht es nicht mehr als ein Kissen auf nackter Bühne, um Margaretes Zimmer zu zeigen, oder völlige Leere vor schwarzer Rückwand, um einen auf dem Boden liegenden Faust fantasierend in Wald und Höhle vorzustellen. Dabei wirkt dieser wie schier besoffen von sich selber und seinen Sinnspruch-Sucharien. Während die schwangere Margarete ihr "Neige du Schmerzensreiche" ganz ohne Mater dolorosa aufsagt und dabei unentwegt vom Stuhl springt. Solche einfachen, ja, durchaus plakativen, aber überzeugenden Bilder prägen Hasko Webers Inszenierung immer wieder. Auch wenn der Schluss, mit den Valentin-Szenen, etwas zu glatt abgespielt wirkt, ist dies doch eine packende und muntere Faust-Version. Mit einem souveränen, energischen, auch ein wenig ordinären Mephisto und einem Faust, der uns als windiger Phrasendrescher nicht unbedingt sympathisch wird. In der Schlussszene wirkt er an der Rettung Margaretes kaum innerlich beteiligt, und das letzte Wort hat nach "Gerichtet" und "Gerettet" Mephisto mit seinem herrischen Befehl an Faust "Her zu mir." Dieser Faust in Weimar ist eine Lust und keine nur kulturvolle Pflichtveranstaltung.