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Faustrecht im Fanblock

Die Ultra-Kultur in deutschen Fußballstadien hat ihre ersten Generationenwechsel hinter sich. Gruppen derselben Vereine streiten um Modernisierung - und um das politische Selbstverständnis. Dabei werden Ultras, die sich gegen Diskriminierung positionieren, zunehmend von Hooligans und Neonazis bedroht.

Von Ronny Blaschke | 02.11.2013
    Ulla Hoppen ist Fan von 1860 München. Vor mehr fast zwanzig Jahren schloss sie sich mit Freunden zusammen: Die Löwenfans gegen Rechts klebten Plakate, verteilten Handzettel, organisierten Informationsabende. Ihr Ziel: eine Kurve ohne Diskriminierung, in der sich auch Minderheiten wohl fühlen. Für Ulla Hoppen ein gesellschaftlicher Mindeststandard.

    "Am Anfang ist das Image natürlich der Buhmann der Kurve: Das hat ja mit Fußball nichts zu tun. Linke Zecken! Und wir wurden natürlich alle angefeindet. Wir wurden als Begründung hergenommen von den Ordnungskräften und Sicherheitsdiensten, Polizei, durch das Zeigen der Löwenfans-gegen-Rechts-Fahne die Rechten erst anzulocken. Dabei haben wir uns da hingestellt, weil es die Rechten genau da in dem Block gab."

    Die Löwenfans gegen Rechts sind inzwischen etabliert. Eine Ausnahme. Vor kurzem griffen 30 Schläger die Kohorte an, eine antirassistische Ultra-Gruppe des MSV Duisburg. Auch die Angreifer waren Fans des MSV: Sie wünschen sich einen "Fußball ohne Politik". Die Attacke ist ein weiteres Kapitel eines vereinsübergreifenden Konflikts, sagt der Sozialwissenschaftler Gerd Dembowski von der Universität Hannover. Der Konflikt, so der Fanforscher, eskaliert oft außerhalb der Stadien, fernab von Kameras und Polizei.

    "Es sind über zehn Stadien, in denen es Ausdifferenzierungsprozesse gibt, wo Leute sagen: wir wollen diesen unpolitischen Konsens nicht mehr mittragen, wir wollen offensiv was machen gegen Homophobie, gegen alle Formen von Diskriminierung. Und die Sicherheitsdebatte, die nun dazu geführt hat, dass sich vor allem auf Sicherheit fokussiert wurde, wo Dialoge verloren gingen nach dem Empfinden der Ultras heraus, das macht die Hardliner wieder stärker. Nicht nur die Hardliner im Bereich Gewalt, die auch im politischen Bereich die einfachen Lösungen bringen, und die stehen nun mal eher rechts."

    Der politische Konflikt fällt in eine Zeit, in der Pyrotechnik an der Spitze der Agenda steht und andere Themen überdeckt werden. Im neuen Sicherheitskonzept der Deutschen Fußball-Liga wurden Maßnahmen gegen Rechts nur am Rande erwähnt. Diese Verengung kommt einer Subkultur zu Gute, die sich schon zurückgezogen hatte: An mehreren Standorten beanspruchen die Hooligans wieder ihren Platz: die "Rotfront" in Kaiserslautern, die "Borussenfront" in Dortmund, die "Standarte" in Bremen. Nicht alle ihrer Mitglieder haben ein rechtsextremes Weltbild, doch ihre Einstellungen können antidemokratisches Bewusstsein fördern. Durch Männlichkeitskult, Überlegenheitsdenken, Chauvinismus. Der Politikwissenschaftler Jonas Gabler ist Experte für die Ultra-Kultur.

    "Und das muss man realistisch einschätzen, dass in der Fußballfankultur die physische Seite immer noch eine große Rolle spielt. Dass die Hooligans am Ende der Nahrungskette stehen. Dass am Ende die, die Gewalt ausüben, sehr viel bestimmen können in den Kurven. Es gibt viele Ultraszenen, die sagen, wir würden uns gerne deutlicher positionieren gegen Rassismus, gegen Diskriminierung. Aber wir können das nicht, denn wenn wir das machen würden, dann würden am nächsten Tag bei uns die Hools - die Alten, wie sie immer sagen - auf der Matte stehen und uns weg hauen."

    In Aachen wurden junge Ultras, die Veranstaltungen gegen Diskriminierung organisiert haben, so lange von Neonazis bedroht, bis sie sich aus dem Stadion zurückzogen. In Braunschweig hat eine Gruppe Verstrickungen zwischen der Fanszene und Neonazis in einer Broschüre nachgewiesen. Die Gruppe wurde von Nazis angegriffen. Wenige Tage später wurden nicht die Täter, sondern die Opfer von Eintracht Braunschweig aus dem Stadion verbannt. Weil sie sich nicht an technische Absprachen gehalten hätten. In vielen Städten waren zivilcouragierte Ultras Anfeindungen ausgesetzt, meist junge Männer und Studenten zwischen 16 und Anfang zwanzig: in Essen, Leipzig oder Dresden, in Rostock, Dortmund oder Bremen. Sie wurden als Linksextreme dämonisiert, die ähnlich gefährlich seien wie Hitler-Verehrer oder Rocker aus dem Rotlichtmilieu. Jonas Gabler:

    "Wir haben es hier nicht mit Linksextremismus und Rechtsextremismus zu tun. Sondern wir haben es hier mit einer Gruppe zu tun, deren erstes Anliegen es ist, im Stadion die EU-Antidiskriminierungsnorm durchzusetzen. Die wollen die Nazis nicht in Gulags stecken. Das sind einfach junge engagierte Menschen, die sich gegen Rassismus, gegen Diskriminierung engagieren, und die diesen gesellschaftlichen Anspruch auch aufs Stadion übertragen. Und da kann ich nicht als Verein, oder als Polizei, oder als Stadt hingehen und die als Linksextremisten abstempeln. Weil ich dadurch das Koordinatensystem unzulässig verschiebe."

    Nach dem Angriff auf die Duisburger Gruppe Kohorte äußerte der MSV die Vermutung, dass eine politische Motivation vorrangig nicht vorliege. Eine gängige Relativierung, die auch dazu führt, dass die unbeteiligte und unwissende Mehrheit des Stadionpublikums nicht unterscheiden kann zwischen Tätern und Opfern. So halten tausende Zuschauer den Konflikt für Scharmützel zwischen Halbstarken. Und nicht für das, was es ist: ein rechts motivierter Vorstoß im öffentlichen Raum. Vor einem Jahr wollten Fans in ganz Deutschland angesichts der Debatte um Pyrotechnik ein breites Protestbündnis schmieden. So durften auch Gruppen mitmischen, deren Ausdifferenzierung ins rechte Spektrum neigt, zum Beispiel die Karlsbande aus Aachen. Wie kann sich dieses Klima auf Ultra-Gruppen auswirken, die sich für das Gemeinwohl einsetzen? Der Fanforscher Gerd Dembowski.

    "Dann hat man keine Zeit mehr, um diesen kleinen Kampf gegen Diskriminierung im Alltag durchzusetzen, weil das große Thema ein anderes ist. Denn wenn so eine Gruppe wie die Karlsbande aus Aachen mit am Tisch sitzt, und noch einige andere, dann finde ich das schwierig. Dann kommen Neonazis wieder auf dieses politische Trittbrett, dass sie sagen können: Ok, wir engagieren uns ja gesellschaftlich und wir sind hier in Nadelstreifen unterwegs. Aber das ist natürlich ein Zeichen für die Gruppen, dass sie nicht mehr so marginalisiert sind und dass sie sich wieder stärker äußern können - eben auch auf der ganz alltäglichen politischen Bühne."

    Die meisten Vereine bestreiten einen politischen Hintergrund ihrer Fankonflikte. Diese Verharmlosung könnte andere Kräfte anziehen: Im Februar wandte sich die NPD in Thüringen mit einem Schreiben an die Fanklubs von Carl Zeiss Jena und Rot-Weiß Erfurt. Der Titel des Papiers: "Sport frei! Politik raus aus dem Stadion". Ulla Hoppen von den Münchner Löwenfans gegen Rechts kennt diese Instrumentalisierungsversuche. Gruppen wie Baff, das Bündnis aktiver Fußballfans, oder Pro Fans solidarisieren sich mit den attackierten Ultras in Duisburg oder Aachen. Aber wie steht es um die Verantwortung der Verbände?

    "Ich finde es ja ganz fürchterlich, dass der DFB da nicht mehr macht und die DFL. Jetzt muss ein Zeichen kommen. Ich habe das Gefühl, die stehen wirklich sehr alleine da und man muss viel, viel mehr für sie tun."

    Im Januar findet in Berlin der nächste Fankongress statt. Auch dort gilt die Frage: Wie politisch dürfen Fans sein? Oder anders formuliert: Wie politisch müssen Fans sein, damit andere Fans nicht um ihre Gesundheit fürchten brauchen?