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FDP-Chef Christian Lindner
Vom Bambi zum Platzhirschen

Christian Lindner gilt seit Jahren als Hoffnungsträger der Liberalen, nicht erst seit dem Bundestags-Aus vor vier Jahren. Den Wiedereinzug organisiert er als Spitzenkandidat aus seiner Heimat NRW heraus - und muss nun dem Düsseldorfer Landtag den Rücken kehren, in den er einst als jüngster Abgeordneter einzog.

Von Moritz Küpper | 06.09.2017
    Drei Wahlplakate der Partei FDP - mit Christian Lindner
    Posterboy und Platzhirsch der FDP: Wahlkampf-Plakat mit Christian Lindner (dpa / Revierfoto)
    Christian Lindner steuert zielstrebig durch einen schmalen Gang ins Treppenhaus - und schüttelt den Kopf: "Nein, viel Zeit für Wehmut ist nicht. Ich bin leidenschaftlich nordrhein-westfälischer Landespolitiker gewesen. Jetzt mit einer kurzen Unterbrechung auch 17 Jahre, mir liegt auch was am Land."
    Fünf Rundbauten, ineinander verschachtelt, direkt am Rhein gelegen: Das ist der Düsseldorfer Landtag. Jenes Parlament, in das Lindner mit einst 21 Jahren einzog. Und das Haus, aus dem heraus er nun das Comeback der FDP organisierte. Jetzt sind seine letzten Tage als Landespolitiker angebrochen, an seinen ersten Tag erinnert er sich aber noch genau: "Bin auf Listenplatz 19 im Jahr 2000 in den Landtag gewählt worden und niemand hat geglaubt, dass der für ein Mandat ausreicht."
    Doch dann, war auf einmal drin, bis heute als der Jüngste aller Zeiten. Ein ZDF-Video von damals zeigt Lindner - mittlerweile unvorstellbar - in einem ausgeleierten, dunklen Pullover, darunter ein weißes T-Shirt vor Bücherregal und CD-Turm:
    "Ich rechne jede Sekunde damit, dass es heißt: War alles nur Quatsch, wir haben uns vertan mit dem offiziellen Endergebnis, sind doch nur 6,1 Prozent. Aber es ist nicht so. Ich bin jetzt, so wie die Zeichen stehen, drin." Auf Twitter tauchte der Clip kürzlich wieder auf, auch Lindner teilte ihn. Nun trägt er einen dunkelblauen, eng geschnittenen Anzug, ein hellblaues Hemd, den von Wahlplakaten bekannten Fünf-Tage-Bart.
    Spitzname "Bambi" bekam Lindner von Möllemann
    "Als jüngster Abgeordneter ist es nicht so, dass einem alle Türen geöffnet werden. So, und das hier ist unser Fraktionssaal."
    Linder betritt den holzvertäfelten Raum, nunmehr eben als NRW-Fraktionschef: "Ich weiß gar nicht, wie viele hundert Sitzungen ich hier hatte seit 2000, auch welche schwierigen menschlichen Schicksale wir hier verhandelt haben. In dem Raum saßen wir an dem Plenartag, an dem Jürgen Möllemann Selbstmord begangen hat."
    In schwarz-weiß hängt dessen Foto an der Wand, in der Ahnengalerie der FDP-Fraktionsvorsitzenden, daneben das Konterfei von Gerhard Papke, Lindners Freund und Förderer. Papke erzählt gerne, wie er einst Lindner als Zivildienstleister in der Theodor-Heuss-Akademie vor dem Rasenmähen bewahrte und ihn stattdessen in seine politische Abteilung holte. In den Anfangsjahren im Landtag teilten sie sich ein Büro:
    "Wir sind ganz unterschiedliche Typen. Aber haben trotzdem in unserem gelegentlich distanziert-analytischen und damit auch ironischen Blick auf die Politik, viele gemeinsame Pointen gefunden."

    Die letzte nun ist ein Buch, in dem Papke Lindner vorwirft, zu lasche Position zu vertreten: "Er hatte andere Vorstellungen zur Positionierung der FDP im Jahr 2014 und darüber kam es leider zu einem Bruch."
    Lindner verlässt den Fraktionssaal. Bereits im Jahr 2009 verließ er dieses Parlament schon einmal gen Berlin. Eines aus NRW aber blieb, zumindest in Medienberichten: "Den Spitznamen Bambi habe ich nie gehört und ich glaube, auch nur ein einziges Mal ist der verwendet worden vom damaligen Fraktionsvorsitzenden Möllemann. Innerhalb der Partei, von außen, ich habe ihn niemals gehört."
    FDP-Politiker auf einer Treppe: u.a. Christian Lindner, Jürgen Möllemann, Ralf Witzel, Dietmar Brockes, Gerhard Papke
    FDP-Politiker Christian Lindner zog 2000 als jüngster Abgeordneter in den Landtag ein - damals noch unter Jürgen Möllemann (imago / Sepp Spiegl)
    Lieblingsort im Landtag: das Plenum
    Lindner ist an einem Aufzug angekommen: Aus dem Bambi von damals ist - um im Bild zu bleiben - nun der liberale Platzhirsch geworden: "Also, natürlich habe ich mich über die Jahre verändert, entwickelt, bin älter geworden, ich hoffe, auch gereift. Ich meine, ich habe jetzt Erfahrungen. Die 17 Jahre FDP, das ist so viel, was passiert ist. Das ist in der CDU … sind das 40 Dienstjahre."
    Der Aufzug ist angekommen: "Überlegen Sie mal: Projekt acht hier, Trennungsprozess von Möllemann, das gescheiterte Projekt 18, Wechsel nach Berlin, Merkel/Westerwelle, Generalsekretär der Bundespartei, zurückgetreten als Generalsekretär der Bundespartei, Spitzenkandidat hier, fünf Jahre Opposition, Parteivorsitzender der FDP in der APO, könnte das weiter fortsetzen."
    "Sie sind aber nicht ausgebrannt?" - "Ich bin nicht ausgebrannt, aber … Wenn man das nicht jemandem anmerken oder ansehen würde, das wäre ein Naturschauspiel."
    Wieder steht er in einem der schmalen Bürotrakte. "Das ist hier." - "Das war mein erstes Büro. Amüsanterweise sitzt da heute der Finanzminister drin, Lutz Lienenkämper, MdL CDU."
    Schon immer war Lindner aktiv. Heute Parteivorsitzender, Spitzenkandidat bei Land- und Bundestagswahl, früher Zivildienst, um sich dann bei der Bundeswehr zu verpflichten. Er steht wieder im Aufzug.
    "Ich habe einfach den Wunsch gehabt, noch einen zusätzlichen Beitrag zu leisten, und mich hat das auch fasziniert, deshalb habe ich auch irgendwann gesagt: Jetzt verzichte ich auf meine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer, nachdem ich den Dienst ja komplett absolviert hatte."
    Lindner steuert jetzt auf seinen Lieblingsort im NRW-Landtag zu: das Plenum. "Ich glaube, das Thema der ersten Rede war der Ehrenamtsnachweis."
    "Die Situation ist im Bund vergleichbar mit der in NRW"
    Eher ein Nischenthema, doch seine Auftritte zogen, der Landtag wurde zur großen Bühne, wie beispielsweise im Januar 2015, als er auf einen SPD-Zwischenruf reagierte, er sei ja als Unternehmer gescheitert - und den Spieß umdrehte: "Schauen Sie, ich bin FDP-Vorsitzender, ich bin andere Anwürfe gewohnt. Aber welchen Eindruck macht so ein dümmlicher Zwischenruf wie Ihrer auf irgendeinen gründungswilligen jungen Menschen? Was ist das für ein Eindruck?"
    Der Videoclip wurde im Netz hunderttausendfach geklickt, Lindners Rede ging - neudeutsch - viral, machte bundesweit Schlagzeilen. "Deshalb ist die Bühne Parlament enorm wichtig." - "Üben Sie reden? Vor dem Spiegel?" - "Nein. Nein. Habe ich noch nie, würde ich auch nie." - "Wieso nicht? Also, ich meine, es ist am Ende auch Handwerk …" - "Das stimmt. Aber ich erlerne und übe mein Handwerk dadurch, dass ich es praktiziere, in dem ich viele Reden draußen halte …"
    Bis zur Bundestagswahl wird er rund 1.000 Termine in diesem Jahr gemacht haben: "Das macht Freude, aber es ist natürlich Verschleiß. Vier Jahre kann man das machen."
    Aber in Berlin soll es jetzt geregelter werden. In NRW reichte es am Wahlabend zu schwarz-gelb. "Die Situation ist im Bund vergleichbar mit der in NRW. Da darf man sich nicht unter Druck setzen lassen, sondern muss nüchtern schauen: Wo kann Gutes bewirkt werden? Geht das in der Regierung und wenn nicht, dann muss man in die Opposition. Die Bereitschaft muss man auch mitbringen."
    Im Landtag jedoch ist Schluss. Oder? Alle guten Dinge, heißt es ja oft, sind drei … "Nein, es ist ausgeschlossen."