Margaret Mitchell: "Vom Wind verweht" in neuer Übersetzung

Windstill, klar und eindringlich

06:07 Minuten
Die US-amerikanische Schriftstellerin Margaret Mitchell hält ihren Roman "Vom Winde verweht", der ihr zu Weltruhm verhalf, in den Händen.
Epos des amerikanischen Bürgerkriegs: Margaret Mitchell mit ihrem Roman "Vom Winde verweht", der ihr zu Weltruhm verhalf. © picture alliance / Everett Collection
Von Andi Hörmann · 02.01.2020
Audio herunterladen
Die tragische Liebe von Scarlett O’Hara und Rhett Butler rührte Millionen. Margaret Mitchells Roman "Gone with the Wind" war 1936 ein Welterfolg. Jetzt wurde er neu übersetzt – auch im Hinblick auf rassistische Zwischentöne.
Melodramatische Pauken und Trompeten untermalen den Herzschmerz von Scarlett O’Hara. Pralles Pathos. Eine Hollywood-Schmonzette schlechthin: "Vom Winde verweht". Millionen Herzen hat sie schmelzen lassen, die Romanverfilmung des 1936 erschienenen Klassikers von Margaret Mitchell: "Gone with the Wind". 70 Jahre nach dem Tod der Autorin sind die Rechte nun frei für eine Neuübersetzung. Und die lässt uns erst mal über den Titel stolpern: "Vom Wind verweht". Wo ist das E geblieben?

Von Kitsch befreit und auf Rassismus abgeklopft

"Dieses romantisierende oder idyllisierende E, dieses weichspülende E, passt gar nicht zu diesem Roman", sagt der Schriftsteller und Übersetzer Andreas Nohl. Er hat Mitchells epochales Werk zusammen mit seiner Frau, der Opernsängerin Liat Himmelheber, nun aus dem Amerikanischen in ein zeitgemäßes Deutsch übertragen – nach der romantisierten Erstübersetzung vom Martin Beheim-Schwarzbach von 1937. "Man liest diese 1.400 Seiten, glaube ich, sehr schnell", sagt Himmelheber. "Wenn man einmal gepackt ist von diesem Buch, dann will man da einfach weiter lesen – nächtelang."
Rhett Butler (Clark Gable) umarmt und küsst in dem Filmklassiker "Vom Winde verweht" von 1939 Scarlett O'Hara (Vivian Leigh).
Romanze im Vordergrund: Rhett Butler (Clark Gable) und Scarlett O'Hara (Vivian Leigh) im Filmklassiker "Vom Winde verweht" von 1939.© imago images / Mary Evans
Dieser Schmöker der Unterhaltungsweltliteratur, der vom Aufstieg und Fall einer ganzen Dynastie zur Zeit des Sezessionskriegs der Nord- und Südstaaten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erzählt, "ein kolossal spannendes Buch, ganz einfach", so Nohl – an dem aber der Zeitgeist nagt: In der Neuübersetzung haben Andreas Nohl und Liat Himmelheber den Text nicht nur von stilistischem Kitsch befreit, sondern auch auf Rassismus abgeklopft.

Journalistisch, lakonisch, nah am Alltag

"Als das übersetzt wurde, war 'Neger' noch kein Schimpfwort", sagt Nohl. "Das ist ja erst in den 1950er, 1960er Jahren von den Schwarzen abgelegt worden, und man sprach von 'black is beautiful' und 'black power' im Gefolge von Martin Luther King. Da muss ich sagen, ist der Begriff 'Schwarz' natürlich sehr viel angemessener." - "Weshalb es absolut notwendig war, das N-Wort rauszunehmen", ergänzt Himmelheber, "dabei zuckt man heute einfach zusammen."
Auch das aus dem amerikanischen Original stammende "darkies" taucht in der deutschen Übersetzung auf und wirkt etwas befremdlich. Doch im Buch selbst ist die Sklaverei Teil des Alltags und wird nicht kritisch hinterfragt. Die Sprache der Sklaven wird in der neuen Übersetzung zur Umgangssprache, ohne gebrochene Grammatik, die an geistig Minderbemittelte denken lässt. Der Ton des Textes ist dem journalistischen Stil des Originals angepasst. Anstelle von ausschmückendem Romantisieren gibt es eine auf den Punkt gebrachte Lakonik – also: Weg mit dem E!

Entwicklungsroman einer Kämpfernatur

"'Vom Wind verweht', das sitzt einfach", sagt Nohl. "Und das ist eben genau die Stil-Haltung, die Mitchell selber hat. Das muss sitzen, das muss prägnant sein." Ganz anders in der Blockbuster-Verfilmung: Im Fokus steht die Romanze, das komplizierte Dreiecksverhältnis von Scarlett, Ashley und Rhett. Schwülstig ausstaffiert, und schmalzig inszenierte Dialoge.
"Ich habe mich da furchtbar gelangweilt, diese dreieinhalb Stunden", lacht Andreas Nohl. "Wenn es nur die Liebesgeschichte wäre – die ja im übrigen krachend scheitert – wenn es nur diese Geschichte wäre, dann wäre der Roman ja nicht von solchem Interesse."
Buchcover "Vom Wind verweht" von Margaret Mitchell.
Wind ohne E: Die neue Übersetzung von Margaret Mitchells Roman orientiert sich am klaren, lakonischen Stil der Vorlage.© Verlag Antje Kunstmann / Deutschlandradio
In "Gone with the Wind" erzählt Margaret Mitchell die Entwicklung eines verzogenen Mädchens zur erwachsenen Frau vor dem Hintergrund politischer und gesellschaftlicher Umbrüche. Am Anfang, 1861, ist Scarlett 16 Jahre alt – am Ende ist sie eine 28-jährige Dame. Sie verliert alles, wird wieder wohlhabend und zweifache Witwe. Ihr dritter Ehemann Rhett Butler verlässt sie. Die Leiden des Krieges, die menschlichen Zerwürfnisse, die Umbrüche in der Gesellschaft machen aus Scarlett O’Hara eine geschäftstüchtige, emanzipierte Kämpfernatur – gewachsen an der Tragik des Todes, am Drama des Verlassenwerdens.

Dynamik und Optimismus des Originals

"Bei unserer Übersetzung geht es auch darum, Qualitäten dieses Romans zu zeigen, die weder von dem Film noch von der alten Übersetzung wiedergegeben wurden", sagt Nohl. "Vom Wind verweht" ist in dieser Geschichte die florierende Wirtschaft und Aristokratie der Südstaaten. Die Neuübersetzung ist eher windstill: klar und eindringlich. Das zeigt sich unter anderem am letzten Satz von Margaret Mitchells "Gone with the Wind", der im Original lautet: "Tomorrow is another day." Schwingt da nicht Optimismus mit? In der neuen Version klinge das weniger resignierend als in der alten, sagt Andreas Nohl:
"Das Ende in der alten Übersetzung heißt: Morgen ist auch ein Tag. Und bei uns heißt es: Morgen ist ein neuer Tag. Das ist unendlich viel dynamischer und verspricht einfach mehr von dem, was das Leben einfach auch tatsächlich ist. Denn in der Tat ist der nächste Tag ein neuer Tag, sonst bräuchten wir gar nicht aufzustehen."

Margaret Mitchell: "Vom Wind verweht"
Aus dem Englischen von Andreas Nohl und Liat Himmelheber
Verlag Antje Kunstmann, München 2020
1328 Seiten, 38 Euro

Mehr zum Thema