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FDP leidet unter "Negativ-Image"

Aus der baden-württembergischen FDP gibt es Forderungen an Guido Westerwelle, im nächsten Jahr nicht mehr als Parteichef anzutreten. Die Unterzeichner eines offenen Briefes machen den FDP-Vorsitzenden für die schlechten Umfragewerte der Partei verantwortlich.

Wolfgang Weng im Gespräch mit Martin Zagatta | 15.12.2010
    Martin Zagatta: Aus der baden-württembergischen FDP gibt es jetzt Rücktrittsforderungen an Parteichef Guido Westerwelle. Mehrere prominente Mitglieder der Südwest-FDP drängen Westerwelle in einem offenen Brief noch vor der Landtagswahl am 27. März zum Rückzug von der Parteispitze. Das jedenfalls berichtet die Südwestpresse heute. Mit zu den Unterzeichnern dieses Briefes gehört demnach auch Wolfgang Weng, der Ehrenvorsitzende der Stuttgarter FDP, mit dem wir jetzt verbunden sind. Guten Tag, Herr Weng.

    Wolfgang Weng: Guten Tag, Herr Zagatta. Darf ich nur der Ordnung halber sagen: Ich bin Ehrenvorsitzender des Bezirks Stuttgart, nicht der Stadt Stuttgart, und das hat eine gewisse Bedeutung, aber nur, damit das in Ordnung geht.

    Zagatta: Gut, dann stellen wir das richtig: des Bezirks Stuttgart, für den Sie dann vielleicht auch sprechen können. – Sie sollen den Brief jetzt nicht nur unterschrieben haben, sondern auch verfasst haben. Ist das richtig?

    Weng: Also es ist so, dass ich einen Entwurf verfasst habe, den mit den anderen Freunden abgestimmt habe, die hier mit unterzeichnen wollten, und ich gehe davon aus, dass sie ihn auch alle unterzeichnet haben, weil ich habe ihn dann dort hingesandt und habe bisher nichts weiter gehört als heute gehört, dass er in der Zeitung erscheint. Inhaltlich ist es auch so, dass wir keine Rücktrittsforderung erheben, sondern dass wir Westerwelle bitten, bis Dreikönig zu entscheiden, nicht wieder für den Vorsitz zu kandidieren, also ein geordnetes Verfahren, kein überstürzter Rücktritt.

    Zagatta: Also nicht überstürzt, aber er soll zurücktreten? Das steht in Ihrem Brief?

    Weng: Also im Brief steht nicht Rücktritt, sondern die Bitte, durch nicht erneute Kandidatur beim Bundesparteitag aufzumachen für eine Nachfolge, wobei das auch beinhaltet, eben mit einer neuen Personaldebatte hier das Negativ-Image, das die FDP im Moment unter der Führung Westerwelle hat, eben hoffentlich zu verlieren.

    Zagatta: Was werfen Sie Westerwelle denn vor?

    Weng: Ganz sicherlich ist die Entwicklung bis zur letzten Bundestagswahl wesentlich sein Verdienst. Das haben wir in dem Brief auch ausgedrückt. Aber seit der Bundestagswahl ist eben das, was seitdem passiert ist, auch ganz wesentlich von ihm persönlich wie politisch zu verantworten, und der Eindruck ist einfach, dass mit ihm an der Spitze dieses Negativ-Image nicht mehr wegzubekommen ist.

    Zagatta: Ist das die vorherrschende Meinung in Ihrem Bezirk oder in der baden-württembergischen FDP, oder sind sie da eine Minderheit?

    Weng: Also ich habe keine Mitgliederbefragung gemacht und naheliegenderweise werden Sie bei denjenigen, die aktiv in der Bundespolitik sind, oder vielleicht auch denen, die jetzt im Wahlkampf stehen, im Wesentlichen keine Meinungen hören. Das ist einfach in Wahlkampfsituationen so. Die Neigung der Landesführung zu sagen, Geschlossenheit ist das erste Maß aller Dinge, ist natürlich auch hier da.

    Zagatta: Aber Sie sprechen ja täglich mit FDP-Mitgliedern. Da haben Sie schon den Eindruck, dass das der vorherrschende Eindruck ist, dass man da mit Westerwelle sehr unzufrieden ist?

    Weng: Ich habe schon den Eindruck, dass man meine Auffassung teilt. Allerdings gibt es natürlich viele Freunde, die sagen, es ist besser nach der Landtagswahl, wenn das Ergebnis wirklich schlecht wäre, während meine Sorge ist, dass eben mit ihm an der Spitze das Ergebnis zwangsläufig schlecht wird.

    Zagatta: Und dass sie dann vielleicht, wenn er zurücktritt, noch zumindest über die fünf Prozent kommen können?

    Weng: Also über Zahlen rede ich nicht, aber ich sage mal, in Baden-Württemberg knapp über fünf Prozent wäre auch schon eine ziemliche Niederlage.

    Zagatta: Weil es das Stammland ist. Das wiegt jetzt natürlich dann auch doppelt schwer, wenn Rücktrittsforderungen eigentlich aus dem Stammland der FDP kommen. Wie hat denn Westerwelle auf Ihre Vorwürfe beziehungsweise auf Ihren Brief reagiert?

    Weng: Ich habe bisher keine Reaktion. Ich bin auch nicht ganz sicher, ob er den Brief bekommen hat, ehe jetzt eine Zeitungsveröffentlichung da war. Mein Wunsch war gewesen, den Brief erst abzuschicken und Tage später dann erst die Öffentlichkeit zu informieren. Der Brief ist aber ein offener Brief, insofern ist er durchaus für die Öffentlichkeit auch gedacht gewesen. Aber ich kann jetzt nicht sicher sagen, dass er den Brief schon zur Kenntnis hatte, ehe diese Pressemeldungen rausgegangen sind.

    Zagatta: Erst recht, wenn er davon erst aus den Zeitungen erfahren würde, haben Sie da kein schlechtes Gewissen? Fallen Sie da Westerwelle jetzt nicht gewaltig in den Rücken?

    Weng: Also wenn das so wäre, dann finde ich das selber keinen guten Stil, kann es aber nicht verhindern, weil von mir ist es nicht vorzeitig rausgegeben worden. Das Fallen in den Rücken halte ich für nicht gegeben, weil ich glaube, dass hier eine Meinungsäußerung möglich sein muss, und nachdem ich sie nicht öffentlich gemacht habe ohne jede Wirkung, habe ich dann durchaus das Gefühl gehabt, mit einem offenen Brief vielleicht mehr Wirkung erzielen zu können.

    Zagatta: Glauben Sie, dass dieser Brief große Wirkung hat, dass Westerwelle zum Einlenken bereit sein könnte, ist das für Sie denkbar, also er zum Rücktritt bereit sein könnte?

    Weng: Ich hätte mehr Hoffnung gehabt, dass der Brief eine gewisse Wirkung hat, wenn nicht das "Spiegel"-Interview vom vergangenen Montag jetzt plötzlich des schleswig-holsteinischen Fraktionsvorsitzenden erschienen wäre. Das Interview ist nach unserem Brief oder jedenfalls nach der Abstimmung unseres Briefes gemacht worden und ich sitze da ungern in diesem Boot, weil ich nicht Chaossprecher der Partei sein will, egal auf welcher Ebene.

    Zagatta: Teilen Sie denn die Vorwürfe, die Herr Kubicki erhoben hat, dass die FDP da einen Eindruck mache wie die DDR in ihren letzten Tagen, die DDR-Führung in den letzten Tagen?

    Weng: Kubicki überzeichnet seit Jahrzehnten immer, um entsprechend dann auch in den Medien zu erscheinen. Bei mir gibt es keinen persönlichen Profilierungsbedarf und auch keine persönlichen Rechnungen mit irgendjemandem.

    Zagatta: Wenn Westerwelle jetzt nicht zurücktritt, wenn er Ihrem offenen Brief da nicht nachkommt, muss die FDP, muss dann auch aus Baden-Württemberg Druck auf ihn ausgeübt werden? Muss man es dann auf eine Kampfkandidatur oder auf eine Ablösung ankommen lassen, oder sagen Sie dann, ja gut, wenn er nicht zurücktritt, machen wir eben mit ihm weiter?

    Weng: Also in Kenntnis von üblichen Abläufen ist zu erwarten, dass, wenn er nicht zurücktritt bis zur Wahl, bis zu den Wahlterminen, an allen Fronten Ruhe sein wird. Die Frage, was dann im Lichte von Wahlergebnissen stattfinden wird, ist spekulativ. Das kann ich weder voraussagen, noch kann ich voraussagen, ob es eine Bewerbung gegen ihn geben würde. Ich fürchte, es würde gegen ihn keine Bewerbung geben; deswegen ist es eigentlich seine Verantwortung, hier für einen Neustart und für eine bessere Profilierung der Partei in der Öffentlichkeit den Weg zu ebnen.

    Zagatta: Wer wäre da ein möglicher Gegenkandidat aus Ihrer Sicht? Wen würden Sie für geeignet halten? Hat die FDP überhaupt jemanden? Rainer Brüderle vielleicht?

    Weng: Sie wissen, dass die Nennung jedes Namens diesen Namen beschädigt. Es sind sicherlich mehrere Parteifreunde, die im Grundsatz dazu in der Lage wären, aber ich werde keinerlei Namen nennen, weil das ja den Eindruck machen würde, dass ich jemanden bestimmten gegen Westerwelle einsetzen will. Das ist nicht meine Absicht, sondern ich will genau ihn in diese Verantwortung stellen, hier eben Konsequenzen aus dem umfragemäßigen Niedergang des letzten Jahres zu ziehen.

    Zagatta: Das war Wolfgang Weng, der Ehrenvorsitzende des Bezirks der Stuttgarter FDP. Herr Weng, ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch.

    Weng: Danke auch. Ade, Herr Zagatta.