Dienstag, 19. März 2024

Archiv


FDP muss "jetzt die Nerven bewahren"

Es sei ein "trauriges" Ergeignis, was die FDP bei den Landtagswahlen abgeliefert hat, sagt Jörg-Uwe Hahn. Ein "Weiter so!" könne es nicht geben - doch zu Guido Westerwelles Stand in der Partei schweigt Hahn eisern.

Jörg-Uwe Hahn im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 28.03.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: Kurt Beck bleibt Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz, wenn auch mit historischen Verlusten und in Zukunft mit grünen Ministern am Kabinettstisch; Stefan Mappus, Regierungschef in Baden-Württemberg, muss die Macht abgeben nach 58 Jahren CDU-Herrschaft, ein Debakel für die ganze CDU, und auch die FDP rutscht nur mit Ach und Krach in den Stuttgarter Landtag ein.
    Vor rund einer halben Stunde habe ich gesprochen mit Jörg-Uwe Hahn, er ist stellvertretender hessischer Ministerpräsident, FDP-Chef dort in Hessen und Mitglied des FDP-Bundesvorstands. Meine erste Frage an ihn: Die FDP verliert die Regierungsmacht in Baden-Württemberg, fliegt aus dem Landtag in Rheinland-Pfalz, und schuld soll sein der Tsunami in Japan?

    Jörg-Uwe Hahn: Nun, der gestrige Wahlabend war nun wirklich ein trauriges Ereignis für die FDP. Wir sind im Mutterland der Liberalen, in Baden-Württemberg, nur knapp an der parlamentarischen Existenz gescheitert. Eine Woche vorher sind wir bereits im Mutterland von Hans-Dietrich Genscher an der parlamentarischen Existenz gescheitert. Ein "Weiter so!" kann es und wird es innerhalb der FDP nicht geben, und ich gehe davon aus, dass schon in wenigen Stunden bei den Beratungen im Präsidium und im Bundesvorstand klar ist, dass wir uns programmatisch und sicherlich auch im Hinblick auf den Bundesparteitag personell neu ergänzen müssen.

    Heckmann: Wer trägt für diese bitteren Niederlagen die Verantwortung?

    Hahn: Das ist sicherlich ein bisschen sehr wagemutig, das noch nicht einmal 20 Stunden nach Schluss der Wahlen zu sagen. Die Performance, wie man so schön Neudeutsch sagt, der FDP im letzten Jahr war nicht besonders gut. Darauf habe ich auch als hessischer FDP-Landesvorsitzender mehrfach hingewiesen. Ich hatte das Gefühl, dass wir in den Januar gut gestartet sind, aber die besonderen Ereignisse in Japan und natürlich auch in Libyen haben zu einem Umschwung in den wichtigen Themen geführt. Das kann aber nicht bedeuten, dass wir uns darauf ausruhen und sagen, der Tsunami war daran schuld.

    Heckmann: Herbert Mertin, der Spitzenkandidat der FDP in Rheinland-Pfalz, der hatte ja gesagt, Westerwelle sei ein Klotz am Bein, und er darf sich jetzt bestätigt fühlen, oder?

    Hahn: Ich werde heute keine Personaldiskussion führen. Ich halte es auch für vollkommen falsch, wenn Kollegen meinen, dass sie, seit gestern beginnend, Rainer Brüderle oder jetzt auch Birgit Homburger als die Schuldigen ins Spiel bringen. Das ist eine Gemeinschaftsleistung, die dort abgeliefert worden ist, und zu einer Gemeinschaftsleistung gehören mehr als die beiden. Deshalb: Wir müssen jetzt die Nerven bewahren. Es ist ein Tag, der 27. März 2011, der in die Geschichtsbücher des organisierten Liberalismus als ein schwarzer, ein grauer, als ein Trauertag reingeht, und da muss man danach einen kühlen Kopf bewahren. Aber in wenigen Wochen haben wir Bundesparteitag und da müssen wir uns alle der Wahrheit wieder stellen.

    Heckmann: Sie, Herr Hahn, hatten Ende Dezember Guido Westerwelle aufgefordert, seinen Rückzug von der Parteiführung anzukündigen. Ist die Lage für die FDP jetzt nicht noch viel schlimmer?

    Hahn: Es ist richtig, dass ich in einem persönlichen Gespräch, bei dem noch nicht einmal zehn Würdenträger, auch staatliche Würdenträger der FDP anwesend waren, etwas persönlich zu Guido Westerwelle gesagt habe. Ich werde aus persönlichen Gesprächen auch weiterhin nicht zitieren, bin auch heute noch überrascht darüber, dass dieses, wie sagt man so schön, durchgestochen wurde. Meine Meinung werde ich in den Gremien der FDP deutlich sagen. Und eines ist klar: Ein "Weiter so!" wird es nicht geben, und das gilt nicht nur übrigens personell, Herr Heckmann, sondern das gilt auch bei Inhalten. Wir werden eine Konsequenz bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie ziehen müssen, die bisher für die FDP nicht denkbar war.

    Heckmann: Ganz kurz noch zuletzt zum Personal. Wünschen Sie sich denn, dass Guido Westerwelle bleibt?

    Hahn: Ich wünsche mir, dass wir ein Team zusammenstellen, das die FDP aus dem Tal der Tränen wieder herausholt. Wir hatten ein solches Team, das in Hessen zu 16,3 Prozent bei der Landtagswahl geführt hat, das bei der Bundestagswahl zu über 13 Prozent geführt hat. Offensichtlich haben wir bei den Themen, aber auch im Team nicht mehr die richtige Abstimmung. Wie nennt man das? – Feinjustierung muss jetzt neu gemacht werden, und darüber diskutieren wir hinter verschlossenen Türen und nicht im Radio.

    Heckmann: Und das heißt, die Frage, ob Sie sich ein Verbleiben von Guido Westerwelle wünschen, können Sie nicht mit Ja beantworten?

    Hahn: Ich habe zu keiner Person etwas gesagt und ich werde das auch zu Guido Westerwelle heute nicht tun.

    Heckmann: Sie haben gerade eben gesagt, bei den Inhalten muss es eine Neuausrichtung geben. Das heißt für Sie eine Rückkehr zum atomfreundlichen Kurs der FDP der Vergangenheit, oder im Gegenteil eine deutliche Abgrenzung?

    Hahn: Also wenn man etwas aus dem gestrigen Tage – und wir hatten ja in Hessen auch noch Kommunalwahl – lernen kann, so ist es das, in Hessen jedenfalls sind zwei Volksabstimmungen durchgeführt worden: die eine auf Antrag insbesondere und Idee der FDP, dass eine Schuldenbremse in die Verfassung kommt. 70 Prozent der Menschen haben gesagt, ja, wir wollen nicht, dass unsere Enkel staatliche Schulden erben. Und eine zweite Volksabstimmung zum Thema friedliche Nutzung der Kernenergie, und da habe ich jedenfalls zunächst für mich selber die Schlussfolgerung gezogen, dass wir die Wählerwünsche nun erkannt haben, und wir müssen sie auch ernst nehmen. Das heißt für mich, dass über kurz oder lang die Atomenergie auch nicht mehr als Brückenenergie zur Verfügung stehen kann.

    Heckmann: Das heißt, konsequenterweise müssten Sie sich dafür einsetzen, dass die Verlängerung der Atomlaufzeiten rückgängig gemacht wird?

    Hahn: Ich muss mich dafür einsetzen, dass jeder Meiler auf den Prüfstand gestellt wird, und zwar jeder einzeln, dass härtere Kriterien angelegt werden, als das bisher der Fall ist. Ich glaube nicht mehr, wenn Sachverständige mir sagen, da ist ein Restrisiko nach dem Motto, das kannst du vernachlässigen, weil das wird nie eintreten, weil wir haben jetzt in Japan gesehen, dass Restrisiken natürlich eintreten können, und dann wird aufgrund neuer härterer Kriterien eine Entscheidung zu fällen sein. Ich habe das Gefühl, dass diese Entscheidung bedeutet, dass die Kernenergie auch nicht mehr lange als Brückentechnologie zur Verfügung steht.

    Heckmann: Sollen die sieben Altmeiler, die abgeschaltet worden sind, vorübergehend abgeschaltet worden sind für drei Monate, sollen die vom Netz bleiben?

    Hahn: Ich wiederhole mich gerne noch mal. Es muss für jeden Meiler ein Test gemacht werden. Dieser Test ist aber nicht nur ein Stresstest a la Europa, sondern er wird ein härterer Test sein, und das Ergebnis zählt dann für mich. Wenn wir bei den Kriterien deutlich machen, dass immer ein Restrisiko auszuschließen ist, dann wird sich die Antwort aus dem praktischen Test ergeben und nicht die politische Meinung von Jörg-Uwe Hahn am Montagmorgen nach der Wahl.

    Heckmann: Gibt es irgendeinen Punkt, Herr Hahn, jenseits der Energiepolitik, in dem die FDP versuchen könnte, Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, zum Beispiel endlich die Mehrwertsteuersenkung für Hoteliers wieder zurückzunehmen, oder greift das mittlerweile sowieso alles viel zu kurz?

    Hahn: Ich weiß nicht, warum die FDP immer mit diesem Thema verbunden wird, einstimmige Beschlüsse zum Beispiel des Landtages des Freistaates Bayern mit Grünen und SPD zusammen.

    Heckmann: ... , weil die FDP sich zuweilen da mit eingesetzt hat.

    Hahn: Das ist mir eine journalistisch viel zu einfache Frage. Ich sage ja auf Ihre Frage beim Thema Europa, beim Thema Währung, beim Thema, wie ist das Konzert in Europa künftig zu organisieren. Da hat die FDP eine liberale Stimme zu erheben. Ich selbst bin hessischer Europaminister. Ich bin sehr enttäuscht über die Ergebnisse des Gipfels vom vergangenen Wochenende. Das hat nichts mehr mit Liberalität, nichts mehr mit Subsidiarität zu tun. Hier soll eine Transferunion organisiert werden, und das wollen die Deutschen auch wiederum nicht, sodass ich der Auffassung bin, hier müssen wir kräftig nachjustieren. Jedes Land muss für seine Schulden selbst einkommen. Es kann nicht sein, dass der deutsche Steuerzahler über EMS und andere nunmehr 22 Milliarden cash auf die Kralle zahlen muss. Das sind Themen, wo die FDP ihr liberales Profil künftig sehr verschärft und dann natürlich auch gegen die Bundeskanzlerin und gegen Herrn Schäuble einsetzen muss.

    Heckmann: Das heißt, Sie plädieren für einen Anti-Europa-, oder zumindest einen europakritischen Kurs?

    Hahn: Ich weiß nicht, warum Journalisten immer alles falsch auf den Punkt bringen müssen. Ich bin ein überzeugter Europäer, ich bin Europaminister des Landes Hessen. Wenn die EU es nicht gäbe, man müsste sie heute noch, wir beide müssten sie erfinden, weil sie einen Friedensauftrag hat, weil sie auch eine wirtschaftliche Komponente hat. Aber europafreundlich ist nicht der, der Sozialismus und die Schulden, die einer macht, sollen die anderen Übernehmen predigt. Da müssen wir wohl ganz offensichtlich auch ein neues Bild über Europafreundlichkeit in Deutschland prägen.

    Heckmann: Und die Mehrwertsteuersenkung für Hoteliers?

    Hahn: Ich bin dafür, dass sämtliche Vereinfachungen und Vergünstigungen bei der Mehrwertsteuer, dieser berühmte halbe Satz, der ja gar kein halber Satz mehr ist, auf den Prüfstand kommt. Dann müssen wir schauen, das gilt für Windeln genauso wie für Blumenzwiebeln und sicherlich auch für die Mehrwertsteuer der Hoteliers. Man muss halt nur konsequent bleiben, und das vermisse ich derzeit bei der Bundesregierung in diesem Punkt leider auch.

    Heckmann: Der stellvertretende hessische Ministerpräsident Jörg-Uwe Hahn von der FDP.


    Personaldebatte in der FDP und CDU - Grüne freuen sich über sich selbst

    Rheinland-Pfalz: Mehrheit für Rot-Grün - FDP verpasst den Einzug in den Landtag

    Grüner Höhenflug in Baden-Württemberg - CDU und FDP mit herben Verlusten

    Sammelportal Landtagswahlen 2011