Donnerstag, 28. März 2024

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FDP-Obmann: Militärischer Abschirmdienst sollte aufgelöst werden

Hartfrid Wolff, FDP-Obmann im NSU-Untersuchungsausschuss weiß nicht, ob es nur Schlamperei oder sogar Vorsatz war, dass der Militärische Abschirmdienst (MAD) nicht zeitnah über seine Gespräche mit dem Uwe Mundlos, einem der NSU-Mörder, informiert hat. Über die Rolle von Verteidigungsminister Thomas de Maizière in dieser Causa will er derzeit nicht spekulieren.

Hartfrid Wolff im Gespräch mit Friedbert Meurer | 13.09.2012
    Friedbert Meurer: Zehn Morde hat die sogenannte Zwickauer Terrorzelle verübt und keine der deutschen Sicherheitsbehörden, weder Polizei noch Geheimdienste, will etwas davon mitbekommen haben. Die Morde wurden lieber der Mafia oder innertürkischen Auseinandersetzungen zugeschrieben. Und auch bei der Aufklärung und den Ermittlungen danach werden Pannen bekannt. Beim Verfassungsschutz landeten wichtige Akten im Schredder und der Untersuchungsausschuss des Bundestages will mit einem halben Jahr Verzögerung erst erfahren haben, dass einer der Mörder, Uwe Mundlos, 1995 vom MAD, dem Militärischen Abschirmdienst, angesprochen wurde. Oder sogar versuchsweise angeworben wurde?

    - Am Dienstag Abend war die Empörung im Ausschuss groß über den MAD und sie wird vermutlich nicht geringer mit der Information jetzt, dass auch Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière schon seit einem halben Jahr über den Vermerk über Mundlos Bescheid wusste.

    - Am Telefon Hartfrid Wolff, er ist der Obmann der FDP im Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Rechtsextremismus. Guten Morgen, Herr Wolff.

    Hartfrid Wolff: Ja guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Zu dieser neuesten Wendung – hätten bei Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière nicht alle Alarmglocken schrillen müssen, als er informiert wurde, da gibt es eine Akte über Uwe Mundlos?

    Wolff: Zunächst einmal kann ich mich dazu noch nicht konkret äußern, dahingehend, ob Thomas de Maizière davon bereits wusste. Was allerdings auffällig ist – und das haben wir jetzt auch in dem Fall Mundlos gemerkt -, dass die Information in den Diensten, aber auch zwischen den verschiedenen Diensten nicht wirklich funktioniert hat. Offensichtlich hier Deutschland nicht weiß, was Deutschland wissen müsste, sprich die Sicherheitsdienste zum Teil mehr Informationen haben, als sie selber wissen, dass sie sie selbst haben.

    Meurer: Aber ganz offensichtlich hat ja Thomas de Maizière Bescheid gewusst und sein Pressesprecher sagt jetzt: Ja, aber die Information des Untersuchungsausschusses wäre Angelegenheit des steuernden Referates gegenüber dem Ausschuss und nicht des Ministers. Kommt de Maizière so einfach da durch?

    Wolff: Ich kann mir schon vorstellen, dass natürlich aufgrund der Ausmaße der Mordserie der Zwickauer Terrorzelle auch die politische Ebene sich hat informieren lassen. Gleichzeitig haben wir ja auch im Ausschuss festgestellt, dass es hier doch erhebliche Unterschiede und unterschiedliche Informationen gab zwischen Militärischem Abschirmdienst, Bundesamt für Verfassungsschutz und dem LfV in Sachsen. Und deswegen ist natürlich die Frage auch, wer hätte wen informieren müssen – das ist richtig -, wer hätte wem tatsächlich die Information weitergeben müssen und hätte man nicht möglicherweise schon früher auch diese Informationen bei der Aufklärung besser gebrauchen können. Auch das ist richtig. Wie weit das natürlich eine Tätigkeit ist, die jetzt den Minister selber betrifft, das mag dann vielleicht auch noch Teil der Aufklärung sein.

    Meurer: Würden Sie, Herr Wolff, gerne den Minister selber danach befragen im Untersuchungsausschuss?

    Wolff: Aus meiner Sicht macht es jetzt erst mal Sinn, dass wir uns um die Fakten kümmern, wie tatsächlich der Informationsfluss war. Deswegen ist auch auf Antrag der FDP-Fraktion jetzt ein eigenständiger Tag mit den Vorkommnissen beim Militärischen Abschirmdienst vorgesehen. Wir werden uns an einem Tag, im Oktober voraussichtlich, mit den beiden Präsidenten unterhalten als Zeugen und wir werden auch zusehen, dass wir diese Fragen hier konkret auf der Fachebene zunächst einmal aufklären.

    Meurer: Nehmen Sie Rücksicht auf den Koalitionspartner, dass Sie de Maizière erst mal nicht vorladen?

    Wolff: Aus meiner Sicht macht es erst mal Sinn, sich mit den Fakten und mit den Tatsachen zu beschäftigen.

    Meurer: Die kann man aber vom Minister dann auch erfahren?

    Wolff: Das ist richtig, aber ich gehe mal davon aus, dass wir sicherstellen, und das war auch bisher im Untersuchungsausschuss so, dass wir gesagt haben, wir beschäftigen uns erst mal mit den sachnahen Beamten und auch mit den Fakten, um dann zu überlegen, wo die politische Verantwortung steht.

    Meurer: Dann reden wir mal über die Fakten. Vor einem halben Jahr taucht ein Vermerk auf, der Militärische Abschirmdienst hat 1995 mit einem der beiden Mörder gesprochen. Es gibt ein Verhörprotokoll, und dann gibt es offenbar eine lange Irrfahrt mit Vermerken hin und her von einem Amt zum nächsten. Warum dieses Chaos offenbar?

    Wolff: Das ist genau einer der Punkte. Ich kann nicht verstehen, weshalb man hier zum Teil Akten auf der einen Seite gelöscht hat, auf der anderen Seite an andere Dienste weitergegeben hat. Ich habe schon erhebliche Fragen darüber, warum ausgerechnet diese Akte dann gelöscht worden ist, während andere Akten, auch beim Militärischen Abschirmdienst, zum Beispiel über die Operation Rennsteig, nicht gelöscht worden sind, rekonstruierbar sind. Weshalb zum Teil auch diese Akten dann bei den verschiedenen Verfassungsschutzämtern im Bund wie in Sachsen beispielsweise erst später aufgetaucht sind. Das sind genau die Punkte: Warum ist dieses Aktenmanagement so schlecht gelaufen. Das sind genau die Punkte, die wir im Untersuchungsausschuss jetzt klären wollen.

    Meurer: Das Protokoll über das Gespräch ist dann aufgetaucht beim Bundesamt für Verfassungsschutz. Und da heißt es, das hat so lange gedauert, weil es hier bei uns einen Zahlendreher gab. Muss das alles so kompliziert sein zwischen so vielen verschiedenen Geheimdiensten, die die Akten hin- und herschieben?

    Wolff: Nein! Genau das ist eine der Herausforderungen, denen wir uns jetzt stellen müssen. Wir haben aus meiner Sicht die Verpflichtung, auch aus den Erkenntnissen, die wir bereits jetzt schon gewinnen konnten im Untersuchungsausschuss (Anm. der Redaktion: ab hier ist für einige Sekunden nichts zu verstehen), Strukturen bei den Diensten brauchen: hinsichtlich der Kontrollmöglichkeit auf der einen Seite, aber auch der Effektivität der Dienste selbst. Das heißt ganz klar: Je besser sie strukturiert sind, je besser sie wissen, was sie wissen, desto besser können sie auch die Bürgerinnen und Bürger schützen.

    Meurer: Wir haben gerade im Moment ein bisschen Probleme mit der Telefonleitung, Herr Wolff. Ich weiß nicht, woran es genau liegt, vielleicht an der Funkverbindung. Versuchen wir es mal weiter. – Sollte der MAD abgeschafft werden, damit es nicht drei Geheimdienste nebeneinander gibt, Militärischer Abschirmdienst für die Bundeswehr, Bundesamt für Verfassungsschutz für die Inlandsspionageabwehr, Bundesnachrichtendienst für die Auslandsabwehr? Ist da mindestens einer der drei zu viel?

    Wolff: Aus meiner Sicht ist der Militärische Abschirmdienst tatsächlich ein Fremdkörper hier an der Stelle. Wir brauchen klare Strukturen, wir haben einen Dienst fürs Ausland, das ist der Bundesnachrichtendienst. Und wir haben den Verfassungsschutz fürs Inland. Eine Zwischenregelung brauchen wir nicht. Hinzu kommt, dass der Militärische Abschirmdienst begrenzt ist allein auf die Bundeswehr. Und das ist ein sehr kleines Tätigkeitsfeld, wo es auch wieder sehr schnell Überschneidungen geben kann, wo es darum geht, wenn jemand aus der Bundeswehr zum Beispiel ausscheidet, dass der Informationsfluss gewährleistet ist. Wie wir bei der Akte Mundlos gesehen haben, hat das offensichtlich nicht funktioniert. Und deshalb halte ich es für richtig, eine deutlich bessere Verzahnung gerade der Expertise aus der Bundeswehr mit dem Verfassungsschutz sicherzustellen. Und deswegen bin ich schon durchaus der Meinung und die FDP-Bundestagsfraktion hat hier auch schon klare Beschlüsse gefasst, dass wir eine Überführung der Mitarbeiter des Militärischen Abschirmdienstes in das Bundesamt für Verfassungsschutz brauchen. Eine bessere Verzahnung macht Sinn, und das heißt gleichzeitig, dass wir aus meiner Sicht jedenfalls sehr deutlich mit dem Koalitionspartner jetzt darüber reden müssen, dass der Militärische Abschirmdienst auch aufgelöst wird.

    Meurer: Ist der Verfassungsschutz dazu in der Lage, in der Bundeswehr verfassungsfeindliche Bestrebungen zu beobachten und abzuwehren?

    Wolff: Da habe ich keine Zweifel. Die Tätigkeitsfelder sind vergleichbar. Es geht zum Beispiel um die Bekämpfung von Rechtsextremismus beim Verfassungsschutz als auch beim Militärischen Abschirmdienst. Es geht zum Beispiel auch um die Bekämpfung von Spionage, auch das tut der Verfassungsschutz genauso wie der Militärische Abschirmdienst. Und daher habe ich schon großes Vertrauen dahingehend, dass natürlich die Mitarbeiter miteinander arbeiten können, die Informationen besser austauschen können. Und aus meiner Sicht können wir nur so sicher gewährleisten, dass hier auch der Informationsfluss der verschiedenen Dienste besser dasteht, indem nämlich beide sich miteinander verzahnen, unter dem Dach des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

    Meurer: Noch kurz zum Militärischen Abschirmdienst. War das jetzt Schlamperei oder möglicherweise sogar Vorsatz, dass die Info so spät kam?

    Wolff: Wie genau dieser Informationsfluss war, das müssen wir genau aufklären. Ich schließe, sage ich ganz offen, nichts aus. Es kann sowohl Schlamperei gewesen sein als auch möglicherweise durchaus bewusst geschehen sein. Wir sind auch im Hinblick auf die Aktenschredderei beim Bundesamt für Verfassungsschutz nach wie vor nicht ganz sicher, was hier die Ursachen waren. Auch da erwarten wir noch einen Bericht der Bundesregierung.

    Meurer: Das war Hartfrid Wolff, Obmann der FDP im Untersuchungsausschuss zum Rechtsextremismus, zum Wirbel um den Militärischen Abschirmdienst. Herr Wolff, besten Dank und auf Wiederhören nach Berlin.

    Wolff: Ich danke Ihnen auch!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.