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FDP-Politiker: Rücktritt Wulffs ist eine Frage des Anstands

Erwin Lotter spricht Tacheles: Der FDP-Politiker wirft Christian Wulff vor, die Glaubwürdigkeit des Bundespräsidentenamtes zu beschädigen und fordert Wulffs Rücktritt. Jetzt steht Lotter selbst in der innerparteilichen Kritik - er solle nicht weiter Öl ins Feuer gießen.

Das Gespräch führte Martin Zagatta | 19.12.2011
    Martin Zagatta: Ist Christian Wulff noch glaubwürdig? Hat er das Amt des Bundespräsidenten schon ganz schön beschädigt? Die politische Auseinandersetzung um das Staatsoberhaupt jedenfalls hat am Wochenende neue Nahrung erhalten – durch Berichte, der umstrittene Kredit stamme doch von einem befreundeten Unternehmer und nicht von dessen Ehefrau, so wie Wulff das beteuert.

    Zu denen, die nun Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Bundespräsidenten hegen – das hat Frank Capellan in seinem Beitrag eben erwähnt -, gehört auch der FDP-Bundestagsabgeordnete Erwin Lotter, der Wulff einst in der Bundesversammlung mitgewählt hat und das mittlerweile offenbar bereut. Einen schönen guten Tag, Herr Lotter.

    Erwin Lotter: Guten Tag nach Berlin.

    Zagatta: Herr Lotter, Sie haben dem Bundespräsidenten Ihre Enttäuschung in einem Brief und in einer E-Mail mitgeteilt. Haben Sie denn inzwischen eine Antwort erhalten?

    Lotter: Ich habe bis jetzt noch keine Antwort bekommen, nein.

    Zagatta: Wie finden Sie das?

    Lotter: Ich warte noch, ich warte noch. Ich kritisiere bei dieser ganzen Angelegenheit den Umgang mit dieser Sache, dass sozusagen scheibchenweise die Wahrheit ans Licht kam und Dinge zugegeben wurden, die man nicht mehr dementieren konnte, und ich denke, das beinhaltet die Gefahr, dass Christian Wulff selber das Amt des Bundespräsidenten beschädigt.

    Zagatta: Wann war für Sie der Punkt erreicht, wo Sie sich entschlossen haben, diesen Brief zu schreiben? Was hat Sie genau dazu bewegt?

    Lotter: Das war eben der Umstand, dass immer mehr Dinge so nach und nach an das Licht kamen, und das hat mich veranlasst, dem Bundespräsidenten direkt meine Enttäuschung mitzuteilen, nachdem ich als Mitglied der Bundesversammlung ihn ja in allen drei Wahlgängen gewählt hatte, und der weitere Lauf der Ereignisse bis zum Wochenende hat mich eigentlich bestätigt und daraufhin habe ich mich entschlossen, das Ganze öffentlich zu machen.

    Zagatta: Ist das der Kredit, der Sie jetzt so sehr ärgert, oder ist das die Tatsache oder der Fakt, so wie die Kritiker sagen, dass Wulff das Parlament in Hannover in die Irre geführt hat?

    Lotter: Es geht mir um den Umgang mit der Sache, dass Dinge nach und nach erst zugegeben wurden und dass man sich in fein ziselierte juristische Äußerungen und Formulierungen verstrickt hat. Tatsächlich aber jenseits von allen juristischen Feinheiten geht es um die Glaubwürdigkeit, denke ich, und die ist beschädigt.

    Zagatta: Was heißt das dann?

    Lotter: Ich denke, es ist eine Frage des Anstandes und auch der Glaubwürdigkeit, einfach zurückzutreten.

    Zagatta: Also Sie fordern seinen Rücktritt?

    Lotter: Ja.

    Zagatta: Stehen Sie denn mit dieser Meinung – so klang das ja im Bericht unseres Korrespondenten eben an – alleine? Wie ist das mit Ihren Fraktionskollegen?

    Lotter: Ich habe von Patrick Kurth Zustimmung bekommen und ich habe unglaublich viel Zustimmung hier von meiner Parteibasis bekommen. Ich war ja Allgemeinarzt früher; auch Patienten oder ehemalige Patienten haben mir ihre Zustimmung mitgeteilt und signalisiert.

    Zagatta: Mit Ihrer Parteiführung ist das was anderes. Herr Rösler beispielsweise hat ja Herrn Wulff ausdrücklich sein Vertrauen ausgesprochen. Herr Niebel, der Entwicklungshilfeminister – das haben wir auch gerade gehört -, ja auch.

    Lotter: Ja gut! Aber ich denke, es ist in der FDP durchaus auch möglich, als frei gewählter und nur seinem Gewissen verpflichteter Abgeordneter einmal seine Meinung zu äußern in wichtigen Dingen, wenn er dies für geboten hält.

    Zagatta: Wie erklären Sie sich, dass Ihre Parteispitze sich da so sehr zurückhält? Hat man da Angst vor einer Regierungskrise oder was steckt dahinter?

    Lotter: Ich denke, dass man einfach jetzt Ruhe haben will nach vielen Turbulenzen.

    Zagatta: Haben Sie keine Angst, jetzt als Nestbeschmutzer zu gelten?

    Lotter: Ja wissen Sie, ich denke, es gibt jenseits von allen tagespolitischen Erwägungen auch eine Verantwortung, eine Verantwortung für das Land und auch eine Verantwortung gegenüber den Verfassungsorganen.

    Zagatta: Deshalb haben Sie sich zu Wort gemeldet?

    Lotter: So ist es.

    Zagatta: Wie ist das angekommen bei Ihrer Führung, dass Sie sich jetzt zu Wort gemeldet haben? Wir lesen ja, Ihr Parlamentarischer Geschäftsführer und auch die Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, die sollen sich sofort bei Ihnen gemeldet haben. Haben Sie sich da unbeliebt gemacht?

    Lotter: Also es hat meine Beliebtheit bei der Führung natürlich nicht gesteigert. Ich wurde halt nur gebeten, sozusagen nicht unnötig Öl ins Feuer zu gießen, was ich ja nicht gemacht habe. Ich habe ja nur das weiterhin vertreten, was ich schon in dem Brief öffentlich gemacht habe und dann auch in meinen Erklärungen vom Wochenende.

    Zagatta: Wie ist das erfolgt? Wurden Sie da angerufen, oder hat man Sie irgendwo hinzitiert?

    Lotter: Nein, nein, nein, nein. Es war ein Anruf und eine SMS.

    Zagatta: Angerufen hat Sie Ihr Parlamentarischer Geschäftsführer?

    Lotter: So ist es.

    Zagatta: Was hat er Ihnen gesagt?

    Lotter: Er hat die Bitte geäußert, nicht weiter Öl ins Feuer zu gießen.

    Zagatta: Und was haben Sie ihm gesagt?

    Lotter: Dass ich das durchaus bereit bin zu tun, und ich habe es ja auch nicht gemacht, weil ich, wie gesagt, bei meinen Forderungen oder bei meinen Äußerungen geblieben bin.

    Zagatta: Was hat Ihnen die Justizministerin geschrieben?

    Lotter: Ähnlich, ähnlich, also das Ganze nicht sozusagen unnötig zu verschärfen.

    Zagatta: Und da haben Sie zurückgeschrieben?

    Lotter: Der Justizministerin habe ich nicht geantwortet und mit dem Jörg van Essen habe ich mich im Gespräch verständigt.

    Zagatta: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die Justizministerin, ist ja auch bei Ihnen in Bayern die FDP-Vorsitzende und hat mitzureden, ob Sie, Herr Lotter, wieder für den Bundestag kandidieren können, ob Sie da wieder aufgestellt werden. Das macht Ihnen keine Sorge?

    Lotter: Nein, das macht mir keine Sorge, weil wie ich schon sagte, gibt es auch jenseits jetzt von Aufstellungslisten und Ämtern eine Verantwortung, eine Gesamtverantwortung.

    Zagatta: Hat nichts damit zu tun, dass die FDP ohnehin schlechte Chancen hat?

    Lotter: Das hat damit nichts zu tun. Also, ich hätte mich auch so geäußert, wenn die FDP bei 15 Prozent gewesen wäre.

    Zagatta: Sind Sie denn enttäuscht, dass Sie so alleine stehen mit Ihrer Meinung, dass da Ihre Fraktion auch so ruhig hält, denn die Vorwürfe gegen Wulff und offenbar ja auch, wenn man Umfragen hört in verschiedenen Medien, diese Vorwürfe sind ja eindeutig und ziemlich hart?

    Lotter: Also ich habe schon damit gerechnet, dass ich mir damit keine Freunde machen würde. Ich hatte damit gerechnet, ja.

    Zagatta: Auch in Ihrer eigenen Partei, da hatten Sie damit gerechnet, dass da nicht mehr kommen würde?

    Lotter: Ja, wobei man unterscheiden muss. Von der Basis bekomme ich ja sehr viel Unterstützung, zustimmende Mails und auch Anrufe.

    Zagatta: Aber selbst in Ihrer Fraktion finden Sie kaum Mitstreiter?

    Lotter: Eher weniger.

    Zagatta: So im Rückblick – Sie haben ja gesagt, Sie haben in allen drei Wahlgängen für Christian Wulff gestimmt, damals in der Bundesversammlung. Bereuen Sie im Nachhinein, dass Sie Ihre Stimme nicht Joachim Gauck gegeben haben?

    Lotter: Na ja, gut, hinterher ist man immer klüger. Ich fühle mich eben enttäuscht und getäuscht, weil ich ihn für eine integere Persönlichkeit gehalten hatte.

    Zagatta: Letzte Frage, damit lassen wir es dann auch. Jetzt steht Weihnachten bevor. Können Sie sich vorstellen, dass der Bundespräsident da am nächsten Samstag oder Sonntag wie geplant seine Weihnachtsansprache hält und uns da noch mit irgendwelchen moralischen Werten kommt?

    Lotter: Also es kommt natürlich darauf an, ob noch Dinge wo möglich nachkommen und wie sich diese Dinge weiter entwickeln. Ich glaube, das ist die entscheidende Frage. Die Frage ist ja auch, ob bei Christian Wulff die Erkenntnis jetzt wirklich angekommen ist, die Dinge lückenlos auf den Tisch zu legen, oder ob möglicherweise noch Dinge an die Öffentlichkeit und ans Licht kommen.

    Zagatta: Der FDP-Bundestagsabgeordnete Erwin Lotter. Herr Lotter, herzlichen Dank, dass Sie bereit waren, hier für uns für dieses Gespräch bereitzustehen.

    Lotter: Bitte schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.