Freitag, 19. April 2024

Archiv


FDP-Politikerin: Register über Neonazis müssen auf den Prüfstand gestellt werden

Der Bundesinnenminister will ein Zentralregister für Neonazis einführen. Gisela Piltz (FDP) betont, dass zunächst die vorhandenen Verzeichnisse auf ihre Effektivität überprüft werden müssten. Den Verfassungsschutz stelle sie nicht insgesamt infrage, allerdings müsse seine Koordination kontrolliert werden.

Gisela Piltz im Gespräch mit Anne Raith | 16.11.2011
    Anne Raith: Vor gut einer Woche hat sich Beate Z. der Polizei gestellt und seitdem offiziell geschwiegen: über Tathergang, über Motive, über Komplizen. Erkenntnisse mussten die Ermittler aus den in der Wohnung gefundenen DVDs ziehen, aus der Rekonstruktion der Ereignisse. Einem Medienbericht zufolge will die mutmaßliche Komplizin heute bei der Bundesanwaltschaft aussagen.

    Im Moment stellt diese Mordserie also noch sehr viel mehr Fragen, als dass es Antworten gibt, zumindest was die Hintergründe, was die Rolle der V-Männer des Verfassungsschutzes, der möglichen Ermittlungspannen betrifft. Wenn es um mögliche Konsequenzen aus dem Fall geht, dann gab und gibt es noch sehr viel mehr als eine mögliche Antwort. Ein NPD-Verbot war einer der ersten Vorschläge, eine Umstrukturierung der Sicherheitsbehörden, oder, so der aktuelle Vorschlag des Bundesinnenministers, ein Zentralregister für Neonazis.

    Das politische Berlin diskutiert also über Konsequenzen aus der Mordserie und den Fahndungspannen, wir haben eben die Einzelheiten gehört. Darüber möchten wir nun sprechen mit Gisela Piltz. Die FDP-Politikerin sitzt im Innenausschuss des Bundestages. Frau Piltz, viele Anregungen haben wir eben schon gehört, eine weitere möchte ich Ihnen rasch vorspielen. Rainer Wendt, der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, hat heute Morgen dieses hier vorgeschlagen:

    O-Ton Rainer Wendt: "Es wäre ein Leichtes, wenn man die Telefonverbindungen der beteiligten Personen aus dem vergangenen halben Jahr hätte, jetzt herauszufinden, mit welchen Personen sie Kontakt haben. Das müssen sich auch diejenigen fragen lassen, die die Vorratsdatenspeicherung immer wieder verhindern."

    Raith: Frau Piltz, muss sich die FDP diesen Schuh anziehen?

    Gisela Piltz: Nein, ich denke nicht, denn es geht ja hier um Morde, die teilweise auch in den Jahren 2006 und 2007 oder noch später verübt worden sind, und da jetzt dieses Urteil aus dem Jahr 2010 anzuführen, glaube ich, ist verfehlt. Und zum anderen ist es ja so, dass viel mehr Daten auch gespeichert und gesammelt werden, als wir das bisher gemeinhin geglaubt haben. Also von daher jetzt von vornherein zu sagen, dass es genau diese vermeintliche Rechtslücke sein könnte, die Aufklärung verhindert, glaube ich, hat nichts mit wirklicher Polizeiarbeit zu tun.

    Raith: Das heißt, der Chef der Polizeigewerkschaft liegt falsch, wenn er sagt, wir könnten jetzt schon mehr über das Netzwerk wissen, über das wir auch immer noch rätseln?

    Piltz: Ich glaube nur, dass die Frage der Vorratsdatenspeicherung nicht die entscheidende Frage in diesem ganzen Themenkomplex ist, sondern doch eher die Frage, was machen V-Leute zum einen, und warum konnte dieses zugegebenermaßen noch offensichtlich relativ kleine Netzwerk – aber warum konnten die über jahrelang unerkannt agieren. Das sind doch eigentlich die Probleme, denen man sich stellen muss, und haben die Behörden hier richtig zusammengearbeitet, und wenn ja, was kann man daran ändern.

    Raith: Die entscheidende Frage, sagen Sie, ist es nicht. Aber könnten wir mehr wissen über Telefonverbindungen, über Internetverbindungen, wie weit die Drei vernetzt waren in Deutschland?

    Piltz: Wir wissen selbstverständlich ja über Internet- und Telefonverbindungen etwas, weil diese Daten ja ohnehin für einen geringen Zeitraum gespeichert werden, und natürlich kann das helfen. Aber mir ist neu, dass das bisher sozusagen der Kern des Problems wäre, vor allen Dingen, wenn sie Morde aufklären wollen aus dem Jahr 2006. Da hat es ja eine völlig andere Rechtslage gegeben und so lange werden Daten ja auch nicht gespeichert. Deshalb halte ich das nach wie vor für einen Fehler, wenn etwas passiert, immer wieder nach einem Instrument zu rufen, ohne überhaupt die Sachlage zu kennen.

    Raith: Der Bundesinnenminister ruft jetzt nach einem anderen Instrument: nach einem neuen Zentralregister für gefährliche Neonazis. Ist das etwas, was uns weiterbringen kann in der Diskussion?

    Piltz: Man muss natürlich sehen, dass wir ja schon zwei rechte "Gewalttäter", oder wie auch immer man sie dann bezeichnen möchte, Dateien haben. Die eine wird beim Verfassungsschutz geführt und die andere beim BKA, "Gewalttäter rechts". Solche Dateien gibt es bereits und auch da muss man sich die Frage stellen, haben die funktioniert, sind die Informationen abgerufen worden. Und deshalb glaube ich, dass eine neue Datei erst mal so lange zurückgestellt bleiben muss, wie man die Effektivität der bisherigen Dateien sich ordentlich angeschaut hat.

    Raith: Woran mangelt es denn, dass diese Dateien, die schon existieren, einfach nicht genutzt werden? Das Innenministerium und der Verfassungsschutz in Niedersachsen mussten jetzt schwere Versäumnisse einräumen, dass sie einen Komplizen bereits früh beobachtet haben, diese Erkenntnisse aber nicht gespeichert haben.

    Piltz: Dann liegt es natürlich einmal am Verzug und tatsächlich an der Zusammenarbeit der Behörden. Und wenn sie natürlich bei einzelnen Verbrechen keinen Hinweis auf Rechtsextremismus haben, dann schauen sie wahrscheinlich auch nicht in eine solche Datei. Genau das muss man jetzt auf den Prüfstand stellen, die Frage, wie arbeiten Verfassungsschutzämter zusammen und wie werden Informationen abgerufen und aufgrund welcher vorliegenden Tatsachen. Das scheint doch eher ein faktisches Problem als ein Problem einer fehlenden Datei zu sein im Moment.

    Raith: Wenn die Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, auch FDP, sagt, man müsse sich jetzt Gedanken über die Sicherheitsarchitektur Verfassungsschutz machen – Sie sagen auch, wir müssen gucken, wie die Strukturen funktionieren -, was bedeutet das für Sie?

    Piltz: Das bedeutet für uns, das was im Koalitionsvertrag ja auch steht, dass man sich über die Sicherheitsarchitektur in Deutschland Gedanken machen muss. Selbstverständlich wollen wir nicht an den Föderalismus, an die Grundstruktur, aber wir sehen doch, dass in einzelnen Ländern Verfassungsschutz anders funktioniert als in anderen Ländern, und da muss man über eine bessere Zusammenarbeit untereinander im Rahmen der geltenden Regeln des Föderalismus sicherlich neu nachdenken, weil wir doch sehen, dass einzelne eben ihre Informationen nicht mit anderen austauschen, und das, finde ich, darf in Zukunft nicht mehr sein.

    Raith: Würden Sie so weit gehen, den Verfassungsschutz auch grundsätzlich infrage zu stellen, wie es heute Morgen der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft Wendt hier im Interview gemacht hat?

    Piltz: Ich wüsste nicht, warum ich den Verfassungsschutz insgesamt infrage stellen sollte, weil er ja doch für die demokratischen Grundlagen unseres Staates eine wichtige Aufgabe hat. Aber es geht immer darum, genau zu überprüfen, ob diese Ämter ihre Aufgaben auch so wahrnehmen, wie wir das erwarten. Und ich glaube, das muss dann in den nächsten Wochen auf die Tagesordnung der politischen Agenda.

    Raith: Aber offensichtlich haben diese Ämter ja in einzelnen Fällen ihre Aufgaben so nicht wahrgenommen, wenn wir jetzt uns den Fall in Kassel zum Beispiel anschauen, wo ein Verfassungsschutzbeamter am Tatort eines Mordes gewesen sein soll.

    Piltz: Da gibt es ja noch Spekulationen. Deshalb ist ja auch unsere Auffassung im Moment, dass wir vor allen Dingen nach dem, was wir bisher wissen, möglicherweise ein Problem von V-Leuten in diesem ganzen Bereich haben. Alleine einzelne Probleme diskreditieren natürlich aber nicht die Arbeit insgesamt und deshalb warne ich vor einer Diskussion, die von Einzelfällen auf das Generelle überschlägt und nicht einfach versucht, von den Einzelfällen etwas zu lernen. Und ich glaube, das muss jetzt Aufgabe von Politik, aber auch von den einzelnen Behörden sein.

    Raith: Sollte der Verfassungsschutz denn in Zukunft weiter so stark auf V-Leute setzen?

    Piltz: Ich bin schon überrascht, wenn man Statistiken hört, dass dann am Ende jedes siebte Führungsmitglied in der rechten Szene ein V-Mann ist. Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich geholfen hat. Auch das wird man diskutieren müssen. Allerdings ich bin ohnehin bei einer Kronzeugenregelung immer sehr kritisch gewesen. Ich kann im Moment nicht erkennen, wo diese Kronzeugenregelung Anwendung finden sollte. Aber das muss man dann im Einzelnen auch hier genau prüfen. Ich bin sehr gespannt, was sie zu sagen hat.

    Raith: …, sagt Gisela Piltz, für die FDP im Innenausschuss des Bundestages. Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch.

    Piltz: Ich danke Ihnen.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.