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Fehlerhafte Elemente

Physik. - Der aus Bulgarien stammende Nuklearchemiker Victor Ninow erwarb sich in Fachkreisen durch seine Mitarbeit bei der Entdeckung mehrerer schwerer Elemente an der Gesellschaft für Schwerionenforschung GSI in Darmstadt einen gewichtigen Namen. Ende der 90er Jahre wechselte der Teilchenexperte nach Berkeley in die USA und entdeckte dort die damals schwersten Elemente 116 und 118. Schwerer als die künstlich erzeugten Elemente wiegen aber Vorwürfe, nach denen der Forscher Ergebnisse manipuliert haben soll.

15.07.2002
    Seit dem vergangenen Winter ist Victor Ninow, einst gefeierter Nuklearchemiker und ausgewiesener Experte in der Erzeugung überschwerer Elementarteilchen, arbeitslos. Der Entlassungsgrund: Ninow habe wissentlich jene Forschungsdaten manipuliert, die die Entdeckung der Elemente 116 und 118 belegten. Auch Daten früherer Forschungsarbeiten, die an seiner Darmstädter Wirkungsstätte GSI zum Beweis anderer Kunst-Elemente dienten, habe der Chemiker "zurechtgebogen", klagen Experten Ninow an. Auf die Schliche kamen Darmstädter Kollegen dem Bulgaren bereits 1999, als bei der Gesellschaft für Schwerionenforschung Ninows Entdeckungen nachgestellt wurden. Doch während drei Wochen langer Experimente im Darmstädter Teilchenbeschleuniger konnten Ninows Ergebnisse nicht reproduziert werden, trotz penibler Einhaltung aller angegeben Parameter. Diese Verdachtsmomente wurde noch durch ähnliche Überprüfungen an der Universität Berkeley verstärkt, die ebenfalls scheiterten.

    Schließlich wurden Victor Ninows Arbeiten einer eingehenden Untersuchung durch eine unabhängige Kommission unterzogen. Ihr ernüchterndes Ergebnis: Die Analyse der Daten zu den Zerfallsprozessen, die bei den hoch instabilen, künstlichen Elementen ablaufen, habe Ninow nach eigenem Gutdünken ergänzt. Der Hintergrund dabei: Je schwerer ein instabiles Element ist, desto mehr unterschiedliche Zerfallsvorgänge muss es bei seinem Kollaps durchlaufen. Ninow maß aber nur die jeweils ersten beiden Zerfälle und trug die in seinen Augen zwangsläufigen, nachfolgenden Schritte ohne wirklichen Beleg in die Datenreihen ein. So wurden aus unsicheren Messdaten schließlich saubere Werte.

    In Darmstadt war der bulgarische Forscher zuletzt 1996 für die Auswertung der Daten zuständig. Damals wurden an der GSI die Versionen des Elements 112 entdeckt, von denen eines offenbar auf Manipulationen zurück geht. Dazu Sigurd Hofmann, Leiter der zuständigen Arbeitsgruppe: "Wir haben die Beobachtung, dass eine Kette von Zerfallsprozessen fälschlich produziert wurde, zum Anlass genommen, alle Messdaten, die wir seit 1994 aufgenommen haben, erneut zu analysieren. Das waren insgesamt 34 Zerfallsketten zu den Elementen 110, 111 und 112. Dabei stellten wir fest, dass die zweite Zerfallskette, die wir 1994 dem Element 110 zugeordnet haben, auf ähnliche Weise fälschlich entstanden ist." Dabei sei ein Alphateilchen gemessen, dann aber zwei weitere Alphateilchen künstlich in die Daten eingefügt worden, so dass zwar eine schlüssige Zerfallskette entstand, die man aber anhand der Originaldaten nicht als zu Element 110 zugehörig hätte interpretieren dürfen.

    Das Glück im Unglück für die renommierten Darmstädter Wissenschaftler: Sie müssen ihre Arbeiten nicht vollständig zurückziehen, da ihnen in zwischenzeitlich die Bestätigung ihrer alten Messungen gelang. Weniger glücklich stehen indes ihre US-Kollegen da.

    [Quelle: Jan Lublinski]