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Feldhamster trotz Ackerbaus

Die Vielfalt an Pflanzen und Tieren ist mittlerweile in deutschen Städten um ein Mehrfaches größer als auf dem Land. Ein wichtiger Grund: die Ausbreitung der industriellen Landwirtschaft. Wie die mit dem Umweltschutz zu versöhnen sein könnte, diskutierten auf Einladung der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft (DLG) Experten in Berlin.

Von Verena Kemna | 04.12.2009
    Für Carl-Albrecht Bartmer, den Präsidenten der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft, hat die Frage nach der weltweiten Nahrungsproduktion oberste Priorität. Nach Schätzungen der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft muss die weltweite Nahrungsproduktion in den nächsten 40 Jahren verdoppelt werden. Die Produktion von Kulturpflanzen zu optimieren und gleichzeitig die Artenvielfalt auf der Ackerfläche sichern, das ist ein Problem, meint DLG-Präsident Bartmer.

    "Ernährung ist die große Herausforderung der nächsten 100 Jahre und zwar aus verschiedenen Gründen. Die Welt wächst weiter, 200.000 Menschen pro Tag, eine Milliarde Menschen mehr in zwölf Jahren auf diesem Planeten. Wir haben nicht mehr Ackerfläche, diese Menschen wollen leben und auch besser leben, das heißt, es gibt schon ein extrem relevantes Ziel, das heißt Ernährung."

    Artenvielfalt auf dem Acker bedeutet unproduktive Konkurrenz für die Kulturpflanze und ist dennoch wünschenswert. Ein klassischer Zielkonflikt zwischen Landwirtschaft und Umwelt. DLG-Präsident Bartmer plädiert für ein optimiertes Nebeneinander. Höhere Produktivität auf fruchtbarem Acker schafft Freiraum, um auf anderen Flächen die Artenvielfalt zu fördern.

    "Wir müssen uns sehr wohl klar sein, dass Biodiversität nicht nur eine Frage der Qualität ist, das heißt, gibt es bei mir einen Lurch oder nicht, sondern auch eine Frage der Quantität. Das heißt, ich muss mir im harten Wettbewerb um die Fläche klar machen, wie viele Flächen brauche ich eigentlich, um dann eine Lurchpopulation in ausreichender Größe am Leben zu erhalten."

    Er fordert ein nachhaltiges Nutzungskonzept für ländliche Räume. Dabei gilt es, die verschiedenen Interessen sorgfältig abzuwägen.

    "Das heißt, wie viel potenzielle Produktion von Lebensmitteln gebe ich auf, um wie viel Biodiversität zu erreichen und das fordert ein, dass man Biodiversität quantifizierbar macht. Also ich muss einfach aus der Ecke heraus, alles, was für Biodiversität ist, ist grundsätzlich gut. Weil es dann dazu führt, dass ich die wesentlichen anderen Ziele einer Gesellschaft gar nicht mehr richtig berücksichtigen kann."

    Trotz vieler anderer Zielkonflikte – etwa bei Wasser-, Boden-, Klima-, und Landschaftsschutz: Rainer Oppermann vom Institut für Agrarökologie und Biodiversität Mannheim weiß, dass es fast immer praktikable Lösungen gibt. Gute Beratung vorausgesetzt, protestiert kaum ein Landwirt gegen den Grünstreifen zwischen der geschützten Kirschbaumallee und dem eigenen Maisfeld, so die Erfahrung von Oppermann. Auch der europaweit vom Aussterben bedrohte Feldhamster kann trotz intensivem Ackerbau überleben.

    "Hier geht es darum, dass man die Fruchtfolge für den Hamster so optimiert, dass auch Stoppeln mal bleiben, dass bestimmte Streifen später geerntet und mit Luzerne bebaut werden, so wie das einfach ein gutes Fruchtfolgeglied ist. Das nützt aber eigentlich zugleich auch für die Bodenfruchtbarkeit und das nützt auch für den Humusaufbau, wenn ich die Luzerne anbaue, und das muss man jetzt auf den einzelnen Flächen so optimieren, dass es passt."

    Damit Landwirte für ihren Beitrag zum Umweltschutz auch entsprechend entlohnt werden, sollten EU-Gelder an den Ressourcenschutz gekoppelt werden. Dann könnte Deutschland für nachhaltige Konzepte in der Landwirtschaft in den nächsten Jahren Marktführer werden, so Rainer Oppermann.

    "Da gibt es viel zu tun, weil einfach das Beharrungsvermögen auf der klassischen Produktionsseite so groß ist und man redet gerne von der Multifunktionalität der Landwirtschaft in Europa und in Deutschland, aber wir haben es doch auf der einzelbetrieblichen Ebene allein mit einer Optimierung der Produktion, mit steigenden Erträgen, steigendem Einsatz von Betriebsmitteln zu tun. Da ist doch ein Umdenken erforderlich, und das ist zum Teil etwas mühsam."