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Fenster zum Herzen

Medizin. - Wer mit Herzbeschwerden zum Arzt kommt, dem werden in der Regel erst einmal ein paar Metallelektroden auf die Brust geklebt, mit deren Hilfe die Mediziner ein Elektrokardiogramm aufnehmen. Das EKG zählt heute zum Standardwerkzeug der Kardiologen. Bald könnte diese Untersuchung aber ganz anders aussehen. Braunschweiger Forscher haben eine Technologie entwickelt, mit der sich EKGs künftig berührungslos und ganz ohne Elektroden aufzeichnen lassen.

Von Ralf Krauter | 12.04.2006
    Die gezackten Kurven eines Elektrokardiogramms liefern wertvolle Informationen für die Diagnose von Herzerkrankungen. Doch das Verfahren hat zwei Nachteile. Zum einen liefert ein EKG kein räumliches Bild der Herzaktivität - das können bislang nur Magnetresonanztomographen, die in speziell abgeschirmten Räumen untergebracht und für einen Hausarzt unerschwinglich sind. Außerdem muss der EKG-Patient erst mit Elektroden verkabelt werden. Denn ohne direkten Kontakt zwischen Haut und Messfühlern funktioniert das Ganze nicht. Meinhard Schilling, Professor für Elektrotechnik an der Technischen Universität Braunschweig wollte sich damit nicht abfinden und entwickelte ein Messgerät, mit dem sich EKGs völlig berührungslos aufzeichnen lassen - und zwar dreidimensional.

    " Wir können die räumliche Verteilung des elektrischen Signals über dem Brustkorb aufnehmen und direkt sichtbar machen, indem wir das Gerät einfach nur über den Brustkorb halten - und das eben auch durch ein T-Shirt durch zum Beispiel, was natürlich mit den resistiven Sensoren nicht möglich ist."

    Resistive Sensoren, das sind die gängigen Metallelektroden, die durch direkten Kontakt den Hautwiderstand messen und so Rückschlüsse auf die Herzaktivität erlauben. Meinhard Schilling setzt stattdessen auf so genannte kapazitive Sensoren. Die sind im Prinzip so etwas ähnliches wie ein aufgeschnittener Kondensator und reagieren sehr empfindlich auf elektrische Felder in ihrer Umgebung. In der berührungslosen Messung von Abständen oder Füllhöhen werden solche kapazitiven Sensoren bereits im großen Stil eingesetzt. Ihre Anwendung in der medizinischen Diagnostik ist ein Novum, dem jahrelange Entwicklungsarbeit vorausging. Um die winzigen Ausgangsströme, die das schlagende Herz in den kapazitiven Sensoren erzeugt, überhaupt zuverlässig messen zu können, erklärt Meinhard Schilling, habe man tief in die elektrotechnische Trickkiste greifen müssen.

    " Die Ströme um die es geht liegen im Bereich von Femtoampere, das sind 10 hoch minus 15 Ampere. Das sind extrem kleine Ströme. Und damit die nicht an der Elektrode vorbeifließen, muss man ziemlich viele Vorkehrungen treffen. Und die Sensoren, die wir jetzt entwickelt haben sind vollständig gekapselt, sind geschirmt von allen Seiten, nur nach vorne hin haben sie eine gerichtete Empfindlichkeit, die dann das Signal aus dem Körper aufnehmen kann."

    Das spezielle Design der fingerkuppengroßen Messfühler haben sich die Braunschweiger Forscher patentieren lassen. Für einen ersten Prototyp haben sie insgesamt 15 der Sensoren zusammengeschaltet und an der Unterseite eines digitalen Notizbuches befestigt. Das Resultat ist frappierend: Bewegt man den Monitor über dem Brustkorb des Patienten erscheint darauf in Echtzeit ein räumliches Bild der elektrischen Aktivitätsmuster. Der Bildschirm wird zum Fenster, durch das der Arzt direkt ins Herz schauen kann. Die medizinischen Trikorder von Pille und anderen Star-Trek-Doktoren lassen grüßen.

    " Ein bisschen war das natürlich auch die Idee, dass man dahin kommt, Geräte zu entwickeln, die unmittelbar die Funktion abbilden, indem man sie einfach nur über den Körper drüber hält, sodass eine sehr schnelle, sehr billige und für den Arzt sehr einfache Messung dann ermöglicht wird."

    Sofern keine starken elektromagnetischen Störfelder die Messung beeinträchtigen, liefert das neue Fenster zum Herz genauso zuverlässige EKG-Kurven wie die konventionellen Systeme mit Hautelektroden. Schilling:

    " Wir bieten den Medizinern beides an. Wir bieten ihnen die vertraute Darstellung im Zeitbereich, die jeder Mediziner in seiner Ausbildung lernt, und zusätzlich die räumliche Verteilung, die tatsächlich einer zusätzlichen Interpretation bedarf und die eben neu ist - und jetzt neue Möglichkeiten der Diagnose hoffentlich eröffnen wird, insbesondere im Bereich des plötzlichen Herztodes."

    Während für Kardiologen also vor allem die räumliche Information von Vorteil sein dürfte, könnten Hirnforscher künftig vor allem die Berührungslosigkeit des Verfahrens schätzen lernen. Vor den als EEG bekannten Hirnstromableitungen vergehen heute nämlich oft Stunden, bis alle Elektroden an der Kopfhaut befestigt sind. Allerdings sind die medizinisch relevanten elektrischen Impulse im Gehirn mehr als 100 mal schwächer als die im Herz. Bevor das Fenster zum Herz auch als Fenster zum Hirn taugt, müssen die Elektrotechniker in Sachen Rausch- und Störsignalunterdrückung also noch ein paar Register mehr ziehen.