Marie NDiaye: "Die Chefin"

Ein Buch wie ein Teller mit duftenden Speisen

Ein Teller mit Essen und das Cover des Buches "Die Chefin" von Marie NDiaye
Ein Teller mit Essen und das Cover des Buches "Die Chefin" von Marie NDiaye © dpa/Suhrkamp Verlag
Von Ursula März · 03.08.2017
Eine junge Frau aus ärmlichen Verhältnissen entdeckt ihr genialisches Kochtalent und steigt zur Sterneköchin auf. Diese Biografie zeichnet Marie NDiaye in ihrem neuen Buch "Die Chefin" nach - künstlerisch anspruchsvoll und zugleich ausgesprochen sinnlich.
Einer breiteren Leserschaft wurde Marie NDiaye erst 2009 mit ihrem Roman "Drei starke Frauen" in Deutschland bekannt. In Frankreich, wo sie dafür den Prix Goncourt erhielt, zählt sie allerdings schon seit Jahrzehnten zum Kreis bekannter Autorennamen. Die 1967 als Tochter einer französischen Lehrerin und eines Senegalesen geborene Schriftstellerin war gerade achtzehn Jahre alt, als ihr erster Roman erschien, der ihr das Image des Wunderkindes eintrug. Ihrem politischen und literarischen Eigensinn hat das nicht geschadet.
Energisch wehrte sich NDiaye immer dagegen, als Vertreterin einer Doppelkultur vereinnahmt zu werden, sie sei, erklärte sie häufig, "zu hundert Prozent französisch". Als der Konservative Nicolas Sarkozys 2007 zum Staatspräsidenten gewählt wurde, zog sie aus Protest mit ihrem Mann und ihren drei Kindern nach Berlin. Ebenso wenig ist in ihren Büchern mit literarischer Gefälligkeit zu rechnen.

Eine Frau in der Männerwelt

Auch ihr neuer Roman zeigt Marie NDiaye als virtuose Stilistin und als Nachfahrin der französischen Nachkriegsavantgarde des Nouveau Roman. Er heißt "Die Chefin" und trägt den Untertitel "Roman einer Köchin". Tatsächlich wird das Leben einer Frau aus ärmlichen Provinzverhältnissen erzählt, die mit sechzehn Jahren ihr genialisches Kochtalent, ihre Leidenschaft für eine Existenz in der Küche entdeckt, zur landesweit bekannten Sterneköchin und zur Besitzerin eines Restaurants in Bourdeaux aufsteigt. In ihrer Lebensgeschichte finden sich einige Motive aus den Karrieren realer Chefköchinnen, die sich erst seit ein paar Jahren in jenem Berufsfeld durchsetzen, das traditionell von Männern besetzt ist.
Eine konventionelle Biografie ist Marie NDiiayes Roman schon deshalb nicht, weil es sich beim Ich-Erzähler um eine eher unverlässliche Instanz handelt: Ein ehemaliger Jungkoch, der seiner doppelt so alten "Chefin", wie er sie durchweg nennt, in nahezu religiöser Liebe und Anbetung verfallen war. So viel dieser Erzähler über den Stoizismus und die asketische Disziplin der Köchin mitteilt, so viel scheint er auch zu verschweigen.

Viele Fragen bleiben offen

Das Bild, das in dem Roman entsteht, ist somit Porträt und Antiporträt, das viele Fragen offen lässt: War die Starköchin tatsächlich Analphabetin und kochte nur nach Intuition? War ihre bösartig rivalisierende Tochter wirklich Schuld am Ruin des Restaurants? Oder führt uns der Erzähler, der sich unmittelbar an den Leser wendet, als würde er dessen Fragen beantworten, mit diesen Spuren in diese Irre?
Literatur wie die von Marie NDiaye besitzt den Ruf, künstlerisch anspruchsvoll, aber auch ein wenig spröde und konzeptuell zu sein. So wirkt dieser Roman aber keineswegs. Im Gegenteil, er liest sich fesselnd, und dies aus zwei Gründen: Zum einen zeichnet er den sozialen Hintergrund der Geschichte sehr genau und farbig. Zum anderen besitzt Marie NDiaye die Fähigkeit, über die herrlichen Gerichte der Köchin so sinnlich zu schreiben, dass man beim Lesen glaubt, vor einem gefüllten Teller mit duftenden Speisen zu sitzen – nicht vor einem Buch.

Marie NDiaye: Die Chefin
übersetzt aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer
Suhrkamp Verlag 2017
336 Seiten, 22 Euro

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