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Ferngesteuert durch den Dickdarm

Medizintechnik. - Dickdarmspiegelungen sind vor allem im Alter über 50 empfehlenswert, weil sich so Frühstadien des Dickdarmkrebses erkennen lassen. Allerdings sind die Untersuchungen so schmerzhaft, dass nur wenige sie mitmachen. Damit das anders wird, tüfteln Forscher an ferngesteuerten Endoskopie-Robotern. Auf dem Weltkongress für Medizintechnik, der gerade in München stattfindet, haben sie ihre Arbeiten vorgestellt.

Von Ralf Krauter | 10.09.2009
    Kameras in Pillenform sind in der klinischen Praxis seit einigen Jahren im Einsatz. Der Patient schluckt eine Kapsel, die auf dem Weg durch seinen Dünndarm regelmäßig Bilder überträgt, auf denen der Arzt wucherndes Gewebe in der Darmschleimhaut erkennen kann. Nachdem die dicke Pille geschluckt ist, merkt der Patient nicht mehr viel von der Untersuchung. Kein Wunder, dass Mediziner für Spiegelungen des Dickdarms gern ein ähnlich schmerzfreies Diagnose-Verfahren hätten. Denn die Angst vor Schmerzen ist der Hauptgrund dafür, dass sich kaum ein Patient ohne Not einer Koloskopie unterzieht. Doch für Untersuchungen des Dickdarms taugen die heutigen Kameras in Pillenform nicht, sagt Professor Marc Schurr, Geschäftsführer der Tübinger Firma Novineon.

    "Die heutige Kapsel-Endoskopie ist Standarduntersuchung für die Dünndarmendoskopie und funktioniert dort auch sehr gut, mit sehr guter diagnostischer Aussagefähigkeit. Aber in anderen Bereichen des Verdauungstraktes, vor allem Magen, Speiseröhre und Dickdarm, sind passive Kapseln, wie sie heute eingesetzt werden, nicht genau genug. Man kann suspekte Befunde, zum Beispiel Polypen oder einfach verdächtige Gewebeareale mit passiven Kapseln nicht genau genug betrachten, weil sie ja nicht wie ein normales Endoskop gesteuert werden können, auf ein fragliches Gewebeareal hin ausgerichtet werden können. Und deshalb sind passive Kapseln dafür diagnostisch einfach nicht ausreichend."

    Im Rahmen des EU-Projektes Vector arbeitet Marc Schurr seit drei Jahren daran, aus den passiven Kamera-Kapseln, die von der natürlichen Peristaltik durch den Verdauungstrakt geschoben werden, aktive Systeme zu machen: Ferngelenkte Mini-Roboter, die der Arzt so gut steuern kann wie normale Endoskope. Einer der Knackpunkte ist der Antrieb. Am Anfang machten die Forscher Winzlingen im wahrsten Sinne des Wortes Beine. Schurr:

    "Das muss man sich so vorstellen, wie bei einem kleinen Käfer: Beine, die so ein, zwei Millimeter Durchmesser haben, aus bestimmten Metallen, Formgedächtnislegierungen nennen wir die. Und kleine Elektromotoren in der Kapsel, die diese Beine antreiben. Also es bewegt sich tatsächlich wie ein Insekt sozusagen durch den Verdauungstrakt."

    Der drei Zentimeter lange Roboter ähnelt äußerlich einer Taschenlampenglühbirne. Auf Videoaufnahmen ist zu sehen, wie er sich von sechs Beinpaaren getrieben durch tierisches Gedärm schiebt, ohne sich von klebrigen Darmzotten aufhalten zu lassen. Schurr:

    "Das funktioniert heute. Ein Problem dabei ist aber nach wie vor der Energieverbrauch. Dass einfach der Antrieb dieser Beinkinematik sozusagen sehr viel Energie verbraucht, die man nicht einfach in der Kapsel speichern kann. Wir untersuchen deshalb auch alternative Techniken. Dazu gehören auch magnetische Antriebsmechanismen. Zum Beispiel durch starke externe Magnete, die außerhalb des Körpers geführt werden und dann die magnetische Kapsel im Körper mitziehen, bewegen können, rotieren können."

    Um die mit einer magnetischen Hülle versehenen Kapseln millimetergenau positionieren zu können, muss der externe Permanentmagnet extrem genau kontrolliert werden. Deshalb setzen die Entwickler auf die ruhige Hand eines Industrieroboters, der den starken Magneten so bewegt, dass er die Kamera-Kapsel dorthin zieht, wo der Arzt sie gern hätte. Erste Tests mit Tierorganen waren erfolgreich. Vibrationsmotoren verhindern, dass sich der Roboter während seiner Reise durchs Körperinnere irgendwo festsaugt. Auch die Bildübertragung haben die Forscher auf Trab gebracht. Heutige Kapsel-Endoskope übertragen nur wenige Bilder pro Sekunde. Für aktiv bewegte Systeme reicht das nicht, erklärt Marc Schurr.

    "Wenn ich auf der Straße laufen würde, und in der Sekunde nur vier, fünf Bilder in meinem Gehirn entstehen würden, würde ich gegen den nächsten Baum oder Laternenpfahl stoßen. Weil, je nachdem wie schnell ich laufe, einfach zu wenig Bildinformation da ist. Und genauso ist das bei uns auch. Also wir brauchen eigentlich die normale Videobildinformation, also 20, 25 Bilder pro Sekunde. Und das war ein wesentlicher Aspekt unseres Projektes, entsprechende Bildkompressionsalgorithmen zu entwickeln, die es erlauben, dass wir eben mehr Bilder rüber schicken können in der gleichen Zeit, um hier besser zu werden."

    Sofern das Zusammenspiel von Antrieb, Kamera, Bildübertragung und Energieversorgung wie geplant funktioniert, sagt der Experte aus Tübingen, sei innerhalb des nächsten Jahres mit einem funktionsfähigen Demonstrator zu rechnen. Der müsste dann in klinischen Tests am Menschen erprobt werden. Bis die Angst vor der Dickdarm-Spiegelung unbegründet ist, dürften also noch ein paar Jahre ins Land gehen.