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Fernsehserie "Rectify"
Von der Todeszelle zurück ins Leben

Schon der Beginn der Serie "Rectify" bietet Stoff für einen ganzen Kinofilm: 19 Jahre saß Daniel Holden in der Todeszelle. Wegen einer neuen Beweislage wird er plötzlich entlassen. Entlastet vom Vorwurf der Vergewaltigung und des Mordes an einer Schülerin ist er dadurch nicht. Der TV-Erfolg aus den USA läuft ab heute auf Arte.

Von Hendrik Efert | 16.10.2014
    Der australische Schauspieler Aden Young steht vor einem Plakat mit einem übergroßen Frauengesicht.
    Der australische Schauspieler Aden Young spielt die Hauptrolle in der US-Serie "Rectify". (picture alliance / dpa/ Sebastian Nogier)
    "Lieber himmlischer Vater, wir danken dir für diesen großartigen Tag, dafür, dass du Daniel befreit und uns zurückgebracht hast."
    19 Jahre saß Daniel Holden in der Todeszelle. Wegen einer neuen Beweislage wird er plötzlich entlassen. Entlastet vom Vorwurf der Vergewaltigung und des Mordes an einer Schülerin ist er dadurch nicht.
    "Daniel Holden hat mein kleines Mädchen ermordet. Er wurde zum Tode verurteilt."
    "Das Urteil wurde lediglich aufgrund einer Formalie aufgehoben, was ihn verdammt nochmal nicht zu einem Unschuldigen macht."
    Nur Mutter und Schwester glauben bedingungslos an Daniels Unschuld. Sein Stiefvater und vor allem dessen Sohn halten weniger bedingungslos zu ihm, sind hin- und hergerissen. Und die Mehrheit der Einwohner der Kleinstadt Paulie steht dem neuen alten Nachbarn feindselig gegenüber - inklusive Politik- und Polizeiapparat, dessen Personal zum Teil schon damals an Daniels Verhaftung beteiligt war.
    Wir befinden uns nicht an der liberalen Ost- oder Westküste der USA, sondern in den Südstaaten. Das hier ist der Bible Belt, der erzkonservativen Landstrich der USA, wo Waffengewalt, Todesstrafe und Selbstjustiz immer noch zum gesellschaftlichen Alltag gehören. Doch das "Wer hat's getan?" beziehungsweise hier abgewandelt in "Er hat's getan! Oder doch nicht?" gibt nur den Rahmen dieser Serie vor.
    "Senator! Laut unserer Quellen wird Mr. Holden trotz der DNA-Testergebnisse weiterhin als verdächtig betrachtet."
    Denn primär wird in "Rectify" die Geschichte eines Mannes Ende dreißig erzählt, der seine Jugend in Isolation verbracht hat, und der nun zögerlich, ganz zögerlich in die Welt zurückkehrt. Und der versucht, seine verpasste Jugend nachzuholen. So verbringt er Zeit an einer veralteten Spielekonsole, versucht sich mit Handys vertraut zu machen oder begleitet die Mutter beim Einkauf im Supermarkt.
    Bald verliebt Daniel sich in die Frau des Stiefbruders, lässt sich sogar von ihrem religiösem Eifer mitreißen. Alles fühlt sich so unrichtig an, man wünscht sich, Daniel würde schnell auf die richtige Spur kommen. Doch er handelt eben wie ein Jugendlicher im Körper eines Enddreißigers, weiß kaum, was richtig, was falsch ist, muss sich selbst in dieser Welt erst finden. Das alles ist nicht lächerlich oder komisch, es ist traurig, gleichzeitig brillant erzählt. Und macht auf abstrakte Weise bewusst, wie falsch Todestrakt und Hinrichtungen sind.
    "Daniel Holden hat gestanden, Hannah vergewaltigt zu haben. Er hat gestanden, Hannah getötet zu haben. Da wo ich herkomme, legt man Wert auf derartige Aussagen."
    Klar ist: Daniels damaliges Geständnis kam wohl eher unter widrigen Umständen zustande. Doch er selbst trägt zur Klärung der Schuldfrage nichts weiter bei - nach 19 Jahren im Todestrakt gibt es dafür wohl keine Energie und kein Bedürfnis mehr. So nimmt er auch alle Anfeindungen bis hin zu körperlicher Gewalt still und stoisch hin.
    "Wieso bist du nicht tot, Daniel Holden?!"
    Trotz dieser Haltung zeigt uns Schauspieler Aden Young einen vielschichtigen Charakter - mit wenigen Worten und großer Mimik. Das unterstreicht "Rectify"-Creator und Chefautor Ray McKinnon mit langen Einstellungen und dezenter Musik, erzählt ganz langsam, aber nie langatmig. Und obwohl sich McKinnon frei an verschiedenen prominenten Strömungen des gegenwärtigen Qualitätsfernsehens bedient - ermordetes Kleinstadtmädchen, Rückkehrer aus Gefangenschaft und Justizkritik - stellt "Rectify" dennoch eine neue und ungewöhnliche Erzählung dar. Ein bemerkenswertes Kunststück.
    Arte zeigt die sechsteilige erste Staffel der US-Serie "Rectify" in Doppelfolgen jeweils donnerstags ab 22.50 Uhr. Die zweite Staffel wurde in den USA bereits ausgestrahlt. Eine dritte ist angekündigt.