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Fernziel politische Union

In Spanien nehme man Angela Merkel sehr ernst - das sagt José Ignacio Torreblanca, einer der gefragtesten Gesprächspartner zu europapolitischen Themen. Um den Euro langfristig zu retten, müsse sich Europa verändern hin zu einer echten politischen Union.

Von Hans-Günter Kellner | 22.06.2012
    Angela Merkel wird in Spanien immer öfter zitiert. So auch diese Woche in der aktuellen Fragestunde im spanischen Parlament. Da warf der sozialistische Abgeordnete Odon Elorza der Regierung vor, aus Berlin ferngesteuert zu werden.

    "Sie haben die sozialistische Regierung beschuldigt, keine Entscheidungen zu treffen und eine Marionette der Europäischen Union zu sein. Merken Sie denn nicht, wie tollpatschig Ihre Regierung jetzt ist, überwacht von Merkel."

    Die Spanier machen Merkel für die Zerrbilder verantwortlich, in denen sie sich als faule Südländer diffamiert fühlen und meinen gleichzeitig, die Bundesregierung werde mit ihrer ablehnenden Haltung gegenüber den Vorschlägen aus Brüssel zur Lösung der Finanzkrise ihrer Verantwortung in Europa nicht gerecht. Es gebe gar keine europapolitischen Debatten mehr, beklagt der spanische Politikwissenschaftler José Ignacio Torreblanca:

    "Die Macht hat sich ganz klar nach Berlin und Paris oder sogar Berlin und Frankfurt verlagert. Die Krise beweist, dass Europa nicht funktioniert. Berlin ist damit überfordert. Gleichzeitig haben wir die europäischen Institutionen ausgehöhlt. Die EU-Kommission ist nur noch ein Gespenst, das durch die Medien geistert. Was Barroso sagt, ist ganz nett, aber es ist nicht relevant. Ich höre auch dem EU-Parlament gerne zu. Aber jeder weiß, dass man das Radio ebenso auch ausschalten kann, weil diese Reden keine Rolle spielen."

    Torreblanca ist einer der gefragtesten Gesprächspartner zu europapolitischen Themen in Spanien. Er ist der Spanien-Chef des europaweiten Thinktanks "European Council on Foreign Relations" und Kolumnist der spanischen Tageszeitung "El País". Er erinnert daran, dass Deutschland einmal Vorbild war, dass Spanien nach Francos Tod 1976 dem Modell des deutschen Bundesstaats oder der Sozialen Marktwirtschaft folgte. Doch dem deutschen Modell, die Krise ausschließlich mit harten Sparmaßnahmen zu bekämpfen, wollen die Spanier nicht folgen:

    "Wir sagen den Deutschen schon lange: Macht euch keine Sorgen, es gibt kein Problem mit dem Fiskalpakt, wir haben in der Verfassung eine Schuldenbremse verankert, die Fehler der Vergangenheit werden sich nicht wiederholen. Aber im Gegenzug müssen wir auch erkennen, dass der Euro und das europäische Haus nicht sturmsicher werden, solange allein die Märkte über alle unsere Möglichkeiten bestimmen. Wir müssen diese Währungsgemeinschaft vervollständigen. Wir haben keine echte gemeinsame Notenbank wie die USA. Die Märkte haben erkannt, dass es im Grunde keine gemeinsame Währung gibt."

    Denn ohne gemeinsame Wirtschaftspolitik, europäische Anleihen und ohne eine Zentralbank, die wie andere Notenbanken auf den Märkten Staatsanleihen aufkaufen kann, werde der Euro nicht überleben. Daher die Appelle von Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy - erst an die Europäische Zentralbank, dann an die EU-Kommission - Spaniens Anleihen auf den Märkten zu stützen. Spanien habe seine Hausaufgaben gemacht, jetzt sei Deutschland an der Reihe, so die Haltung in Madrid:

    "Auch für Deutschland kommt die Stunde der Wahrheit. Der Satz Merkels, dass Europa mit dem Euro fällt, ist ein nettes Bekenntnis. Aber die Rettung Europas und des Euro werden nicht umsonst sein. Dieses Europa in seiner jetzigen Form wird den Euro nicht retten können. Europa und der Euro werden sich verändern müssen. Doch in Deutschland denken viele, dass ein paar neue Regeln zur Haushaltsdisziplin uns den alten Euro zurückbringen. Das ist eine Illusion."

    Allerdings: Eine Fiskal- und Bankenunion, sogar eine gemeinsame Wirtschaftspolitik bedürfen auch einer demokratischen Legitimation, meint Torreblanca. Eine politische Union müsse in weiteren Schritten darauf folgen. Damit decken sich wieder die spanischen und deutschen Vorstellungen zur langfristigen Zukunft Europas. Der Politologe hat jedoch seine Zweifel, ob dabei auch der gemeinsame Nachbar, Frankreich, mitmachen möchte:

    "In Spanien nehmen wir Merkel sehr ernst, wenn sie von einer politischen Union spricht. Ich glaube, Merkel meint das auch ernst. Bei den Franzosen bin ich mir da nicht so sicher. Nach der Wiedervereinigung wollte Deutschland eine politische Union und die Franzosen dachten, mit ein bisschen Euro könnten sie Deutschland unter Kontrolle halten. Hollande wird sich entscheiden müssen, ob ihm ein bisschen Druck auf Deutschland ausreicht, dass das Wachstum stimuliert werden muss. Oder ist er bereit, über eine echte Union zu verhandeln? Ich glaube, Deutschland nimmt die Möglichkeit zu einer politischen Union viel ernster als Frankreich."