Mittwoch, 24. April 2024

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FES-Vertreter in Nairobi
"Inhaltliche Debatten haben im Wahlkampf nicht stattgefunden"

Bei der heutigen Wahlwiederholung in Kenia hat Oppositionsführer Raila Odinga zum Boykott aufgerufen. Beide Seiten hätten sich "in extreme Positionen eingefunden", sagte Henrik Maihack von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Nairobi. Um die Spannungen abzubauen, müssten die Verteilungskonflikte im Land gelöst werden.

Henrik Maihack im Gespräch mit Christiane Kaess | 26.10.2017
    Ein Mann gibt am 26.10.2017 in Gatundu, Kenia, während der umstrittenen Wiederholung der annullierten Präsidentschaftswahl seine Stimme ab. Trotz wochenlanger Unsicherheit und Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Neuwahl öffneten die Wahllokale.
    n Kenia hat am Donnerstag die Wiederholung der Präsidentschaftswahl begonnen. Der erneute Urnengang war notwendig geworden, nachdem ein Gericht die Wahl vom August für ungültig erklärt hatte (dpa / picture alliance / Ben Curtis)
    Christiane Kaess: Der Oppositionsführer tritt nicht an, der Vorsitzende der Wahlkommission zweifelt an der Rechtmäßigkeit der anstehenden Wahl und Massenproteste lähmen das Land. Kenia steht heute sogar eine gefährliche Wiederholung der annullierten Präsidentenwahl von Anfang August bevor. Sie findet wie jede Wahl in Kenia statt vor dem Hintergrund der Rivalität von Oppositionsführer Raila Odinga und Amtsinhaber Uhuru Kenyatta. Und der Urnengang könnte das Land wieder einmal ins politische Chaos stürzen.
    Verbunden sind wir jetzt am Telefon mit Henrik Maihack. Er ist Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kenias Hauptstadt Nairobi. Guten Morgen nach Nairobi!
    Henrik Maihack: Guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Herr Maihack, wir haben das gerade im Beitrag schon so ein bisschen gehört - die Spannungen der letzten Tage. Wie erleben Sie denn die Situation im Moment vor Ort?
    Maihack: Die Situation ist sehr angespannt, schon seit einigen Tagen. Heute Morgen sind die Wahllokale jetzt seit zwei Stunden geöffnet. Noch ist die Situation relativ ruhig. Ich habe heute Morgen auf den Straßen hier nicht viele Menschen gesehen. Ich glaube aber, dass heute viele Menschen nicht wählen gehen werden, nachdem die Opposition ja zum Boykott aufgerufen hat. Wir hören auch, dass bereits seit heute Morgen einige Wahllokale von Oppositionsanhängern blockiert werden, und das kann natürlich dann eine Dynamik entwickeln, die schwer zu kontrollieren sein wird.
    In dem Beitrag wurden die Proteste der letzten Tage schon angesprochen. Damit ist auch in den nächsten Tagen zu rechnen, auch in den Slums hier in Nairobi.
    Kaess: Das heißt, der Boykott der Opposition, der macht sich schon bemerkbar, obwohl ja eigentlich Raila Odinga immer noch auf dem Wahlzettel stehen soll.
    Maihack: Ja, er steht da noch drauf. Er hat aber ja gestern Abend erneut betont, dass er nicht teilnehmen wird. Er hat auch seine Unterstützerinnen und Unterstützer aufgefordert, ihren Nachbarn, ihren Freunden zu sagen, nicht zur Wahl zu gehen. Es hängt jetzt natürlich davon ab, wie damit umgegangen wird, ob das zu Protesten führt. Eine Situation, die eintreten könnte, ist, dass einer der 290 Wahlkreise komplett blockiert werden würde. Das würde dann wiederum ein größeres Problem mit der Verfassungsmäßigkeit der Wahlen heißen.
    "Schwierige Kompromissfindung"
    Kaess: Das heißt, es könnte sogar sein, wenn Anhänger Odingas nicht zu den Urnen gehen, dass die Wahl überhaupt nicht gültig wird?
    Maihack: Ja, das ist das Problem, in Ihrem Beitrag ja auch angesprochen. Wir erleben hier einen politischen Konflikt. Das Problem ist nur, dass diese politischen Konflikte dann meist vor Gericht ausgefochten werden. Das spricht natürlich einerseits für die Unabhängigkeit der Judikative in Kenia. Ein schönes Zeichen gerade auch, dass die Wahl vom 8. August ja wegen der Prozessmängel im Wahlprozess als ungültig erklärt wurde. Das war ja ein gutes Zeichen für Demokraten eigentlich auf dem ganzen afrikanischen Kontinent.
    Gleichzeitig kann man natürlich ein politisches Problem nicht alleine mit Wahlprozessen und vor Gericht ausfechten. Dafür braucht es einen Dialog, dafür braucht es Kompromissfindung, und die ist aktuell leider nicht abzusehen. Wir hoffen darauf, dass das nach dem Wahltag dann passiert.
    Kaess: Das heißt, dieser Schritt des Gerichts erst mal in Richtung Rechtsstaatlichkeit, der wird unter Umständen wieder im Keim erstickt, wenn Kenyatta gewinnen sollte. Er hat ja angekündigt, er werde das Gericht, so wörtlich, reparieren.
    Maihack: Ja, man muss jetzt abwarten, wie sich die Situation danach darstellt. Einerseits hat das Gericht natürlich auch deutlich gesagt, dass Wahlen innerhalb von 60 Tagen stattfinden müssten, die jetzt ja heute stattfinden. Andererseits deutete aber von Anfang an viel darauf hin, dass die Wahlkommission nicht in der Lage ist, diese Wahlen so durchzuführen.
    Das Bild zeigt die siebenköpfige Wahlkommission von Kenia, nebeneinander an einem Tisch sitzend. An dritter Stelle von rechts sitzt Roselyn Akombe, die aus der Kommission zurückgetreten und in die USA geflohen ist.
    Die Wahlkommission von Kenia. Roselyn Akombe (dritte von rechts) ist aus der Kommission zurückgetreten und in die USA geflohen. (AFP / Tony Karumba)
    Man muss aber auch im Auge behalten, dass es seit 2013, seit der neuen Verfassung, die im Jahre 2010 verabschiedet wurde, auch auf lokaler Ebene Wahlen gab, und diese Wahlen sind ja auch am 8. August gelaufen. Da kam es auch zu Regierungswechseln, da wurden teilweise auch Leute der Regierungspartei abgewählt. Es gibt also auch positive Zeichen.
    Gleichzeitig sind wir natürlich besorgt, dass es nach der Wahl dann zu demokratischen Verlusten geht. Das ist jetzt noch nicht klar abzusehen. Wir hoffen nicht, dass es soweit kommt.
    Kaess: Sie haben gerade die Wahlkommission angesprochen. Raila Odinga sagt ja, die Wahlkommission ist korrupt und so wäre eine faire Wahl nicht möglich. Was ist da dran?
    Maihack: Die Wahlkommission stand unter großem politischen Druck. Sie ist auch intern zerstritten. Vor einer Woche ist ja einer der Wahlkommissare auch zurückgetreten. Vor wenigen Tagen hat die Wahlkommission selbst gesagt, dass sie nicht in der Lage ist, aufgrund des politischen Drucks von beiden Seiten eine glaubhafte Wahl durchzuführen. Genau diese Reform der Wahlkommission hatte Odinga angemahnt. Er hatte sich aber gleichzeitig auch mit seinen Maximalforderungen von ihm und seiner Partei in eine Ecke gestellt, aus der dann ein Kompromiss nur noch schwer lösbar war. Wir haben sozusagen hier eine Situation, dass beide Seiten sich in extremen Positionen eingefunden haben, und da ist der Kompromiss schwer, und darunter hat dann auch die Wahlkommission gelitten.
    Viele Experten hatten im Vorfeld der Wahlen zu einer Verschiebung geraten. Die ist aber nicht eingetreten. Ein bedenkliches Zeichen ist in meinen Augen, dass gestern ein Eilantrag vor dem Verfassungsgericht lag – genau das Verfassungsgericht, was ja am 8. August für eine Neuwahl eingetreten war -, und dieses Gericht hat gestern nicht genug Richter aufbringen können, um darüber zu befinden. Man sieht also, es scheint hier eine Einschüchterung der Judikative stattgefunden zu haben. Man muss jetzt abwarten, was nach den Wahlen passiert.
    "Kenia hat ein historisches Verteilungsproblem"
    Kaess: Was heißt das denn, wenn dieses Gericht nicht mehr funktionsfähig ist? Was bedeutet das jetzt für die Zeit nach der Wahl?
    Maihack: Man weiß jetzt ja noch nicht, ob es auch über den Wahltag hinaus nicht funktionsfähig ist. Es hatte gestern nicht das notwendige Quorum. Es ist zu hoffen, dass es das danach wird. Aber wie gesagt, es ist nicht allein ein rechtliches Problem; es ist auch, wie in Ihrem Beitrag signalisiert, nicht allein ein Konflikt zwischen Ethnien.
    Kenia hat ein historisches Verteilungsproblem. Da geht es um Land, da geht es um wirtschaftliche Ressourcen und da geht es um den Zugang zu politischer Macht. Wenn dieses Verteilungsproblem, das sich seit der Kolonialzeit abzeichnet, nicht angegangen wird, dann wird es immer wieder in Wahlen zu genau solchen Problemen kommen.
    Hierzu müsste man stärker eine inhaltliche Debatte führen, mal darüber reden, wie das Wirtschaftsmodell wie umverteilt werden könnte, wie die vielen jungen Menschen im Land eine Arbeit finden können. Aber solche Debatten haben im Wahlkampf sehr wenig stattgefunden.
    Kaess: Jetzt erinnern sich, Herr Maihack, viele an diese Unruhen nach der Wahl 2007, als Odinga wieder einmal verloren hatte. Sehen Sie das Risiko, dass das Gleiche passiert?
    "Gewisse Müdigkeit im Oppositionslager"
    Maihack: In der Dimension sehe ich das Risiko aktuell noch nicht. Das ist aber natürlich immer sehr schwer vorherzusagen. Das hängt auch heute davon ab, wie sich zum Beispiel die Sicherheitskräfte, die Polizei verhalten, aber auch wie sich die gewaltbereiten Gruppen auf beiden Seiten verhalten, wie die Proteste laufen. Grundsätzlich muss man sagen, dass es 2007/2008 auch eine andere politische Konstellation gab. Deswegen ist es sehr schwer, das so zu vergleichen, und ich glaube auch, dass es im Oppositionslager eine gewisse Müdigkeit gibt, hier in dem Maße zu eskalieren. Aber wie gesagt: Es hängt vom Verhalten von beiden Seiten ab, aber eben auch in besonderer Weise von den staatlichen Sicherheitskräften. Deren Zurückhaltung auch am heutigen Tag ist sehr wichtig.
    Kaess: Ist seitdem, seit 2007 und diesen Unruhen, nichts passiert, wo beide Seiten, die Anhänger Kenyattas und die Anhänger Odingas, aufeinander zugegangen wären?
    Maihack: Es ist schon eine ganze Menge passiert seit 2007. Die angesprochene neue Verfassung gilt auf dem ganzen Kontinent als vorbildlich. Damals ging es ja nur um die Präsidentschaft, vor allen Dingen um die Macht, die politische Macht in Präsidentschaft und Parlament auf nationaler Ebene. Inzwischen durch die Verfassung wurde dezentralisiert. Man kann jetzt auch auf lokaler Ebene in ein Parlament einziehen. Man kann da über mehr Ressourcen bestimmen. Das hat die Situation sicher entschärft.
    Aber wie gesagt, es hat vor den Wahlen einfach wenig Kompromisslösungen gegeben und wenig Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten, und das ist natürlich ein Problem. Deswegen hoffen wir so sehr auf genau einen solchen politischen Dialog.
    Ein wichtiges Signal wäre, dass man auch den Kenianerinnen und Kenianern, die heute nicht zur Wahl gehen, nach der Wahl das Signal gibt, dass sie in der Zukunft des Landes eine Rolle spielen. Sonst sehe ich das Risiko für weitere Gewalt als sehr hoch an.
    Verteilungskonflikte lösen
    Kaess: Geht es denn Kenyatta und Odinga tatsächlich darum, im Land etwas zu verändern, oder geht es nur darum, wie es oft von außen so aussieht, die Posten unter den eigenen Leuten zu verteilen?
    Maihack: Zunächst mal führen sie ja große Koalitionen an, die jeweils aus verschiedenen Parteien bestehen. Klar kommt es innerhalb dieser Koalitionen dann auch zu einer Umverteilung. Die Korruption in Kenia ist hoch. Gleichzeitig glaube ich aber, kann man solchen Prozessen damit begegnen, indem der Druck aufgebaut wird, demokratische Kontrolle auszuüben. Dass so was funktioniert, zeigt ja das Urteil vom 8. August. Das zeigen auch diese Lokalwahlen. Solche Prozesse gilt es dann zu unterstützen. Es ist einfach nicht nur ein Konflikt zwischen zwei Personen. Es gibt ganze Landesteile, die sich historisch marginalisiert fühlen. Es gibt ganze Gruppen, die glauben, dass sie in Kenia bisher keine ausreichende Rolle gespielt haben, dass sie nicht von den großen Wachstumsgeschichten, die man über das Land immer hört, profitiert haben. Solange diese Verteilungskonflikte nicht gelöst werden, wird es immer schwierig bleiben.
    Technologie innovativ nutzen, angepasst an lokale Gegebenheiten - wie bei diesem von den Entwicklern von BRCK eingerichtete digitale Klassenzimmer in Nairobi  
    In Kenia leben sehr viele junge Menschen. (AFP / SIMON MAINA )
    Kaess: Herr Maihack, sagen Sie uns noch kurz zum Schluss, denn wir haben nicht mehr so viel Zeit: Was können Sie mit der Stiftung, was können Stiftungen wie die Friedrich-Ebert-Stiftung mit ihrer Arbeit in Kenia bewirken?
    Maihack: Als Friedrich-Ebert-Stiftung setzen wir uns genau für politischen Dialog ein. Wir arbeiten mit unseren Partnern daran, dass Kompromissbereitschaft steigt, dass inhaltliche Diskussionen stattfinden. Gleichzeitig unterstützen wir unsere Partner aus Gewerkschaften, aus Zivilgesellschaft, aber auch aus der Politik dabei, sich bei ihren Bemühungen für eine gerechtere Verteilung in Kenia einzusetzen. Dabei setzen wir den Schwerpunkt auf junge Leute, weil die ja die große Mehrheit im Land sind, und das zeigt auch Früchte. In so einer schwierigen Situation aktuell jetzt natürlich schwierig, aber wir arbeiten natürlich daran weiter.
    Kaess: … sagt Henrik Maihack. Er ist Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Nairobi. Danke für das Gespräch heute Morgen.
    Maihack: Danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.