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Fesselnde Erinnerungen

Die oberschwäbische Schriftstellerin Maria Beig hat mir ihren Erzählungen aus einer dörflichen Welt nicht nur Martin Walser überzeugt. Sie wurde für ihre Bücher mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Nun ist mit "Ein Lebensweg" eine Autobiografie der 89-jährigen Autorin erschienen.

Von Christel Freitag | 09.06.2009
    In dem ihr eigenen, schnörkellosen Stil erzählt Maria Beig ein Leben, das kurz nach dem 1. Weltkrieg beginnt und bis in die Gegenwart reicht. Zum ersten Mal schreibt die Autorin über ihr eigenes Leben, schreibt sich manches von der Seele.

    "I heb auch in Ich geschriebe. Das erschde, was ich in Ich-form geschriebe hab und do hon i nadürlich müsse bei der Wahrheit bleibe." (lacht) "

    Maria Beig wird 1920 als siebtes Kind von mehr als einem Dutzend Kindern auf einen oberschwäbischen Bauernhof geboren. Sie besucht die Volksschule und die Frauenarbeitsschule. Ab 1936 absolviert sie eine Ausbildung zur Hauswirtschafts- und Handarbeitslehrerin. Sie hat es nicht immer leicht. Der jähzornige, trinkfreudige Vater mag sie nicht und schaut sie kaum an.

    " "Die größere Mädle, die hübschere hat er lieber möge und die jüngere ja auch, die große. I war immer die Kleinscht und die Empfindlischt und han viel geweint und des hat er gar net brauch kenne."

    Doch Maria muckt nicht auf und hilft, wo sie kann. Als der Vater im letzten Kriegsommer sterbenskrank im Bett liegt, ahnen die Schwestern, dass ihnen für die Beerdigung die passende Kleidung fehlt.

    "Ich konnte ein bißchen schneidern. So versuchte ich’s mit Vaters wenigstem guten Anzug. Er zog diesen an, wenn er zur Kartoffelablieferung und dergleichen fuhr. Die zertrennte Hose ergab den Rock. Das Jackett bedurfte ein paar Abnäher wie Kürzungen. Auf die vorhandenen Knopflöcher setzte ich die Knöpfe und nähte rechterseits schöne Knopflöcher. Das komplette Kostüm!" Auszug aus Maria Beig: Ein Lebensweg. Klöpfer & Meyer, Tübingen 2009, S. 14ff

    Jeder Schwester hätte es gepasst. Nach und nach verwandelt sich jeder Sonntagsanzug in ein gediegenes dunkles Kostüm.

    "I weiß nit, was meine Schwester dazu saget, dass i des geschriebe han, aber do hat ma halt nix kaufe kenne und do het mer gewißt, dass der Vater nimmer gesund werde kann und do han mer uns halt über die Anzüg hergemacht. Jo, i hoff, dass do manche Leut lache drüber. So traurigs war." (lacht)

    Marias Kindheit ist alles andere als lustig. Von klein auf muss sie mit den Pferden ackern, in Kuh- und Schweinestall melken und misten, kochen, backen und waschen. Ständig wird sie ermahnt, etwas Anständiges zu lernen.

    "Ich hatte ein halbes Dutzend Schwestern, doch so dringend wie anhaltend sagte man es zu keiner von ihnen. Es war abzusehen, dass diese große, schöne Frauen werden. Nur eben bei mir war solches zweifelhaft. In jedem Alter war ich etwas zu klein, ein bißchen vierschrötig. Weder war ich schwarzhaarig noch blond wie manche andere Schwester, sondern mit ganz gewöhnlich braunen Haaren. Als ich dann in der Schule ordentlich lernte, kamen Eltern, größere Geschwister, Verwandte, sogar Nachbarn zur verstiegenen Ansicht, daß ich etwas zu werden habe." Auszug aus Maria Beig: Ein Lebensweg. Klöpfer & Meyer, Tübingen 2009, S. 58

    Während sich die älteren Töchter in vornehmen Haushalten eine Stelle suchen, gibt es für Maria einen ganz anderen Plan.

    "Also, eine Klosterschwester wollte oder sollte ich werden. Das war entschieden, als ich etwa acht Jahre alt war. An den Anlaß erinnere ich mich nicht mehr, als die Zweitälteste am Mittagstisch sagte: "Sie soll ins Kloster gehen. Die bekommt doch keinen Mann." Auszug aus: Maria Beig: Ein Lebensweg. Klöpfer & Meyer, Tübingen 2009, S. 59,60

    Zur großen Überraschung aller besteht Maria die Aufnahmeprüfung zur Ausbildung als Hauswirtschaftlehrerin. Das erste Jahr ihrer Anstellung ist schwierig. Sie wird permanent kritisiert und kontrolliert. An ihrem nächsten Dienstort lernt sie im Kino einen jungen Soldaten kennen und wird unverhofft schwanger.

    "Den hon i quasi verleugnet, no nit amol der Dochter han i’s gesagt."

    "Es war in mir ganz leer. Plötzlich stand die Mutter da. Sie sprach ganz laut:... Das war immer dein Fehler, du glaubst allen Leuten!" "Ich nehme mir das Leben." "Nein!" Jetzt schrie die Mutter beinahe. "Das wirst du nicht! Eine Schande auf die andere häufen! Wer sich so Dummes einbrockt, muß es auslöffeln. Denke nicht immer, ob es dir gefällt oder nicht. Tu deine Arbeit richtig!" Auszug aus: Maria Beig: Ein Lebensweg. Klöpfer & Meyer, Tübingen 2009, S. 97

    Die Wochen vor und nach der Geburt ihres Sohnes verbringt Maria in einem Heim. Der Kindsvater ist auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Doch Maria schafft es. Sie arbeitet an verschiedenen Schulen, heiratet und bekommt eine Tochter. 1977 geht sie in den vorzeitigen Ruhestand und beginnt zu schreiben. Ihr Vokabular beschränkt sich auf das, was jeden Tag und mit der Spontaneität des Augenblicks gesagt wird. Ihre Sätze sind einfach, sperrig, spröde. Und doch fesseln ihre Erinnerungen. Unwillkürlich will der Leser diese tapfere Frau auf ihrem weiten Weg zu sich selbst begleiten. Ein kleines, feines Buch, das gerade in seiner Schlichtheit berührt.


    Maria Beig: Ein Lebensweg
    Klöpfer & Meyer
    EUR 17,50