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Festival "Berlin VoguingOut"
Der urbane Tanz New Yorks

Voguing ist ein urbaner Tanz, der heute durch Film, Musikvideos und Internet so sichtbar ist, wie nie zuvor. Entstanden ist Voguing, abgeleitet vom Wort Vogue, für Mode, unter afroamerikanischen und lateinamerikanischen Homo- und Transsexuellen im New York der 1960er Jahre. Das Festival Berlin VoguingOut lädt in diesen Tagen dazu ein, Voguing zu lernen und zu bewundern.

Von Franziska Buhre | 12.08.2014
    Models gehen mit neuen Frisuren über einen Laufsteg.
    Beim Voguing werden Posen und Bewegungen von Models auf Laufstegen nachgeahmt. (dpa / picture alliance / Oliver Berg)
    "Vogue ist ursprünglich von Magazinen beeinflusst. Es ist eine Abfolge von Fotos in Bewegung. Wir übertragen unseren dreidimensionalen Körper in ein zweidimensionales Medium innerhalb eines unregelmäßigen Metrums. Denn Vogue ist kein natürlicher Tanzstil. Mitunter schmerzt er, sieht dabei aber scharf aus."
    Archie Burnett ist Voguing-Tänzer aus New York und so etwas wie der Patenonkel des Festivals Berlin VoguingOut. In seinen Workshops sind Tanzbegeisterte willkommen, ganz gleich, ob unerfahren oder fortgeschritten, schüchtern oder von vornherein expressiv.
    Ausdruckstanz für jedes Alter
    Beim Voguing ist jede Bewegung rhythmisch und sie prägt sich besser ein, wenn man sie mitsingen kann. Bei zügigen Schritten auf den Fußballen am Platz stoßen die Hüften nach außen, die Schultern schnellen dabei Richtung Becken. Man darf nach Herzenslust übertreiben, sollte aber trotzdem exakt bleiben.
    Ein Herzstück beim Voguing ist das Gehen über einen imaginären Laufsteg. Archie Burnett macht es vor: Die Hüften vorgeschoben einen Ballen vor den anderen setzen, mit dem Spiegelbild flirten, genüsslich posieren und zurück stolzieren. Während andere urbane und künstlerische Tanzformen die eigentliche Fortbewegung versuchen zu verschleiern, ist das Gehen im Voguing essenziell, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Man zeigt sich, auch wenn man nichts hat, was Ruhm und Anerkennung bedeutet. So entstand Voguing Ende der 60er Jahre in New York: Die jungen Afroamerikaner und Latinos der Schwulen- und Transgenderszene waren von ihren Familien geächtet, gesellschaftliche Außenseiter, arm und auf sich selbst gestellt.
    Archie Burnett mahnt deshalb, sich mit den Hintergründen der Voguing-Kultur zu beschäftigen.
    "Als ich anfing, habe ich überhaupt nicht in Magazine geschaut. Weil es mir darum ging, zu sehen, wie die Menschen sich bewegen und ich dachte, Wow, das ist irgendwie verrückt!' Die meisten Menschen lernen einen Tanz von außen nach innen. Aber hier geht es um eine Kultur aus dem wahren Leben. Also muss man seine Wahrnehmung ändern und den Tanz von innen nach außen lernen. Man muss sich fragen, was diese Leute eigentlich motiviert."
    Wettstreit um Aufmerksamkeit
    Im Wettstreit um Aufmerksamkeit auf dem Runway, den Laufsteg also, müssen die eigenen Gesten sehr präzise sein und man muss sein Gegenüber lesen können. Die Hände zeigen, bis hierhin und nicht weiter', berühren den eigenen Körper voller Stolz oder schnipsen die Performance des Anderen zu Staub.
    Das Gesicht wird von den Fingern wie von prachtvollen Federn umrahmt oder dem Gegenüber mit der flachen Hand unterm Kinn serviert. Die Arme hacken oder schneiden vor dem Körper durch die Luft, genannt wird das, chopping' und slicing'.
    "Ein Teil der Ballroom-Kultur ist im Gefängnis entstanden. Die Insassen erfanden diese speziellen Vorführungen zu Unterhaltungszwecken. Du hast keinen Zugriff auf irgendetwas, wenn du eingesperrt bist. In Magazinen aber siehst du, was alles zusammenpasst. Du hast es nicht, also stellst du es dir vor. Das weckt erstens Kreativität und zweitens, Einfallsreichtum. Die Insassen handelten mit allem Möglichen, um etwas zu bekommen, mit dem sie so aussehen konnten als ob sie jemand anders wären. Wenn sie dann aus dem Gefängnis kamen, besorgten sie sich diese Sachen, ob legal oder illegal. Um so auszusehen, Als-ob."
    Voguing ist sehr verspielt und lebensfroh
    Beim Festival Berlin VoguingOut werden nicht nur prächtige Roben von Tänzerinnen und Tänzern zu sehen sein, sondern auch von Nachwuchsdesignern. Die Vorauswahl, Runway Preselection, und der eigentliche Ball stehen ganz im Zeichen von Ostasien: Drachen und Samurai werden auftreten, Figuren aus der Pekingoper und Geishas. Trotz aller Regeln ist Voguing sehr verspielt und lebensfroh. Und deshalb auch so ansteckend:
    "Hier ist also ein Tanz, der aus einer gespaltenen Gesellschaft kommt. Aber er hat für jeden eine Anziehungskraft, etwas, das sich jedem Menschen vermittelt. Ich nenne mich selbst einen Heterosexuellen, der in einer Schwulenszene aufgewachsen ist - weil wir dasselbe gesucht haben. Du willst einfach frei sein und dich ausdrücken. Wenn du dafür eine Gemeinschaft und einen sicheren Hafen hast, entsteht Schönheit."
    Franziska Buhre berichtete über das Festival Berlin Voguing Out, das noch bis zum 16. August in Berlin stattfindet. Am morgigen Mittwoch ist der Film „How do I look" von Wolfgang Busch über die legendäre Voguing-Szene in New York zu sehen, am Donnerstag und Freitag spielen der New Yorker DJ Vijuan Allure und der DJ und Modejournalist Jan Kedves alias House of Shade für die Tanzenden und das Publikum im Theater im Aufbauhaus. Tanzworkshops können noch bis Samstag besucht werden.
    Weitere Informationen unter berlinvoguingout.de