Donnerstag, 28. März 2024

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Festival IMPULS in Sachsen-Anhalt
Löwen wecken

"Neue Musik lecker machen" ist das Credo des niederländischen Dirigenten und Kulturmanagers Hans Rotman. Damit ist er vor neun Jahren angetreten, um ein Festival für Neue Musik zu gründen, welches ein ganzes Bundesland umfasst. IMPULS, so der programmatische Name, steht immer wieder für spannende Uraufführungen oder Projekte - auch in diesem Jahr.

Von Claus Fischer | 21.11.2016
    Szenenbild beim IMPULS Festival mit Ghada Khallef, Elena Blüm, Constanze Jeschonek, Farid Nader, Gregor Behrendt, Bishr Khaiat
    Spannende Einblicke in neue Musikwelten - beim IMPULS Festival (Markus Scholz)
    Musik: Kristjan Järvi, "Krysis Nebula"
    Es ist ziemlich ungewöhnlich und spricht für große Wertschätzung, wenn ein Stardirigent zur Eröffnung eines Festivals für Neue Musik eine eigene Komposition beisteuert. "Krysis Nebula" lautete der Titel des Werks von Kristjan Järvi, dem Chef des Sinfonieorchesters des Mitteldeutschen Rundfunks. Musik, die artverwandt scheint mit der seines estnischen Landsmannes Arvo Pärt und die unter dem Art-Deco-Sternenhimmel des Steintor-Varietés in Halle an der Saale besonders ausdrucksstark wirkte. Das in Leipzig beheimatete MDR-Sinfonieorchester war von Anfang an Gast bei Sachsen-Anhalts größtem Festival für Neue Musik. Die Grundpfeiler des Programms, so betont der niederländische Intendant Hans Rotman, bilden allerdings die sechs großen Kulturorchester des Bundeslandes.
    "Das kann ein kleines Orchester sein im Harz wie Wernigerode, oder das Orchester des Nordharzer Städtebundtheaters. Es kann die Staatskapelle Halle sein oder das große Theater Magdeburg. Es kann die Anhaltische Philharmonie sein in Dessau."
    Diese Kooperation ist das Markenzeichen von IMPULS.
    "Das gibt es in Holland nicht, das gibt es in Belgien nicht, das gibt es auch in Deutschland nicht, daß Landesorchester sich zusammentun, wenn das Wetter schlecht wird, und sich für die Neue Musik einsetzen."
    "Löwen, die einander wecken, ist ein Bild von unglaublicher Intensität…",
    sagt Hans Rotman.
    "Ich weiß nicht, ob sie das mal gesehen haben in einem Tierfilm – Zeichen der Kraft und der Würde auch."
    Komponisten-Workshop im Bauhaus Dessau
    Konkret greifbar wurde das Festivalmotto bei einer Musikwerkstatt im Bauhaus Dessau, dem Ort der Moderne in Sachsen-Anhalt schlechthin. Fünf Studentinnen und Studenten im Fach Komposition arbeiteten dabei mit der Komponistin Annette Schlünz. Die Aufgabe war es, Texte aus Bertolt Brechts nachgelassenem Werk "Flüchtlingsgespräche" in einem etwa zehnminütigen Stück zu verarbeiten. Warum Annette Schlünz gerade diese Texte vorgeben hat, liegt auf der Hand:
    "Die Aktualität muß auch in der Musik präsent sein, sie beschäftigt uns. Man kann nicht abgehoben von der Realität schreiben und leben."
    Die fünf Teilnehmer des Workshops brachten ihre fertigen Kompositionen mit nach Dessau, um sie dann in intensiven Gesprächen untereinander und mit Annette Schlünz zu vervollkommnen.
    "Natürlich haben wir über Identität und Toleranz und die damit verknüpften Momente gesprochen. Aber natürlich ging es immer um Musik. Wie setzt man einen Text um? Wie komponiere ich heute Brecht? Analysiere ich ihn zuerst? Ist der Inhalt das Wichtigste? Ist die Sprache das Wichtigste? Alle fünf Komponisten sind anders herangegangen."
    Die Uraufführung der fünf neuen Werke übernahm IMPULS-Intendant Hans Rotman persönlich, mit Gesangssolisten und der Mitteldeutschen Kammerphilharmonie Schönebeck.
    Musik: Leyan Zhang, "Flüchtlingsgespräche"
    "Ich hab früher sehr wenig mit Text gearbeitet."
    …sagt Workshopteilnehmerin Leyan Zhang. Sie kommt aus dem chinesischen Shanghai und studiert derzeit in Deutschland. Daß hier ohne Scheuklappen z.B. über Politik diskutiert werden darf, findet sie spannend.
    "In China ist es nicht so offen mit Politik. Und wir dürfen auch nur gute Sachen schreiben normalerweise, sonst können wir nicht weiter leben. Hier die Leute sind offener mit Politik. Deshalb hatten wir auch die Chance, politische Sachen zu bearbeiten mit Musik. Ich find das eigentlich sehr spannend."
    Mit dem alljährlichen Komponistenworkshop sichert sich das IMPULS-Festival für die kommenden Jahre auch einen Teil seines Programms, betont Intendant Hans Rotman; denn die besten Absolventen werden natürlich mit weiteren Uraufführungen beauftragt:
    "Wenn ich eine gute Stimme höre, dann ist die im nächsten Jahr wieder dabei!"
    Bemerkenswertes Jugendtheaterprojekt "Wind der Freiheit"
    Das Festivalmotto "Löwen wecken", es passte besonders auch zum diesjährigen Jugendprojekt im Programm. "Wind der Freiheit" hieß ein Theaterstück, das die renommierte Hamburger Regisseurin Astrid Vehstedt mit sechs Jugendlichen gemeinsam entwickelt und aufgeführt hat. Drei von ihnen kommen aus Magdeburg, die anderen sind Geflüchtete aus Syrien und Tunesien. Dem Stück zugrunde, so Astrid Vehstedt, lag ein Buch mit poetischen Texten von Frauen aus dem Irak:
    "Mitternacht in der Totenstadt. Die Männer sind entführt oder getötet. Oder sie sie sind Mörder. Also es geht um Bagdad heute."
    Die kriegstraumatisierten Frauen erscheinen auf der Bühne verfremdet, als drei verzauberte Prinzessinnen in einem Märchen aus 1001er Nacht. Zwei Wanderer kommen in deren Schloß und müssen miterleben, wie die Frauen einen Hund mit der Peitsche blutig schlagen und ihn dann liebkosen. Hier wird klar, was Krieg mit der menschlichen Seele macht, und was Flucht in die Freiheit bedeutet. Mit Hilfe von Videoinstallationen und zwei Schlagzeugern entstand so eine Revue des Grauens, aber auch der Hoffnung auf die Überwindung menschlichen Leids. Die sechs jungen Protagonisten spielten exzellent, dank der großartigen Personenführung von Astrid Vehstedt.
    "Für mich das hier ist Integration,"
    …sagt der 17-jährige Beschir Hayad, der vor einem Jahr mit seinen Eltern aus Syrien geflüchtet ist und bereits hervorragend Deutsch spricht.
    "Wenn wir zusammenarbeiten, um ein Projekt herauszubringen, das gefällt mir immer. Theater gefiel mir immer, auch als ich jünger war. Und jetzt die Gelegenheit mit solch fantastischen Leuten zu arbeiten, ist auch sehr schön."
    Beschir Hayad möchte später Medizin studieren und Arzt werden. Nach der Uraufführung von "Wind der Freiheit" beim Impuls-Festival liebäugelt er aber auch mit einer Schauspielerkarriere. Auf jeden Fall ist es ihm wichtig, durch die Kunst dem deutschen Publikum zu zeigen, wie es in den vom Krieg betroffenen Teilen der Welt aussieht.
    "Wir wissen das, was passiert. Aber die Leute von hier wissen das manchmal gar nicht. Und die Fähigkeit, daß wir das darstellen können und diese Nachricht zu den Leuten zu bringen, das war auch sehr wichtig für mich!"
    Neue Musik im Kontext unserer schwierigen Gegenwart – die neunte Ausgabe des Festivals IMPULS zeigte exemplarisch, das Kunst und Lebenswirklichkeit nicht zwei verschiedene Welten sind, sondern zusammengehören. Und daß es gerade heute im wahrsten Wortsinn "not-wendig" ist, Löwen zu wecken, die den Mut haben, gegen Haß und Ignoranz aufzustehen.