Freitag, 19. April 2024

Archiv

Festival "Krieg singen" in Berlin
Der Soundtrack zum Töten

Obwohl die Islamisten des IS einen fundamentalistischen Staat herbeibomben möchten, der jegliche Popmusik verbietet, sind ihre Propagandavideos unterlegt mit genau solcher Musik. Kriegspropaganda ohne Musik funktioniert einfach nicht. Genau dieser seit Jahrhunderten bestehende Verbindung von Krieg und Musik widmet sich in Berlin das Festival "Krieg singen".

Von Dieter Wulf | 13.01.2016
    Wann begann die Gegenwart? Im Berliner Haus der Kulturen der Welt glaubt man die Antwort zu kennen und hat daraus einen Titel gemacht: "100 Jahre Gegenwart". Bis 2019 beschäftigen sich etliche Projekte, Ausstellungen und Veranstaltungen mit dem letzten Jahrhundert, das auch von blutigen Kriegen geprägt war. In diesem Rahmen läuft ab morgen das Musikfestival "Krieg singen".
    Verantwortlich ist Detlef Diederichsen, der im Haus der Kulturen der Welt den Bereich Musik leitet.
    "Die Hauptfrage, das Dach über allem ist die Frage: woher kommt diese enge Verbindung zwischen Musik und Krieg. Wieso hat jede Armee ein Musikkorps aber nicht etwa eine Malereiabteilung oder eine für Poesie oder ähnliches. Wieso nutzen Leute wie beispielsweise in Ruanda, die zu einem Bürgerkrieg aufstacheln wollen, als erstes Medium dazu Musik."
    "100 Jahre Gegenwart" schließt an ein anderes Großprojekt im Haus der Kulturen an. Nachdem man zuletzt der Frage nachging, wie der Planet Erde durch den Menschen verändert wird, nehmen die Verantwortlichen jetzt die Geschichte seit dem ersten Weltkrieg in den Blick. Und wie bei früheren Festivals gibt es Diskussionen, Kunstinstallationen und Konzerte.
    "Wir haben als vielleicht bekanntesten Act die Gruppe Laibach aus Slowenien, die sich ja in ihrer Ästhetik auf unterschiedliche Art dem Thema Krieg und Armeen oder Gewalt annähern."
    Aber auch karibische Rhythmen werden präsentiert, die erst mal so gar nicht kriegerisch daher kommen.
    Was man hier als Aufnahme der 1930er- und 40er-Jahre hört, wird auf dem Festival von der Berliner Big Band Tobago Crueso and the Calypso Katz live präsentiert.
    "Krieg war weit weg, aber was sie kannten, waren ja die Engländer und eben auch englische Soldaten und die hielten sie für unschlagbar und insofern haben sie sich darüber lustig gemacht, dass Herr Hitler sich auf das wahnsinnige Unterfangen begibt, England anzugreifen ... Das ist doch völlig klar dass das in die Hose gehen muss."
    Natürlich will das Festival unterhalten, aber es geht eben auch um mehr, meint Detlef Diederichsen.
    "Es geht eher um Emotionalität, um die Frage, warum ist Gewalt sexy, warum ist Krieg sexy, warum rockt Krieg... Es kann Techno-Musik sein, zu der heute Abend im Berghain getanzt wird, das unterlegen die Propagandaleute der russischen Armee zu ihren Drohnenvideos aus Syrien, so dass auf Facebook schon eine Diskussion entstanden ist, was machen die da mit unserer Musik und wieso kann unsere Musik plötzlich dazu dienen, Kriegshandlungen zu rechtfertigen. Das sind so die Dinge, zu denen wir hier neue Erkenntnisse erhoffen."
    Diskutieren will man auch über das Medium Radio. Eine Installation des Künstlers Milo Rau erinnert an den ruandischen Sender RTLM, der seine Hörer mit Pop Hits anfeuerte, um sie dann zum Völkermord aufzufordern. Aus seinem Theaterstück "Hate Radio" sieht man eine Kulisse aus Mischpult, Sprecherkabine und Mikrofon. Video Sequenzen zeigen Aussagen von Überlebenden des Genozid.
    Auch müsse man daran erinnern, dass die ersten Radios von Militärtechnikern im ersten Weltkrieg entwickelt wurden, meint Kurator Detlef Diederichsen.
    "Hätte es diesen Krieg nicht gegeben, wäre diese Technologie nicht oder nicht so schnell entwickelt worden. Da kann man also sagen, da steckt in dieser Technologie so eine gewisse kriegerische DNA mit drin."
    Kriegerische Heldentaten wurden wohl schon immer besungen. Glaubt man den Veranstaltern im Haus der Kulturen aber, wurde die Popmusik und auch das Radio in den letzten hundert Jahren immer wieder selbst zur Waffe.