Montag, 18. März 2024

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Festival "Spy On Me"
"There's no way back"

Internet-Riesen wie Amazon und Facebook sammeln massenhaft Daten von ihren Nutzern. Das neuntägige Festival "Spy On Me" im Berliner HAU hinterfragt mit Kunstaktionen unseren Umgang mit Big-Data-Unternehmen, will aber nicht nur Dystopien aufzeichenen.

Annemie Vanackere im Corsogespräch mit Christoph Reimann | 18.01.2018
    Die Intendantin des HAU (Hebbel am Ufer), Annemie Vanackere.
    Die Intendantin des HAU (Hebbel am Ufer), Annemie Vanackere. (picture alliance / dpa / Britta Perdersen)
    Christoph Reimann: Alle sind sie da. Das gilt auch für Google, Facebook und Co. – sie sind die ständigen Gäste unserer Privatsphäre. Big-Data-Unternehmen spionieren uns aus – und wir machen bereitwillig mit. Die Regierungen dieser Welt schauen zu oder sie übertreiben es mit Regulierungen. Im Berliner HAU findet nun eine neuntägige Veranstaltungsreihe mit dem Schwerpunkt Big Data statt. "Spy On Me" heißt die, und Intendantin des Hebbel am Ufer ist Annemie Vanackere. Hallo zum Corsogespräch.
    Annemie Vanackere: Guten Tag, Herr Reimann.
    Reimann: Frau Vanackere, die Internet-Riesen, die sammeln massenhaft unsere Daten. Das wissen wir. Das wurde auch in verschiedenen Performances und Kunstaktionen längst aufgegriffen. Warum braucht es jetzt noch den Themenschwerpunkt im HAU?
    Vanackere: Es wär, als ob man sagen würde, wir haben doch schon so viele Stücke über Tod und Liebe, warum machen wir nochmal weiter. Ich glaube, es gibt immer wieder neue Aspekte und Elemente und andere Künstler, die sich neue Perspektiven aneignen und dann doch wieder neue Formen finden, um darüber zu sprechen. Und ich glaube, dass die Premieren, die wir heute und morgen feiern werden, von doublelucky productions - Chris Kondek, Christiane Kühl und andcompany & Co. eine sehr unterschiedliche Annäherungsweise zeigen werden. Und dieser Schwerpunkt ist so zustande gekommen, dass wir in den Gesprächen mit unterschiedlichen Künstlerinnen erfahren haben, dass es sie bewegt hat, und deswegen haben wir auch versucht, das auch zu bündeln und dazu auch noch eine Diskussion zu organisieren und die junge Gruppe Peng! Kollektiv dazu zu laden, mit deren Spionen-Show "Co-Spy".
    Reimann: Tja, also mit "Spy On Me", da soll dem Effekten der Überwachung auf unser Selbst und die Gesellschaft nachgegangen werden, so heißt es im Pressetext. Wenn Sie mal eine Veranstaltung herauspicken: Was kann man sich denn da genau vorstellen?
    Vanackere: Also ich habe gesprochen über unterschiedliche Perspektiven. Ich nehme diese von doublelucky productions, die diese Selbstüberwachung als Thema genommen haben und selbst experimentiert haben mit - zum Beispiel - einer Schlafapp. Die Performerin Christiane Kühl hat das selbst an sich experimentiert und auch erfahren, dass sie meinte, ich schlafe eigentlich nicht gut, und die App hat bewiesen, genau, ich schlaf nicht gut, weil der Graph gezeigt hat, dass sie 20 mal in der Nacht wach war. Und so hat sie sich selbst versucht, zu disziplinieren, um besser zu schlafen. Wissend, dass sie die Daten damit eigentlich abgibt, weil die Daten gehören nicht ihr, aber der App, dass da was passiert, das eigentlich sehr doppeldeutig ist. Und die Performance - ich war gestern in der Generalprobe - macht das sehr erfahrbar, weil die auch an einen Teil des Publikums auch einen Herzzähler ausgeben, sagt man das so? Den Herzschrittzähler, so dass man selbst auch mit erfährt, was das bedeutet - man sieht das dann projiziert auf dem großen Schirm -, was das bedeutet, wenn man sich vermisst und quantifiziert, und wenn wir das alle machen. Also es geht sehr über den 'Spy in me', als den 'Spy on me'.
    "Ein Bewusstsein darüber schaffen, was mit den Daten passiert"
    Reimann: Und welches Ziel verfolgt diese Performance? Also ist das eine Art Erklärstück, das ein Bewusstsein schaffen möchte? Oder wird vielleicht auch so eine Art, tja, Dystopie einer nahen Zukunft gezeichnet damit?
    Vanackere: Ja, das ist eine sehr gute Frage. Weil, also, ich glaube, was das Stück erfahrbar macht, ist einerseits der Spaß daran, um das mit dem Messen an sich zu versuchen und zugleich hat es diesen bitteren Beigeschmack oder das Bewusstsein, dass man Bewusstsein haben muss, dass diese Daten auch Ware sind. Dass man mit diesen Daten Geld machen kann, nicht ich mit meinen Daten, aber die Companies, die die Daten verwerten. Also es ist eigentlich kein Lehrstück in diesem Sinne, aber es macht etwas noch wieder viel präsenter, weil ich glaube, dass alle Künstler, mit denen wir arbeiten, auch wissen, there's no way back. Ja, also es geht jetzt nicht um, da müssen wir alles vermeiden, weil die bösen Companies, die die Daten verkaufen, aber ein Bewusstsein dafür zu haben, dass es das ist, und was man macht, wenn man seine Daten ausgibt.
    Reimann: Und diese neuen Möglichkeiten, die eben auch Apps geben, die eben auch Analysemethoden von Daten geben, die ermöglichen vielleicht auch erst bestimmte Formen von Kunst, von Kunstwerken.
    Vanackere: Auf jeden Fall ist es so bei doublelucky productions, weil ein Teil der Company ist Nathan Fain, er ist beruflich auch Hacker, und der - also, ich spreche mal für mich, Herr Reimann, vielleicht ist das bei Ihnen anders - aber der weiß ganz genau, wie die Technologie funktioniert und was da möglich ist. Und das macht er immer präsent in den Stücken. Wir haben noch eine andere Produktion von der Company, "You Are Out There", wo es echt um Doppelgänger geht. Und da wird eigentlich - einen digitalen Doppelgänger selbstverständlich -, aber dieser digitalen Doppelgänger hat fast mehr Realität und Wahrheit in Anführungszeichen, als diesen echten Menschen, die dahinterstehen. Und das macht er auch wieder mit seinem technologischen Wissen sehr präsent in diese Produktion, und das finde ich das Spannende an dieser Gruppe.
    Umbruchphase mit Potenzial?
    Reimann: Jetzt haben Sie gesagt, es gibt keinen Weg zurück, keinen Weg mehr in eine Zeit vor den Datensammlern. Aber die Frage ist doch dann auch, tja, wir reichern diese Unternehmen, Google, Amazon, Facebook, viele andere täglich mit unseren Daten an, weil wir auch davon profitieren. Läuft da nicht so eine Veranstaltungsreihe wie "Spy On Me" Gefahr, dass man - klar, man schaut sich das vielleicht an - aber es geht ohne großen Mitnahmeeffekt an dem Besucher vorbei? Weil man kann doch gar nicht mehr ohne diese Netzwerke wirklich leben in unserer heutigen Zeit.
    Vanackere: Lassen Sie mich mal so sagen. Ich würde dann doch gerne etwas über andcompany & Co. erzählen, die "Colonia Digital, The Empire Feeds Back" machen und morgen Premiere feiern. Die greifen auch zurück auf einen historischen Moment in den 70er Jahren, wo in Chile diese 'Kommunistenmaschine' - wurde es genannt - eine Solid Operation, wo Salvador Allende versucht hat, mit Kybernetik die Volkswirtschaft zu steuern. Warum ich das erzähle, ist, dass das auch damals verbunden war mit einem utopischen Moment und dass Andcompany & Co. auch mal darin hinschauen möchte. Es gab ein utopisches Potenzial, was könne das utopische Potenzial heute sein.
    Reimann: Und was finden Sie da?
    Vanackere: Ich habe die Vorstellung noch nicht gesehen, aber ich glaube, dass es nicht ohne eine bestimmte Melancholie auskommt, weil dieser Moment kommt auch nicht mehr zurück. Aber dass diese Umbruchphase , worin wir uns befinden, wo wir noch nicht genau wissen, was auf uns zukommt, dass diese Fragestellung in dieser Vorstellung gefüttert mit einem historischen Blick irgendwie sehr spannenden Stoff gibt, und ich glaube, dass das schon etwas Finden ist, wenn man rauskommt und mit neuen Ideen irgendwie weiterdenken kann.
    "Ich erwarte mir viel von der Diskussion"
    Reimann: Sie arbeiten ja auch mit "Reporter ohne Grenzen" zusammen. Und diese NGO gehört zu den Kritikern des Netzwerk-Durchsetzungs-Gesetz, kurz NetzDG. Das ist eigentlich dafür da, Hetze und Fake News schneller aus sozialen Netzwerken zu tilgen. Erwischt hat es aber auch eine Künstlerin, die Künstlerin Barbara, die Streetart-Künstlerin. Fotos von ihr wurden entfernt, weil sie angeblich nicht den Richtlinien von Facebook und Instagram entsprechen. Ist denn die Macht großer Daten-Unternehmen und die Ohnmacht der Regierungen vielleicht auch ein Problem für die Freiheit der Kunst?
    Vanackere: Ich glaube, dass das auch ein Thema sein wird in der Diskussion, die wir haben werden, unter dem Titel "Die Pistole ist neutral" über informierte Naivität und Technik. Spontan habe ich sagen wollen, ja natürlich. Diese Diskussion geht tatsächlich darum, dass man denkt, dass Technical Devices neutral sind, aber dass wir zusammen mit unseren SprecherInnen Timo Daum, Felix Maschewski und Anna-Verena Nosthoff sagen, dem ist nicht der Fall. Und ich freue mich sehr auf diese Diskussion, wo Timo Daum auch ein Buch geschrieben hat darüber, "Das Kapital sind wir - zur Kritik der digitalen Ökonomie", ich viel erwarte von dieser Diskussion, um da auch nochmal wieder mit vielleicht neuen Erkenntnissen rauszukommen.
    Reimann: Annemi Vanackere. Der Themenschwerpunkt "Spy on me" im Berliner HAU geht noch bis zum 25. Januar. Haben Sie vielen Dank für das Corsogespräch.
    Vanackere: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.