Donnerstag, 28. März 2024

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Festival zum 50. Geburtstag der Niederländischen Nationaloper
Opera Forward

Die Opernszene der Niederlande ist wesentlicher überschaubarer im Vergleich zur hiesigen Szene. Ihr Zentrum bildet die Niederländische Nationaloper in Amsterdam das Zentrum. Sie ist zugleich ein Leuchtturm, der weit über die Landesgrenzen hinausstrahlt. Zum 50-Jährigen Bestehen wird in Amsterdam gefeiert.

Von Dagmar Penzlin | 22.03.2016
    Musik: Kaija Saariaho, "Only the Sound Remains"
    Philippe Jarousskys hell leuchtender Countertenor passt perfekt zur schwebenden Atmosphäre des Stücks, das über weite Strecken wie eine Meditation über die Verbindung zwischen Himmel und Erde anmutet. Die Vorlage lieferten zwei Texte des japanischen Nô-Theaters. Beide Akte von "Only the Sound Remains" lassen Diesseits und Jenseits aufeinander treffen. Philippe Jaroussky leiht so einmal dem Geist eines verstorbenen Kriegers seine ausdrucksstarke Stimme und einmal einem Engel, der mit einem Fischer über seinen Mantel aus Federn verhandelt. Schwarzweiß-graue Bühnenprospekte verkleinern die große Spielfläche im Haupthaus der Niederländischen Nationaloper, so dass der kammerspielartige Charakter des Werks gut herauskommt.
    Kaija Saariaho greift in ihrer Partitur bewusst keine japanischen Farben auf. Vielmehr webt die Finnin aus Klängen von Streichquartett und Vokalquartett, von Perkussion, Flöten und Kantele, der finnischen Zither, ein suggestives, stellenweise elektronisch verdichtetes Geflecht, das meistens kontemplative, aber auch dramatische Kraft besitzt. Die Komponistin fühlte sich gerade vom Gehalt der Geschichten angezogen.
    "Alles ist symbolisch. Ob der Vogel oder die Blume, die erwähnt werden. So ist es ein großes Puzzle von Symbolen. Das hat mich musikalisch inspiriert. Zugleich sind die Geschichten sehr abstrakt. Sie wirken geradezu simpel, aber in Kombination mit Musik sind viele Interpretationen möglich. Das mag ich sehr."
    Die Uraufführung inszenierte Peter Sellars mit Hintersinn. Der amerikanische Regisseur hat schon häufig an der Niederländischen Nationaloper gearbeitet. Auch für Kaija Saariaho war es ihre zweite Opernproduktion in Amsterdam.
    "Hier herrscht ein sehr guter, sehr hilfsbereiter Geist. Alle sind sehr offen. Wir haben hier selten gute Bedingungen, um eine zeitgenössische Oper zur Uraufführung zu bringen. Das ist natürlich Pierre zu verdanken – er weiß, wie schwer es ist."
    Pierre Audi lenkt als Intendant seit 1988 die Geschicke der Niederländischen Nationaloper. Mit Erfolg. Er holte im Laufe der Jahrzehnte namhafte Opernmacher ans Haus und sorgte als Regisseur selbst für historische Ereignisse. Etwa als er einen Zyklus von Monteverdi-Opern dort inszenierte und in den 1990er-Jahren gemeinsam mit Hartmut Haenchen in den Niederlanden den ersten kompletten "Ring des Nibelungen" von Richard Wagner zur Aufführung brachte. Auch als die Kulturszene durch das Erstarken des rechtspopulistischen Flügels vor wenigen Jahren in Turbulenzen geriet und das Budget der Nationaloper um fünf Prozent gekürzt wurde, gelang es Audi gegenzusteuern – etwa durch Kooperationen mit großen Opernhäusern wie der Met in New York. Zum 50-jährigen Bestehen der Niederländischen Nationaloper – 1965 wurde die "Nederlandse Operastichting" gegründet - liegt dem französisch-libanesischen Theatermann am Herzen, den Blick für die Zukunft der Oper zu schärfen. Deshalb schenkte er seiner Bühne ein neues, zehntägiges Festival zum Geburtstag: das OperaForwardFestival – abgekürzt kurz: OFF; es soll ab jetzt einmal jährlich stattfinden.
    "Es umfasst Uraufführungen, es umfasst Produktionen mit jungen Sängern und jungen Regisseuren. Es gibt ein Programm mit Vorlesungen und Gesprächen. Es soll ein sehr kompaktes, kaleidoskopartiges Festival sein, das das Publikum einlädt, gemeinsam mit uns über Oper als die Kunstform der Zukunft nachzudenken. Es geht um die Gegenwart, aber auch darum, wie wir diese Kunstform innovativ weiterentwickeln können."
    Neben Kaija Saariahos neuer Oper steht die Uraufführung von "Blank out", ein Multimedia-Musiktheater des Niederländers Michel van der Aa auf dem Programm. Junge Sängerinnen und Sänger zeigen ihr Können in Domenico Cimarosas Komödie "Il matrimonio segreto". Bühne frei für den Opernnachwuchs heißt es auch in einer Reihe von fünf Mini-Opern, erzählt Klaus Bertisch, seit 1990 Chefdramaturg an der Niederländischen Nationaloper.
    "Wo dann junge Kompositionsstudenten mit Regisseuren von der Theaterschule und mit Bühnenbildnern und Dramaturgen von der Uni sich zusammensetzen und auf ein Thema zugehen, das wir vorgegeben haben und aus "Only the Sound Remains" rausgefiltert haben. Und dann damit ihre eigene Geschichte erzählen und das findet an fünf unterschiedlichen Orten hier im Haus statt. Sie können sich so mit der Gattung auseinandersetzen, mit der Stimme, dem Raum und so weiter."
    Ihre großen, auch überregional ausstrahlenden Qualitäten demonstrierte die Niederländische Nationaloper im Rahmen des OFF-Festivals mit zwei Aufführungen von Modest Mussorgskis Monumentaloper "Chowanschtschina": eine Neuinszenierung von Christof Loy, die ohne große Knalleffekte, dafür um so konzentrierter das historische Intrigenspiel ins Heute überführt; mit Ingo Metzmacher am Pult der hervorragend aufspielenden Niederländischen Philharmonie. Ein Fest auch für den Chor der Niederländischen Nationaloper, einer der besten Opernchöre überhaupt.
    MUSIK: Modest Mussorgski, "Chowanschtschina", Ausschnitt Chor "Batia, batia"