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Fetischismus und Art Deco

Der britische König Edward VIII. legte 1936 die Krone nieder, um die geschiedene, bürgerliche Amerikanerin Wallis Simpson heiraten zu können. Popstar Madonna bringt die Geschichte auf die Leinwand, schrieb das Drehbuch und führte auch Regie.

Von Rüdiger Suchsland | 17.06.2012
    Es ist schon sehr romantisch, wenn man sich klarmacht, was der Titel dieses Films bezeichnet: Man liest ihn "we", also Englisch für "Wir" und diese Einheit bezieht sich auf "Wallis" und "Edward" die geschiedene, wiederverheiratete Amerikanerin und den britischen Thronfolger, die sich in den 30er-Jahren verliebten.

    Als Edward König wurde, schien eine Ehe mit Wallis aber völlig unpassend, und der König musste sich entscheiden. Kein Jahr auf dem Thron, dankte er im Dezember 1936 ab, und sein Bruder Georg, der Vater der jetzigen Königin, übernahm seine Position - dessen Geschichte hatte zu Jahresbeginn erst der Film "The King's Speech" erzählt.

    Gerade feierten Royalty-Fans das 60. Thronjubiläum der Queen - die britische Monarchie ist also in, und in deren weitgehend unkritische Verklärung fügt sich marketingstrategisch auch "W.E."

    Man sieht verfilmte Prinzessinnenträume, in denen der Prinz nicht nur sexy aussieht, perfekt tanzt und elegant Konversation führt, sondern auch noch sozial engagiert ist:

    "Something must be done" rief der König einst britischen Reportern zu, als er ein Obdachlosenquartier besuchte - "caring" genug, um bewegend und engagiert zu wirken, vage genug, um niemanden vor den Kopf zu stoßen oder die Grenzen der parlamentarischen Monarchie zu überschreiten.

    Heute ist dies einer der wenigen Momente neben der ganzen Abdankungsaffäre, der von Edward VIII. im kollektiven Gedächtnis der Briten konserviert ist.

    Edward war offenkundig besessen von Wallis, weswegen sie für die einen eine Hexe ist, die den schönen Prinz verzaubert hat, für die anderen eine Identifikationsfigur, weil es ihr gelang, für sich den Frauentraum zu verwirklichen, dass ein Mann einmal alles andere aufgibt für die Liebe.

    Handwerklich ist "W.E." durchaus ansprechend gemacht: Sanft fließende Kamerabewegungen und eine sehr kompliziert gebaute, in Vor- und Rückblenden hin- und herspringende Narration, Formfragen also, dominieren den Film. Am besten geglückt ist kaum zufällig eine Tanzszene, jene, in der sich Wallis und Edward beginnen, füreinander zu interessieren.
    ´, kombiniert als Regisseurin Elemente eines Psychothrillers mit denen eines Melodrams.

    Denn der Film hat neben Wallis Simpson noch eine zweite Hauptfigur: Wally, eine junge Britin von heute, die über ihren Kinderwunsch und dem fremdgehenden Gatten schier wahnsinnig wird, und sich zunehmend und zunehmend bizarrer mit der historischen Wallis identifiziert.

    Wen hat Madonna nicht alles gespielt, und in Zitatform angespielt in ihrer nun auch schon bald 30-jährigen Karriere: Evita, Marilyn, Leni Riefenstahl, Marlene Dietrich. Wallis Simpson fügt sich in dieses politisch-ästhetische Geflecht aus Glamour und Verzweiflung, Faschismus und Art Deco, Frauenpower und Résistance ganz gut.

    Und man kann sicher sein, dass, wäre der Film zehn Jahre früher entstanden, Madonna selbst diese Rolle gespielt hätte.

    Denn Simpson ist im Sinne Madonnas wohl auch eine paradigmatische Figur: Selbstbewusst und frei, angefeindet und leidenschaftlich, Opfer wie Täterin. Und perfekt gekleidet.

    Sollte Madonna jetzt nach ihrem zweiten Spielfilm ernsthaft eine Karriere als Regisseurin planen, ist dies eine gute Voraussetzung: inhaltlich populistisch, stilistisch durchaus mit Anspruch und Können.

    Insgesamt wirkt alles trotzdem unausgegoren - ein Film wie eine Frauenzeitschrift: Schöne Bilder, schöne Frauen, aber mit allerhand Problemen, und ansonsten das, was man gern so für "Frauenthemen" hält: Männer, Kinder, Königsfamilien, Mode und Antiquitäten.

    Wie Madonnas Videos ist "W.E." eine Orgie des Fetischismus und der Objekte, in der Wallis' Leben anhand der Muster der Teetassen erzählt wird, vor denen ihre knallrot lackierten, perfekt manikürten Finger noch besser hervorstechen, in der Abbie Cornish dauernd in schwarzer Unterwäsche durch die Wohnung und Hotelzimmer läuft - und trotzdem so hässlich aussieht, wie noch nie. Auch die Menschen, die Hauptfiguren-Frauen zumal, sind hier Objekte; Puppen, die gut angezogen und hin und hergeschoben werden.