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Fettleibigkeit
Prothesen in Übergröße

Die Deutschen werden immer schwerer. Übergewicht gilt als eine der großen medizinischen Herausforderungen der Zukunft. Typ-2-Diabetes, Herzerkrankungen oder Bluthochdruck sind typische Folgen der Adipositas. Doch das Übergewicht stellt auch die Orthopädietechniker vor neue Herausforderungen.

Von Hartmut Schade | 12.08.2014
    Thomas Wolf ist Orthopädiemechanikermeister in Leipzig. Als vor drei Jahren ein Patient mit deutlich über 200 Kilogramm Gewicht bei ihm wegen einer Prothese nachfragte, musste er passen.
    "Es war uns am Ende nicht möglich, den Patienten prothetisch zu versorgen, da wir Passteile nicht benutzen konnten, weil sie einfach die Gewichtsnormen nicht erfüllt haben. Und wir waren also dann leider gezwungen dazu, eine Rollstuhlversorgung anzustreben. Die wiederum geht bei dem Gewicht."
    Wirklich mobil wird aber der Patient nicht mit einem Schwergewichtsrollstuhl. Behindertengerecht heißt heute, Türen, Toiletten und Fahrstühle sind für einen normalbreiten Rollstuhl ausgelegt. XXL-Rollstühle, die zwanzig Zentimeter breiter sind, lassen ihre Benutzer schnell an Grenzen stoßen.
    Auch Krücken nicht für schwere Menschen konzipiert
    Doch nicht nur Rollstühle, sondern selbst so ein alltägliches Hilfsmittel wie eine Krücke ist nicht für wahre Schwergewichte konzipiert, sondern lediglich für 130 Kilo. Mit hochwertigerem Material ist es zwar kein Problem, stabilere Krücken zu bauen. Nur sind sie teuer und nicht wirklich eine Hilfe, wenn sie nur als herkömmliche Unterarmstütze konstruiert sind, sagt Klaus Jürgen Lotz, Präsident des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik.
    "Weil der Patient auch seine 160 Kilo nicht mehr mit zwei Händen halten kann, sondern da müssen die Arme, die Schultern und die Achseln mithelfen, den Patienten zu tragen. Also ein ganz anderes Anforderungsprofil."
    Die Versorgung der sogenannten XXL-Patienten ist eine der großen orthopädischen und rehatechnischen Herausforderungen der nächsten Jahre. Die Zahl übergewichtiger Kinder und Jugendlicher nimmt zu, Bewegungsmangel und Büroarbeit lassen die Muskulatur verkümmern. Mit fatalen Folgen, sagt der Direktor der Orthopädischen Klinik der Universität Rostock, Professor Wolfram Mittelmeier.
    "Wenn sie die ganze Zeit vor dem Computer sitzen, haben sie eine sehr stark vorgeneigte Haltung, sie haben sehr wenig Rückenmuskulatur, wenig Muskulatur, die die Knochen und die Bänder schützt, die Bänder werden überlastet, werden ausgeleiert. Und das wird ein Problem der Zukunft werden. Also ich sehe vor allem für die nächsten Jahrzehnte erhebliche Rückenprobleme bei diesen Patienten."
    Auch XXL-Rollstühle führen zu Problemen
    Ein Korsett entlastet den Rücken und kann so Abhilfe schaffen. Doch auch so einfache Hilfsmittel wie ein Korsett, wie Bandagen oder Orthesen, die beispielsweise nach einem Kreuzbandriss das Knie stabilisieren, gibt es für Schwergewichtspatienten nicht von der Stange, sondern sie müssen extra angefertigt werden.
    "Dann ist es schwieriger, die Passform so zu gestalten, dass das Knie entsprechend geschützt wird. Weil die Weichteile, diese Fettanteile, natürlich weniger Halt bieten. Das ist ein wesentliches Problem."
    Doch nicht nur die Befestigung von Orthesen und Prothesen sind bei Übergewichtigen ein Problem, weiß Orthopädietechniker Thomas Wolf.
    "Die meisten Probleme zum Beispiel bei einer Prothese sind, man hat das gesunde Bein in seinem wahnsinnigen Volumen einfach noch da und das kann dann schon immer mal reiben und scheuern, dass die Prothese zum Beispiel am anderen Bein scheuert."
    Ein Teufelskreis für fettleibige Patienten
    Ein Grund mehr, sich nicht zu bewegen und dadurch noch weitere Schäden zu provozieren. Obwohl technisch die gleichen Möglichkeiten wie für den Normalpatienten zur Verfügung stehen, bilanziert Klaus Jürgen Lotz vom Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik.
    "Der zu schwere Patient ist wesentlich schlechter rehabilitierbar."
    Allzuoft ist es ein Teufelskreis - weil Patienten übergewichtig sind, bewegen sie sich wenig und bekommen dadurch körperliche Probleme. Und weil sie so schwer sind, stößt die Technik, die ihnen helfen könnte, mobil zu sein, an ihre Grenzen.