Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Feuerpause in Syrien
"Ein Strohhalm, den man nehmen muss"

In Syrien soll am Abend die von Russland und den USA ausgehandelte Feuerpause beginnen. Der Grünen-Politiker Omid Nouripour zeigte sich im Deutschlandfunk skeptisch, dass sie hält. Dafür gebe es zu viele Akteure. Es gehe wohl eher darum, die Gewalt im Land zumindest zu reduzieren.

Omid Nouripour im Gespräch mit Sandra Schulz | 12.09.2016
    Der Obmann von Bündnis 90/die Grünen des Untersuchungsausschusses, Omid Nouripour, gibt am 26.08.2013 nach der Sitzung des Drohnen-Untersuchungsausschusses im Paul-Löbe-Haus in Berlin ein Statement.
    Nouripour ist skeptisch, dass die vereinbarte Feuerpause hält (picture alliance / dpa / Hannibal Hanschke)
    "Man muss alles an Strohhalmen nehmen, die man bekommen kann", sagte der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour im Deutschlandfunk. Er glaubt aber nicht, dass es zu einer vollständigen Feuerpause kommt. Die Russen könnten zum Beispiel nicht garantieren, dass eine Waffenruhe im Raum Aleppo hält.
    "Das liegt auch daran, dass auch auf der Assad-Seite mittlerweile die Zahl der Akteure so groß ist, dass es nicht mehr einen einheitlichen Strang gibt." Unter anderem kämpften auch iranische Milizen und die Hisbollah auf Seiten Assads. Dazu komme, dass es schwierig sei für alle Kräfte, die gegen Assad kämpften, sich zu entflechten von der ehemaligen Al-Nusra-Front. Sie sei im Norden die stärkste Kraft gegen Assad. "Wenn man sich von denen lossagt, dann müsste man ja ganz viel Land aufgeben. Ich glaube nicht, dass das sehr viele Gruppen bereit sind zu tun." Für den Süden des Landes sieht Nouripour etwas bessere Chancen.
    Keine echte Feuerpause
    Sowohl Russland als auch die USA bemühten sich, die Erwartungen gering zu halten. US-Außenminister John Kerry habe lediglich davon gesprochen, dass Gewalt reduziert werden müsse. Nouripour hält die Vereinbarung nicht für eine echte Feuerpause. Genau genommen gehe es darum, wer gegen wen die Angriffe fliege und wer nicht.
    USA und Russland gemeinsam gegen IS?
    Falls die Feuerpause eine Woche hält, haben USA und Russland angekündigt, den IS und die ehemalige Al-Nusra-Front gemeinsam zu bekämpfen. Nouripour sprach gegenüber dem Deutschlandfunk von einer absoluten Neuheit, bleibt aber skeptisch: "Wenn es funktionieren sollte, dass die beiden am Ende zu sammen kommen - ich sehe das nicht - dann kann man sich doch erstmal freuen, dass die Militärs dieser beiden Länder wieder enger miteinander arbeiten."

    Sandra Schulz: Syrien hofft auf einen Durchbruch nach dem jahrelangen Bürgerkrieg, doppelt unterstrichen und fett gedruckt das Wörtchen "hofft". Ab heute Abend soll die zwischen Russland und den USA ausgehandelte Feuerpause gelten. Sogar eine militärische Zusammenarbeit erwägen Russland und die USA, falls die Feuerpause halten sollte. Am Wochenende war es noch einmal zu heftiger Gewalt mit mehr als 100 getöteten Zivilisten gekommen. Jetzt wartet das Land auf den Sonnenuntergang. Ab da sollen die Waffen nämlich schweigen.
    Mitgehört hat Omid Nouripour, der außenpolitische Sprecher der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Guten Morgen!
    Omid Nouripour: Schönen guten Morgen, Frau Schulz.
    Schulz: Jetzt hat es diese Einigung, die Verkündigung einer Einigung gegeben in der Nacht auf Samstag, und am Wochenende jetzt wieder diesen Gewaltausbruch mit offenbar mehr als 100 getöteten Zivilisten. Warum?
    Nouripour: Na ja, es ist offenkundig immer dasselbe. Immer wenn es eine politische Einigung gibt, immer wenn es ein Zeitfenster gibt, bei dem die Gewalt reduziert werden soll, gibt es eine Pufferzeit. In dieser Pufferzeit wird noch mal mächtig zugelangt. Und das ist jetzt nicht das erste Mal, dass wir das sehen, und das ist mittlerweile so was wie ein Markenzeichen der Art und Weise, wie Assad den Krieg führt in Syrien. Wir haben es auch bei dem letzten Waffenstillstand gesehen, wir haben das gesehen, immer wenn es darum ging, dass zum Beispiel Hilfslieferungen irgendwo reingehen, dass da relativ schnell dann Fassbomben fliegen und dass noch mal ein Exempel statuiert wird und noch mal versucht wird, in der Übergangszeit Land zu gewinnen. Und das zeigt auch, wie schwierig es ist, dort eine Vereinbarung hinzubekommen, die auch hält.
    "Man muss alles an Strohhalmen nehmen, die man bekommen kann"
    Schulz: Vor dem Hintergrund, für wie realistisch halten Sie es denn, dass es zu der Feuerpause tatsächlich auch kommt?
    Nouripour: Auf der einen Seite muss man alles an Strohhalmen nehmen, die man bekommen kann. Es ist so wenig Hoffnung da. Man freut sich ja, wenn Kerry und Lawrow überhaupt rauskommen und sagen, wir haben uns auf irgendwas geeinigt, weil alles andere nicht absehbar ist. Auf der anderen Seite ist es nicht wirklich eine Feuerpause. Das haben die auch beide versucht zu zerstreuen, dass es jetzt eine Feuerpause geben würde.
    Schulz: Was ist es dann?
    Nouripour: Die Russen sagen selbst, dass sie nicht endgültig sagen können, ob es zum Beispiel um Aleppo herum schon hält. Das liegt daran, dass auch auf der Assad-Seite mittlerweile die Zahl der Akteure so groß ist, dass es jetzt nicht einen einheitlichen Strang gibt, eine Kontrolle. Auf der anderen Seite hat Kerry auch gesagt, es geht darum, hier Gewalt zu reduzieren. Und wenn man sich es genau anschaut, geht es eigentlich darum, dass man sich ein Stückchen darauf geeinigt hat, wer gegen wen jetzt die Angriffe fliegen wird und wer nicht. Aber ich sehe nicht, dass es jetzt tatsächlich einen Waffenstillstand gibt. Ich würde mich sehr freuen, wenn Gewalt reduziert werden würde. Das wäre in der desaströsen Situation, in der wir sind, trotzdem ein Schritt nach vorne.
    Schulz: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann ist das Wort "Durchbruch" weit übertrieben. Wie sehen Sie denn jetzt diese Einigung vom Wochenende?
    Viele Akteure machen Durchsetzung schwierig
    Nouripour: Na ja. Es gibt sehr, sehr viele Sollbruchstellen. Es ist einmal spannend, was alles nicht drinsteht. Es gibt zum Beispiel namentlich genannte dschihadistische Gruppierungen, die dort stehen, die aufgenommen werden von dem Abkommen. Aber es gibt ja auch Milizen noch und nöcher mittlerweile auf der Assad-Seite, die iranischen zum Beispiel oder die afghanischen, die die Iraner mitgebracht haben, oder die Hisbollah. Die gibt es ja darin nicht. Und das macht ja auch das Durchsetzen auf der Seite der Russen so schwierig. Es ist ja auch besonders bemerkenswert, dass Kerry rausgeht, quasi als erster sagt, alles was auf der Assad-Seite passiert, dafür müssen die Russen bereit sein, Verantwortung zu übernehmen, und die Russen wimmeln auch schon wieder ab. Auf der anderen Seite wurde gesagt, dass die Freie Syrische Armee, die sogenannte moderate Opposition, dass eigentlich alle Kräfte, die gegen Assad kämpfen, sich jetzt schwer entflechten müssten von der sogenannten Dschabhat Fatah al-Sham, also der ehemaligen Nusra-Front. Ich weiß gar nicht, wie das gehen soll, zumindest in Teilen des Landes nicht. Im Norden des Landes ist es mittlerweile so, dass die ehemalige Nusra-Front die stärkste Kraft ist gegen Assad, und wenn man sich von denen lossagt, dann müsste man ja ganz viel Land aufgeben. Ich glaube nicht, dass das sehr viele Gruppen bereit sind zu tun. Im Süden kann es tatsächlich dazu führen, dass es so was wie eine Befriedung gibt. Das Spannendste an dem Abkommen ist ja, dass die Russen und die Amerikaner gesagt haben, wenn es eine Woche lang tatsächlich hält, dann werden wir alles zusammenschmeißen …
    Wahlkampf setzt US-Regierung unter Druck
    Schulz: Herr Nouripour, darüber würde ich auch gerne gleich mit Ihnen sprechen. Aber eine Frage vorher will ich unbedingt noch stellen, weil ich das auch ganz spannend finde. Jetzt hat es in diesem Konflikt ja wirklich monatelang überhaupt keine Bewegung gegeben. Wie erklären Sie sich den Zeitpunkt jetzt? Ist es möglicherweise doch so, dass Putin Sorge hat vor einem möglichen nächsten Kandidaten oder auch Präsidenten Trump?
    Nouripour: Ich glaube nicht, dass Putin ein besonders großes Problem hat mit einem Präsidenten Trump. Ich glaube, dass die Amerikaner jetzt erst recht unter Druck stehen, gerade wegen des Wahlkampfes, zu liefern, und es gibt sehr viele Leute, die ja der Meinung sind, dass gerade zum Beispiel mit dieser gemeinsamen Initiative, die man jetzt militärisch anstrebt, man auch den Russen einen größeren Gefallen tut. Ich glaube, dass der Bringdruck auf der amerikanischen Seite um einiges größer war als auf der russischen.
    Schulz: Und wenn wir jetzt auf diese zumindest angepeilte oder angedachte Zusammenarbeit schauen zwischen den USA und Russland. Sie haben es gesagt: Wenn die Feuerpause eine Woche hält, dann will man den IS und diese al-Nusra-Front, die sich jetzt umbenannt hat, gemeinsam bekämpfen. Wie kann man sich das vorstellen?
    Zusammenarbeit von USA und Russland positives Signal
    Nouripour: Da bin ich sehr gespannt, wie das werden soll. Sie müssten ja dann zum Beispiel wirklich nicht nur Karten austauschen, wie sie es jetzt gemacht haben, die beiden Außenminister, sondern sie müssten ja wirklich diese Operationspläne übereinanderlegen. Das wäre für die Amerikaner und für die Russen zumindest in diesem Krieg eine absolute Neuheit. Und das auch noch bei einer Situation, in der man relativ wenig weiß, was die jeweilige Seite am Boden macht.
    Ein Beispiel - und das ist wirklich das zentrale, worüber man sich freuen sollte, wenn es funktioniert - ist ja die humanitäre Hilfe. Wir sehen hier ja über Hunderttausende von belagerten Menschen und Ziel ist ja, dass die humanitäre Hilfe jetzt ab sofort läuft. Die Russen haben in diese Vereinbarung reingeschrieben und dem zugestimmt, dass die syrische Armee sich von der sogenannten Castello Road entfernt, einen Kilometer lang - das ist die Hauptversorgungsroute für Ostaleppo aus dem Norden heraus -, damit die humanitäre Hilfe ab heute schon durch kann. Die syrische Armee hat sofort erklärt, das würden wir niemals machen, wir lassen selbstverständlich wie immer, was sie nicht gemacht haben, humanitäre Hilfe durch, werden wir auch jetzt weiter machen, aber wir entfernen uns sicher nicht von der Hauptschlagader von Ostaleppo. Und wenn ich mir jetzt vorstelle, die Amerikaner und die Russen sitzen zusammen in einem Operationsraum und erklären sich gegenseitig, wer sich jetzt nun mal woran nicht wieder gehalten hat von der jeweiligen Seite, dann freut man sich, dass sie miteinander reden, aber mehr auch nicht.
    Schulz: Ist das nicht insgesamt überhaupt ein ziemlich unvorstellbarer Vorgang? Die Zuspitzungen zwischen NATO und Russland, die waren ja jetzt zum Schluss ganz erheblich. Drohungen von beiden Seiten, die Mahnung vor einem neuen Kalten Krieg, die NATO hat ihre Präsenz in Osteuropa ausgeweitet und Russland mit Manövern geantwortet. Und jetzt wollen die USA und Russland militärisch zusammenarbeiten. War das dann alles nur Säbelrasseln, oder was war das?
    Nouripour: Nein, das war kein Säbelrasseln. Das ist ja ein real existierender Konflikt. Aber ich sage jetzt mal, ich versuche jetzt mal wirklich aus dieser Situation mit diesen plötzlichen Nachrichten irgendwas Positives herauszulesen. Wenn es funktionieren sollte, dass die beiden am Ende zusammenkommen - ich sehe das nicht -, dann kann man sich doch erst mal freuen, dass die Militärs dieser beiden Länder wieder enger miteinander arbeiten, und kann natürlich hoffen, dass daraus sich ergibt, dass man auch woanders enger miteinander arbeitet. Ich glaube nicht, dass das passieren wird, aber die alte Regel, dass je mehr man miteinander redet, desto eher die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass man aufeinander schießt, sollte zumindest für diese beiden Länder gelten.
    Mit Assad langfristig keine Versöhnung möglich
    Schulz: Und was heißt diese Entwicklung jetzt insgesamt für den Mann, der so viele Tote, so viele Getötete auf dem Gewissen hat, für den Machthaber Assad in Syrien?
    Nouripour: Assad hat ja durch die Hilfe der Russen und der Iraner in den letzten Monaten sehr viel tatsächlich wieder erreicht und ist jetzt deutlich stärker im Sattel. Wenn ich jetzt nach meinem Bauch und nach meinem Gefühl ginge, gehört der Mann sofort vor den internationalen Strafgerichtshof. Wenn es am Ende des Tages eine politische Lösung gäbe, bei der der Mann eine Rolle spielen muss, weil die Russen zum Beispiel darauf beharren, dann sei es so. Mittlerweile würde man ja jede Lösung in Syrien kaufen. Man muss aber gleichzeitig auch sehen: Assad ist die Symbolfigur für große Teile der syrischen Bevölkerung, die unter ihm leiden, für die Fassbomben, für Chemiewaffen-Einsatz und für die Ruinen ihrer Städte, und das ist kein Beitrag zu einer nationalen Aussöhnung in Syrien. Natürlich ist Assad als Figur super wichtig und natürlich kann es sein, dass man zwischenzeitlich auf die Frage, was mit ihm passiert, tatsächlich dann verzichtet und einfach mit den Augen zu dort zu einer Lösung kommt. Aber langfristig wird es mit Assad nicht eine Versöhnung geben können in Syrien.
    Schulz: Syrien hofft auf eine Feuerpause, wenn man das denn so nennen will. Der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour hat sich von dieser Formulierung gerade distanziert hier bei uns im Interview mit dem Deutschlandfunk. Haben Sie ganz herzlichen Dank für Ihre Einschätzungen.
    Nouripour: Ich danke Ihnen, Frau Schulz.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.