Youssef Rakha: "Arab Porn"

Wenn Porno politisch wird

Buchcover von Youssef Rakha: "Arab Porn"
Wird die nächste Revolution in Ägypten durch Pornografie ausgelöst? © Matthes & Seitz / picture-alliance
Von Tabea Grzeszyk · 28.11.2017
Sexualität ist im konservativen Ägypten tabuisiert. Zugleich boomt die Pornografie. Und die könnte - folgt man der These von Youssef Rakha - eine gesellschaftliche Entwicklung auslösen, die dem arabischen Frühling misslang.
"Eines Nachts gab ich 'arabisch' in die Suchleiste einer Pornoseite ein, und mein Leben war nicht mehr dasselbe."
Mit diesen Worten beginnt der ägyptische Schriftsteller und Journalist Youssef Rakha seinen außergewöhnlichen Essay "Arab Porn". Auf den folgenden 76 Seiten entwickelt er in kurzen Aphorismen eine These, die es in sich hat.
Für Rakha hat die Einführung des Breitbandinternets in Ägypten um die Jahrtausendwende zwei revolutionäre Neuerungen gebracht: Zum einen Blogs und soziale Netzwerke, die einen Online-Aktivismus ermöglichten, der im Jahr 2012 die autoritäre Herrschaft Hosni Mubaraks zu Fall brachte.
Zum anderen Pornografie, die audiovisuelle Verfügbarkeit einer Sexualität, die in der konservativen Gesellschaft Ägyptens zutiefst tabuisiert wird. Nach der bitteren Enttäuschung der gescheiterten Revolution zieht Youssef Rakha eine Parallele zwischen Online-Aktivisten und Porno-Darstellern:
"In den vorherrschenden Machtstrukturen wird der eine systematisch an der sexuellen Selbstentfaltung gehindert, der andere an der politischen Teilhabe. Beide sind zu dem hoffnungslosen Heldentum verdammt, sich im Internet einen von der Palme zu wedeln."

Widerspruch zwischen Sichtbarkeit und Begehren

Dieses hoffnungslose "Palmenwedeln" nimmt der Schriftsteller mal analytisch, mal assoziativ unter die Lupe. Dabei stellt sich die Frage, wie ein "arabischer Porno" überhaupt aussieht. Schließt die pornografische Maxime der totalen Sichtbarkeit nicht die arabische Konvention einer Bedeckung des weiblichen Körpers aus? Weit gefehlt.
Vielleicht ist es gerade die - von Rakha als Mainstream-Pornografie kritisierte - libanesisch-amerikanische Porno-Darstellerin Mia Khalifa, die den Widerspruch zwischen Sichtbarkeit und Begehren so treffend verkörperte. Als gebürtige Katholikin hatte Mia Khalifa mit Kopftüchern nichts zu tun. Doch in den USA trug sie während ihrer drei Monate andauernden Karriere als Pornostar einen Hidschab, während sie für ihr Publikum hinter der Webcam masturbierte.
Die vermeintliche Muslima stieg im Jahr 2014 mit 1,5 Millionen Ansichten zur begehrtesten Protagonistin des Internetdienstes Pornhub auf. Morddrohungen folgten.

Überraschend, kantig, lesenswert

Für Youssef Rakha entsteht der arabische Porno erst da, wo er sich mit Politik verbindet. Nicht die Softpornos der 1970er-Jahre sind für ihn die Geburtsstunde der arabischen Pornografie, sondern Aufnahmen, die einen politischen Rufmord besiegelten: Im Jahr 2004 kursierten Bilder des ägyptischen Geschäftsmanns Hossam Aboul Fotouh, die ihm beim Sex mit einer berühmten Bauchtänzerin zeigen. Ein Rachefeldzug der Familie Mubarak, nachdem der Geschäftsmann in Ungnade gefallen war.
Durch das Fehlen einer legalen Porno-Industrie gehören solche mit versteckter Kamera aufgenommenen und hastig produzierten Bilder zum arabischen Fundus einschlägiger Internetseiten.
Meisterhaft führt Youssef Rakha vor Augen, wie sich Politik und Pornografie in Ägypten durchdringen. Der "Arabische Frühling" ist gescheitert. Doch nach der Lektüre erscheint gar nicht mehr abwegig, dass die nächste Revolution unter dem Namen "Hot Arab Chick Masturbates" kursieren wird. Überraschend, kantig, lesenswert.

Youssef Rakha: "Arab Porn. Pornografie und Gesellschaft"
Aus dem Englischen von Milena Adam
Matthes & Seitz, Berlin 2017
76 Seiten, 12 Euro

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