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FIFA
"Blatter hat dreckiges Geld nicht nötig"

Der UNO-Sonderberater für Sport, Willi Lemke, hat FIFA-Präsident Joseph Blatter gegen Korruptionsvorwürfe in Schutz genommen. "Ich glaube nicht, dass Blatter selbst korrupt ist", sagte Lemke im Deutschlandfunk. Dennoch habe er sich den Rücktritt früher gewünscht.

Willi Lemke im Gespräch mit Dirk Müller | 03.06.2015
    Willi Lemke, UNO-Sonderberater für Sport
    Willi Lemke, UNO-Sonderberater für Sport (imago/nph)
    Lemke erklärte, Blatter habe es überhaupt nicht nötig, "auch nur einen Dollar dreckiges Geld" anzunehmen. Überall, wo er hingekommen sei, habe man ihn wie einen Staatschef empfangen. Über die Ermittlungen gegen Blatter solle man nicht spekulieren, ohne die Fakten zu kennen.
    Zugleich begrüßte Lemke die Rücktrittsankündigung von Blatter. Der gestrige Tag sei ein guter Tag für den Fußball gewesen. Er hätte sich aber gewünscht, dass der Schweizer den Schritt einige Wochen zuvor gemacht hätte. Dann hätten der Sport und der Fußball nicht so einen Schaden genommen, sagte Lemke.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Viele trauten ihren Ohren und wohl auch ihren Augen nicht nach allem, was in den zurückliegenden Tagen um die Korruptionsaffäre bei der FIFA vorgefallen war. Und jetzt das: Der Chef nimmt seinen Hut. Sepp Blatter tritt ab. Vor fünf Tagen hatte sich der umstrittene Präsident zum vierten Mal in seinem Amt wiederwählen lassen. Es war seine fünfte Periode jetzt. Und nun der Rückzug. - Am Telefon ist der Bremer Fußball-Manager und Funktionär Willi Lemke, zugleich Sportberater des UN-Generalsekretärs. Guten Morgen.
    Willi Lemke: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Herr Lemke, Sie sind ganz oft überall und irgendwo unterwegs. Haben Sie die entscheidende SMS nach Zürich geschickt?
    Lemke: Nein, ganz sicher nicht, sondern das ist, glaube ich, aufgrund des Drucks entstanden, der wahrscheinlich für Sepp Blatter so unerträglich geworden ist, dass er gesagt hat, jetzt schmeiße ich hin. Ich hätte mir gewünscht, dass er das vielleicht ein paar Wochen früher gemacht hätte. Dann hätte der gesamte Fußball, man muss fast sagen der gesamte Sport nicht so viel Schaden genommen. Nun hat er es getan. Ich teile die Meinung von fast allen Kollegen, die ich jetzt so verfolgt habe. Es ist ein guter Tag für den Fußball gewesen, dieser Rücktritt. Aber jetzt kommt eine riesige Arbeit auf die FIFA zu, denn das System, die Struktur, die muss jetzt völlig neu organisiert werden.
    "Der Druck ist einfach so immens gewesen"
    Müller: Herr Lemke, noch einmal ganz kurz zurück zur Motivation, zur möglichen Motivation Blatters. Er hat gesagt, der Druck ist groß geworden, er hat nicht mehr genügend Rückhalt. Das hatte er am Freitag ja vermutlich auch nicht, obwohl die Mehrheit der Delegierten für ihn votiert haben. Gehen Sie davon aus, dass das ausschlaggebende Kriterium, jetzt diese Konsequenz zu ziehen, dann doch die Ermittlungen sind aus den USA, die da drohen, beziehungsweise die konkreteren Ermittlungen, die da im Moment jedenfalls diskutiert werden?
    Lemke: Ich denke, das ist Kaffeesatzleserei. Ich denke, es ist nicht klug, sich dazu zu äußern, solange man nicht tatsächlich die Fakten kennt. Ich kann Ihnen nur sagen, dass Sepp Blatter, den ich, glaube ich, etwa 30 Jahre kenne, letztendlich auch nur ein Mensch ist, der diesen unglaublichen Druck, der entstanden ist in den letzten Tagen und Wochen, schlichtweg nicht mehr ausgehalten hat. Alles andere, wie gesagt, da könnte man nur spekulieren. Aber das wird im Augenblick ja spekuliert durch die Informationen, die aus Amerika rüberkommen. Ob die aber stimmen, können wir hier in Deutschland überhaupt nicht nachvollziehen. Ich gehe mal zunächst davon aus, dass ein 79-Jähriger, der jetzt zum Beispiel im „Spiegel" sein Porträt sieht und darunter steht „korrupt", das lässt Menschen nicht völlig frei und wie gesagt, er ist ja nun nicht mehr 42. Ich kann mir vorstellen, dass einfach der Druck so immens gewesen ist, dass er gesagt hat, ich schmeiß hin, obwohl er - und das haben Sie ja richtigerweise eben gesagt - noch eine riesige Mehrheit hatte bei den Delegierten des FIFA-Kongresses letzte Woche, denn da hat er 133 Stimmen gekriegt.
    Müller: Der „Spiegel" hat geschrieben, das System Blatter ist korrupt, nicht direkt Blatter ist korrupt. Ich hatte das eben Heribert Bruchhagen auch gefragt, der Blatter ja auch sehr gut kennt, Sportvorstand von Eintracht Frankfurt. An Sie jetzt auch noch mal die Frage: Ist für Sie Sepp Blatter korrupt gewesen?
    Lemke: Nein! Ich glaube, aufgrund meiner Eindrücke hat er das überhaupt nicht nötig gehabt, weil er hat ja, seitdem er den Verband so erfolgreich geführt hat, die Medien, die öffentlich-rechtlichen und viele andere Fernsehanstalten der ganzen Welt schmeißen die FIFA mit Geldern geradezu zu für die Fernsehrechte der großen Veranstaltungen. Ich habe ihn immer wieder erlebt. Er wurde überall, wo er hingekommen ist, wie ein Staatschef behandelt. Der hat es überhaupt nicht nötig, auch nur einen Dollar irgendwo an dreckigem Geld anzunehmen, sondern ich glaube, das liegt an den Strukturen, dass so wahnsinnig viel Geld im Spiel ist, und dann entsteht eine Gier. Das ist ja in vielen Teilen unserer Gesellschaft, sicher nicht nur im Fußball, und dann vor allen Dingen natürlich in Ländern, wo die Transparenz nicht so ist, wie sie in europäischen Ländern ist. Dann wächst durch das viele Geld die Gier auf das viele Geld und dann werden Freundschaftsdienste geleistet. Um auf die Frage zurückzukommen: Nein, ich glaube nicht, dass Sepp Blatter selbst persönlich korrupt ist.
    "Blatter war die FIFA"
    Müller: Sie haben ihn ja oft getroffen, Sie kennen ihn gut, Sie haben es eben bei uns im Deutschlandfunk ja auch gesagt, seit 30 Jahren. Haben Sie mal mit ihm persönlich unter vier Augen sprechen können, oder in welchem Rahmen auch immer, und haben gesagt, Sepp, vielleicht beim nächsten Mal musst Du jetzt nicht noch mal antreten?
    Lemke: Nein. Ich sehe ihn nicht so oft. Ich sehe ihn vielleicht zwei-, dreimal im Jahr und das brauche ich ihm nicht zu sagen. Wir reden eher über sportpolitische Projekte, wir reden natürlich auch über viele Dinge, die im europäischen Fußball nicht gut laufen. Man muss ja nicht sagen, nur die FIFA hat Probleme, sondern der Weltfußball mit seinen Strukturen hat Probleme. Ich komme auf das zurück, was ich eben gesagt habe. Wo so unglaublich viel Geld im Raum ist, da entsteht leider bei den Menschen Gier.
    Müller: Waren das immer die Journalisten, die nur gesagt haben, der muss jetzt aufhören? Sie haben es nicht gesagt, Wolfgang Niersbach hat es nicht gesagt, Zwanziger hat es nicht gesagt. Wer hat es denn überhaupt dann mal gesagt?
    Lemke: Das weiß ich nicht. Ich meine, die Medien sind so stark, und das bleibt ja der FIFA nicht fremd, wenn ständig die Medien darauf hinweisen, dass es jetzt Zeit ist zu gehen. Umso eine Frage zu stellen an jemanden, der so in seinem Amt lebt - und das ist doch ganz klar für jeden Außenstehenden gewesen: Er war die FIFA, wenn Sie so wollen, und er hat die FIFA dargestellt -, das kann nur ein sehr guter Freund. Das kann auch vielleicht die Ehefrau. Die Söhne, die Enkelsöhne, die Töchter, die können das ihm vortragen. Aber irgendwo ein Geschäftspartner, der würde ihm das eher nicht sagen, weil das würde er ihm total krumm nehmen logischerweise, dass man seine Persönlichkeit und auch seine Rolle im Weltfußball infrage stellt. Das hätte er fürchterlich übel genommen, vermute ich. Ich habe nie die Gelegenheit gehabt. Wir haben immer über eher sozialpolitische Dinge gesprochen.
    "Hätte mir auch von Niersbach ein bisschen anderes Auftreten erwünscht"
    Müller: Herr Lemke, ich habe noch ein paar Fragen. Das heißt, auch für Sie - Heribert Bruchhagen hat das ähnlich beantwortet - war der deutsche Druck beziehungsweise die deutsche Haltung gegenüber Sepp Blatter, und zwar die Haltung konkret des DFB, zu allen Zeiten in Ordnung?
    Lemke: Nein, das will ich so pauschal nicht sagen. Das wäre ja ein Freifahrtschein, auch rückblickend. Nein, ich denke mir, dass man, wenn man in einer Funktion tätig ist, da hätte man durchaus ja auch noch mit anderen zusammen einen stärkeren Druck aufbauen können. Das ist ja nicht jetzt meine Kritik zu sagen, die UEFA hat keine tolle Rolle gespielt, sie hätten keinen eigenen Kandidaten. Das gibt es doch gar nicht: stärkster Verband und der bringt es nicht mal zustande, einen eigenen Kandidaten aufzustellen. Sie haben keine Bündnispartner gefunden offensichtlich, denn sonst wäre das ja nicht so traurig alles gelaufen.
    Müller: Da haben Sie mehr erwartet?
    Lemke: Ja natürlich! Da hat die ganze Fußballwelt ja deutlich mehr erwartet. Man kann doch nicht immer nur Pressekonferenzen geben und wenn es dann in die Versammlung geht, dann duckt man sich ab und nimmt nicht das Wort, weil man vermutlich sich dann nicht durchgesetzt hätte, weil man die Mehrheitsverhältnisse kennt.
    Müller: Auch Wolfgang Niersbach?
    Lemke: Na ja, Wolfgang hätte auch vielleicht stärker auftreten können, denn Wolfgang Niersbach ist in einer Super-Funktion, er hat ein total anständiges Ansehen, nicht nur in Deutschland, in Europa, sondern, ich meine, auch in der ganzen Welt. Von daher hätte ich mir auch von ihm ein bisschen anderes Auftreten erwünscht. Aber vielleicht ist er auch noch zu frisch in seiner Rolle, in seiner Funktion. Aber ich glaube, er wird eine sehr, sehr wichtige Rolle spielen in der Zukunft in der UEFA und auch in der FIFA.
    Müller: Vielen Dank für das Gespräch nach Bremen. Willi Lemke, Sportberater des UN-Generalsekretärs. Vielen Dank und Ihnen noch einen schönen Tag.
    Lemke: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.