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FIFA
"Blatter hat immer noch ein großes Gefolge in der Welt"

Neuanfang oder weiter wie bisher? Sollte ein Vertreter der Opposition an die FIFA-Spitze kommen, so werde Transparenz eine "absolute Verpflichtung" sein, sagte der Sportjournalist Thomas Kistner im DLF. Der Nachfolger müsse eines der "bestgehüteten Geheimnisse der FIFA" lüften und das Gehalt von Sepp Blatter in den vergangenen 17 Jahren offenlegen.

Thomas Kistner im Gespräch mit Peter Kapern | 03.06.2015
    Der Journalist Thomas Kistner
    Der Journalist Thomas Kistner (imago stock & people)
    Peter Kapern: Bei uns am Telefon ist nun Thomas Kistner, Sportjournalist und FIFA-Experte. Guten Tag!
    Thomas Kistner: Guten Tag!
    Kapern: Herr Kistner, wie plausibel ist die Vermutung, dass Blatter sich in die Büsche geschlagen hat, weil die US-Justiz gegen ihn persönlich ermittelt?
    Kistner: Man kann die Erklärung zumindest nicht als abwegig betrachten. Die Ermittlungen sind mittlerweile so weit gediehen und gehen auch ins FIFA-Haus hinein, denn diese zehn Millionen Dollar-Geschichte von Südafrika in die Karibik, das lief über die FIFA-Zentrale, muss also da auch geklärt werden, dass man nun wirklich davon ausgehen muss, dass jeder Schritt, der hier erfolgt, natürlich ganz klar in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Ermittlungen steht.
    Und ich kann mir vor allem nicht vorstellen, dass Sepp Blatter sich vor fünf Tagen frohgemut ins Amt hat wählen lassen und ein paar Tage später festgestellt hat, dass es da irgendwelche bösen Menschen gibt, die ihn nicht mehr wollen, und deswegen zurücktritt.
    Es ist erkennbar der Versuch, er hat reagiert auf den Zugriff vergangene Woche, er hat insbesondere reagiert auf das, was die US-Justizministerin öffentlich kundtat bei einer Pressekonferenz, nämlich die Runderneuerung, die erforderlich ist. Das war ein klarer Hinweis, dass er eigentlich gar nicht mehr antritt. Offenbar hat er sich das nicht leisten können, weil er noch mal ins Büro muss, und da bleibt er noch eine ganze Zeit, und das wird sich nicht nur zu einem Kaugummi für die Sportpolitik und für die Verbandspolitik im Fußball entwickeln, sondern da werden jetzt ganz viele Weichen gestellt für die Zeit nach Blatter.
    "Heutzutage braucht man keine Reißwölfe mehr"
    Kapern: Und Reißwölfe angeschafft? Was denken Sie?
    Kistner: Heutzutage braucht man, glaube ich, keine Reißwölfe mehr. Aber das ist natürlich nicht auszuschließen, dass jetzt zuhause noch in irgendeiner Form Bücher noch mal begutachtet werden, die man in der Verfassung, in der sie sind, vielleicht nicht unbedingt von einem Nachfolger, wenn es denn einer von der falschen Seite ist, wenn es einer ist, der unter dem öffentlichen Druck reinkommt, jetzt sofort völlige Transparenz an den Tag zu legen, die man da lieber nicht liegen hat.
    Denn eins ist klar: Wenn es kein Blatter-Mann ist, der als Nachfolger kommt, wenn es einer aus der Opposition ist, insbesondere aus Europa gepusht, dann muss dieser Mann zu den ersten Schritten, die er zu tun hat, natürlich den nehmen, dass er das Gehalt von Blatter, die Zahlungen der FIFA an Blatter in den vergangenen 17 Jahren offenlegt. Da gibt es ja keinen Grund, das geheim zu halten, insbesondere heute nicht mehr. Das war bisher eins der bestgehüteten Geheimnisse der FIFA und ich glaube, allein schon der Schritt wäre unangenehm.
    Transparenz und offene Bücher
    Kapern: Aber bleiben wir noch mal bei dem Ablauf bis dahin. Sepp Blatter hatte sich zum Ziel gesetzt, bis zur Wahl seines Nachfolgers die FIFA weiter zu reformieren und die Suche nach dem Wahlnachfolger zu leiten. Das klingt wie eine Drohung. Halten Sie das für denkbar, dass es zu diesem Kaugummi, wie Sie eben sagten, tatsächlich kommt, dass wir auf diesem Kaugummi tatsächlich herumkauen müssen?
    Kistner: Das ist durchaus wahrscheinlich. Wenn die Ermittlungen das nicht vorher beenden, dann hat er es ja in der Hand, und das wird er auf jeden Fall so machen, denn noch mal: Es wird sicherlich Anlass geben, hier noch einiges im Hause gerade zu richten. Wir dürfen nicht vergessen: Sein Vorgänger, Joao Havelange, hatte ihn ja dann auch als Nachfolger um jeden Preis installiert. Das ging ja auch teilweise ziemlich unsauber zu, sowohl statuarisch als auch dann, was die Wahl an sich damals anging, um praktisch die Bücher und die Türen und Schränke verschlossen zu halten. Das hat Blatter sehr lange geschafft.
    Wir haben ja eine Affäre gehabt in der Schweiz, eine große, die ISL-Affäre, Schmiergeldaffäre, in der dann am Ende herumkam, dass die FIFA deshalb zweieinhalb Millionen Schweizer Franken zahlen musste, weil sie diese Strafermittlungen, an deren Ende Havelange als Geldnehmer in Millionenhöhe geoutet wurde, weil die FIFA diese Strafermittlungen praktisch vereitelt hat, jedenfalls nicht befördert hat.
    Und da sind wir schon mitten drin in dieser Kultur und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es ähnliche Dinge auch jetzt wieder geben wird, dass man in irgendeiner Form versucht, die Vergangenheit ruhen zu lassen durch einen neuen Amtsnachfolger, der nur noch nach vorne schaut, und das kann keiner sein, der von den Europäern gepusht wird. Denn wer immer von den Europäern ins Amt gebracht würde, steht unter der absoluten Verpflichtung, hier Transparenz zu üben und die Bücher zu öffnen.
    Machtkampf in der FIFA
    Kapern: Aber, Herr Kistner, wer soll das verhindern können, dass da nun jemand kommt, der die Parole ausgibt, wir blicken jetzt nur noch nach vorn und was in der Vergangenheit war, das wollen wir alles begraben und beerdigen? Wer soll das verhindern können, angesichts der Tatsache, dass die Mehrheit im Wahlkongress von Verbänden gestellt wird, die sich jetzt jahrzehntelang über die Geldgeschenke von Sepp Blatter freuen konnten?
    Kistner: Ja, das ist das große Pfund, das Blatter immer noch in der Hand hat. Er hat zum einen immer noch ein großes Gefolge in der Welt und zum anderen gibt es einen Mann, den man sich vorstellen kann in der Nachfolgerrolle, der sicherlich dafür auch ausersehen war. Es kommt nur jetzt ein bisschen früh, so ein paar Tage, nachdem er in den FIFA-Vorstand das erste Mal eingerückt ist. Das ist der kuwaitische Scheich Ahmed Al-Sabah. Der hat von Hause aus ein riesiges Stimmpaket aus Asien, fast alle, und auch ein sehr riesiges Stimmpaket aus Afrika hinter sich. Das ist fast schon die halbe Miete, und dann noch ein bisschen Blatter-Stimmen dazu, dann kommt man da locker durch. Von der Mehrheitsbildung her ist das sicherlich der Frontrunner.
    Wie gesagt, es kommt jetzt ein bisschen früh, aber innerhalb eines Jahres, wenn er in diesen Prozess, den Blatter da jetzt anstrebt, die sogenannte 20. Reinigung oder 25., mit eingebunden wird, dann kann man zumindest mal versuchen, ihm möglichst schnell möglichst viel Profil zu verschaffen von FIFA-Seite her, um dann eine lockere Amtsübergabe und vor allem eine treuhänderische Amtsübergabe zu machen.
    Ziehen die Sponsoren die Reißleine?
    Kapern: Das heißt, aber doch, die FIFA ist ein Fisch, der nicht nur vom Kopf, sondern auch vom Schwanz her stinkt. Sehen Sie überhaupt keine Möglichkeit, dieses System dann komplett aufzubrechen?
    Kistner: Das geht nur, wenn diese Dinge, die wir gerade hier spekulieren, wenn die eintreten. Dann kommt irgendwann tatsächlich mal der Punkt, wo die Sponsoren, wo die Geldgeber die Reißleine ziehen müssen. Das ist ja das Entscheidende. Wir schauen ja auch auf zwei wirklich sehr freudlose WM-Veranstaltungen in den nächsten Jahren. Das müsste den Sponsoren eigentlich auch ein bisschen Kopfzerbrechen schon bereiten. Die FIFA, diese ganze Geldmaschine Fußball-Weltmeisterschaft, das war ein Riesen-Ding. Wir erinnern uns an tolle Weltmeisterschaften mit allem Drum und Dran. In drei Jahren ist Russland dran, wenn es denn da hingeht. Da laufen ja auch Untersuchungen.
    Kapern: Haben Sie Zweifel daran?
    Kistner: Na ja, das wird sicherlich ein politisches Kräftemessen. Mir fällt auf, dass die Untersuchungen zu den WM-Vergaben nach Russland und nach Katar von den Schweizer Behörden geleitet werden. Natürlich stehen die Amerikaner dahinter und machen richtig Druck. Das könnte ein sehr raffiniertes Spiel sein, dass die Amerikaner Dokumente, die sie haben, an die Schweizer durchstecken, denn man hat ja den Informationsaustausch in diesen Fällen, und die Schweizer machen lassen. Das könnte eine sehr elegante Lösung sein.
    Ich bin mir ziemlich sicher, dass man in der Schweiz nicht nur glücklich ist über die Situation, hier so massiv gegen den größten Sportverband der Welt ermitteln zu müssen. Die Schweiz hat alles getan in den letzten Jahren, um so viel Sportverbände wie möglich ins Land zu locken. Da steht natürlich was zu erwarten, wenn die Amerikaner wirklich die Schweizer pushen.
    Kapern: ... sagt Thomas Kistner, der Sportjournalist und FIFA-Experte. Herr Kistner, danke, dass Sie heute Mittag Zeit für uns hatten. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag und sage auf Wiederhören.
    Kistner: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.