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FIFA-Skandal
"Die Fußballwelt ist seit gestern eine andere"

"Die Lügner und Betrüger, die die FIFA komplett durchsetzt haben, können seit gestern nicht mehr einfach so weitermachen": Für den Sportpublizisten Christoph Biermann implodiert mit der Verhaftung der FIFA-Funktionäre das "System Blatter". Dieser sei nicht mehr zu halten.

28.05.2015
    Christoph Biermann, Mitglied der Chefredaktion des Fußballmagazins "11 Freunde"
    Christoph Biermann, Mitglied der Chefredaktion des Fußballmagazins "11 Freunde" (Imago / Hoffmann)
    Jasper Barenberg: Das Timing ist nicht gerade das beste, so viel immerhin mochte auch der Kommunikationschef der FIFA einräumen. Ansonsten aber will die Spitze des Weltfußballverbandes weitermachen wie bisher. Und das heißt, wie geplant will sich FIFA-Präsident Joseph Blatter auf dem Jahreskongress in Zürich zum fünften Mal an die Spitze der Organisation wählen lassen, obwohl ranghohe Funktionäre in Auslieferungshaft sitzen, darunter ja auch zwei Vizepräsidenten. Am Telefon ist Christoph Biermann, Mitglied der Chefredaktion beim Fußballmagazin "11FREUNDE", schönen guten Morgen!
    Christoph Biermann: Guten Morgen!
    Barenberg: Ein weiterer Skandal, der folgenlos an Joseph Blatter abtropfen wird?
    Biermann: Nein, also, das glaube ich mit Sicherheit nicht. Möglicherweise wird dieser Skandal zunächst einmal wirklich nicht verhindern, dass er zum fünften Mal zum FIFA-Präsidenten gewählt wird, aber die Zeit ist jetzt eine ganz andere. Mir kommt der gestrige Tag so ein bisschen für die Welt des Fußballs so vor, wie im richtigen Leben einst der Fall der Mauer, denn es gibt da jetzt ein Vorher und Danach. Und die Fußballwelt ist jetzt eine ganz andere geworden.
    "Dieses Weitermachen ist jetzt vorbei"
    Barenberg: Warum empfinden Sie das als so einen starken Einschnitt?
    Biermann: Wir haben ja, wir, die wir uns eigentlich auch noch ein bisschen mit der FIFA beschäftigt haben, wir haben ja eigentlich nie einen Zweifel an dem gehabt, was da jetzt nun die amerikanischen und auch die Schweizerischen Ermittlungsbehörden jetzt vorgelegt haben. Und trotzdem ist immer weitergemacht worden. Und dieses Weitermachen, das ist jetzt mit Sicherheit vorbei. Denn die Lügner und Betrüger, die ja dieses System der FIFA komplett durchsetzt haben, werden seit gestern einfach nicht mehr so weitermachen können.
    Barenberg: Ist das der entscheidende Unterschied mit Blick auf staatliche Stellen und Staatsanwaltschaften, dass die früher doch in dem einen oder anderen Fall Entgegenkommen gezeigt haben, Langmut, vielleicht gar nicht so genau hinsehen wollten, und dass jetzt mit den Ermittlungen in den USA zum ersten Mal die Härte des Gesetzes tatsächlich in Anwendung gebracht wird?
    Biermann: Ja, es hat ja immer mal so kleine Randerscheinungen gegeben, irgendwelchen FIFA-Funktionären ist dann Korruption nachgewiesen worden, teilweise durch Journalisten. Es gab ja zum Beispiel von englischen Journalisten aufgezeichnete Bestechungsangebote an FIFA-Funktionäre, und da gab es dann Videos, wo die Leute danach gefragt haben, wie viel sie denn für ihr Entgegenkommen bekommen. Und da konnte man sie dann nicht mehr halten und das verschwand dann so. Nur, dass sich hier jetzt auch international organisiert staatliche Stellen darum gekümmert haben, und das sehr, sehr nachdrücklich, wie man ja gestern bei der Pressekonferenz der amerikanischen Generalstaatsanwältin und des FBI sehen konnte, das ist neu. Und das wird auch so dieses Gefühl von Unangreifbarkeit, das, glaube ich, alle, die daran beteiligt gewesen sind, hatten – also: uns kann sowieso keiner was! –, dieses Gefühl ist sicherlich weg, komplett.
    Barenberg: Auch das Gefühl, der Eindruck, dass Blatter wie auch immer, was auch immer kommt, die Zügel in der Hand halten kann, auch das ist jetzt anders?
    Biermann: Auch das ist jetzt anders. Er ist eigentlich nicht mehr zu halten, selbst wenn er jetzt gewählt wird. Ich bin wirklich mal gespannt, wie sich dann auch zum Beispiel die großen europäischen Fußballnationen verhalten, also der englische Fußballverbandspräsident hat ja jetzt eindeutig Blatters Rücktritt gefordert, ich bin mal gespannt, ob andere folgen, vielleicht heute sogar den Kongress boykottieren. Also, dieses ganze System implodiert gerade. Und ich denke, wir werden ja sicherlich, im Zuge dieser ganzen Ermittlungen wird auch noch einiges hinten dran kommen, möglicherweise sogar dass es Blatter persönlich betrifft, der ja nun im Grunde genommen der Architekt dieses Systems ist, weil dieses System so eingerichtet worden ist, um ihm quasi ewige Macht zu sichern.
    Barenberg: Und wenn so viele Menschen aus seiner unmittelbaren Umgebung, sage ich mal, offenbar bis zum Hals im Dreck stecken, dann kann man sich ja tatsächlich nicht vorstellen, dass er ganz frei ist von jeder Kenntnis über diese Vorgänge. Auf der anderen Seite ist die Begeisterung über den Fußball, für den Fußball, am Fußball weltweit ungebrochen. Diese Begeisterung, an dieser Begeisterung haben auch 17 Jahre Joseph Blatter an der FIFA-Spitze nichts geändert. Kann es uns nicht eigentlich egal sein, mit welchen Methoden innerhalb der FIFA Entscheidungen organisiert werden, Politik gemacht wird, solange der Erfolg da ist?
    Biermann: Nein, weil natürlich auch ganz viele geschädigt worden sind. Es sind Fußballverbände geschädigt worden, die möglicherweise mehr Geld hätten einnehmen können, und es dann eben denjenigen, die Fußball spielen, die Leistungsfußball spielen, die Hobbyfußball spielen, denen zugutegekommen wäre. Da ist ganz viel Geld abgezwackt worden, mit dem man eine Menge schöne Sachen hätte machen können. Und davon mal abgesehen, ist es natürlich auch eine moralisch nicht schöne Sache, dass irgendwie so eine tolle Geschichte wie der Fußball, na ja, letztendlich in der Spitze von einer Mafia gelenkt wird.
    "Ganz viel Geld, mit dem man eine Menge schöne Sachen hätte machen können"
    Barenberg: Sie haben es angesprochen, der englische Fußballverband fordert den Rücktritt von Blatter, die UEFA verlangt, die Wahl zumindest zu verschieben. Da gibt es also zwei Verbände, die sich ein bisschen aus der Deckung wagen. Sind das Verbände, auf die Sie Hoffnungen setzen, wenn es darum gehen wird, so etwas wie eine Selbstreinigung in Gang zu bringen?
    Biermann: Also, an so was wie eine Selbstreinigung glaube ich nicht mehr. Worauf ich allerdings auch sehr hoffe, sind die Sponsoren. Denn die FIFA hat große Sponsoren wie Coca-Cola, die Brauerei Anheuser-Busch, wie adidas, die sich natürlich inzwischen fragen: Tun wir uns eigentlich einen Gefallen damit, riesige Millionenbeträge in den Fußball zu investieren, vor allen Dingen in die Weltmeisterschaften, und schaden wir da möglicherweise unserem Image inzwischen mit, weil wir assoziiert sind mit einem Fußballverein, dessen Image nun gerade auf einem noch tieferen Tiefpunkt angekommen ist? Und möglicherweise wird der Druck von der Seite her besonders stark werden!
    Barenberg: Sagt Christoph Biermann vom Fußballmagazin "11FREUNDE". Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen, Herr Biermann!
    Biermann: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.