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"Figaros Hochzeit" an den Münchner Kammerspielen
Lust an der Subversion

Mit Figaros Hochzeit hat der ungarische Regisseur und Musiker David Marton seine zweite Inszenierung im Opernhaus der Kammerspiele erarbeitet. Mozarts Musik geistert dabei mehr als Zitat durch diesen Abend und ist doch zugleich ungeheuer präsent.

Von Sven Ricklefs | 13.06.2016
    Zu Beginn kommt man erst einmal zum gemeinsamen Stelldichein zusammen. Man groovt sich ein auf Mozart, alle wie sie da sind, mit Figaros berühmten Zentimeterangaben zum Ausmessen des neuen Ehebetts. Auf dieses Bett ist ja auch – wie man weiß – der Herr Graf geschliffen scharf, auf das Bett bzw. auf Figaros Anzutrauende, auf Susanna. Alles weitere, alle Pirouetten und Intrigen, die das so nach sich zieht, beschreiben Beaumarchais "Toller Tag und Mozarts "Figaros Hochzeit" auf die bekannte Weise. Wobei man in diesem Figaro, den nun David Marton im Opernhaus der Münchner Kammerspiele präsentiert, gut beraten ist, wenn man das Werk bestens kennt, scheint doch die Geschichte nur noch als Skelett auf und auch Mozarts Musik geistert mehr als Zitat durch diesen Abend und ist doch zugleich ungeheuer präsent.
    Wenn da drei Frauen in jeweils ihrer Sprache die berühmte Arie der Mozartschen Gräfin singen, die serbische Jazzsängerin Jelena Kuljić, die kanadische Konzertperformerin Marie Goyette und die deutsche Schauspielerin Annette Paulmann, dann ist das genau das, was der ungarische Musiktheaterregisseur David Marton mit seinen Opernbearbeitungen schaffen will: jenen berührenden Irritationsmoment, in dem nicht mehr klinisch reine Gesangskultur und Perfektion die entsetzlich abgenudelte Opernkultur als Perpetuum mobile am Laufen halten, sondern indem Menschen auf der Bühne diese Musik durch ihre Präsenz und Persönlichkeit in einem neuen Licht erscheinen lassen. Serbisch: hot, kanadisch: schräg und herrlich aufgetakelt deutsch. Und fast noch betörender schafft das der sich so unschuldig erotisch von Frau zu Frau küssende Franz Rogowski, in dem er seine Arien passend zu seiner Rolle als pubertär liebestoller Cherubino einfach röhrt.
    Von Olympe de Gouges Frauenrechtserklärung bis zum Fluxus-Manifest
    Doch wie immer will David Marton sehr viel mehr als nur eine liebevolle Dekonstruktion seines Herzensanliegens Oper, mehr als nur die freie Gruppenphantasie über ein bestehendes Werk. Diesmal so scheint es hat es ihm die Figur des - wie er sagt - reformorientierten Royalisten und Schriftstellers Beaumarchais angetan. Und so werden die Figuren im Laufe des Abends mehr und mehr auch zu Sprachrohren der verschiedenen Aspekte ihres Autors. Da kommt der Künstler ebenso zu Wort wie der politische Kopf, der Reformgeist, der Intellektuelle, der allerdings schwer durch die Zeiten und auch die Geschlechter mäandert. Das reicht von Zitaten aus Olympe de Gouges Frauenrechtserklärung von 1791 bis hin zum Fluxus-Manifest und seiner Forderung nach Antikunst aus dem Jahr 1963. Doch auch wenn da Zitate aus Geschichte und Gegenwart wie Botschaften herauszuragen scheinen, so rührt David Marton sie alle dankenswerter Weise wieder in seinem Figaro unter und lässt das letzte Wort keinem anderen als Cherubino, der schließlich nun doch singen darf, und zwar nicht Mozart dafür aber Gino Paolis herrliche Liebeschnulze: Senza Fine.
    Dieser Figaro ist nach David Martons grandios spielerischer Phantasie über Bellinis "La Somnambula" die zweite Produktion am Opernhaus der Münchner Kammerspiele, das, so hört man am Ende dieser Spielzeit spektakulär abgefackelt werden soll. Musik ist nicht gleich Museum hat sich David Marton auf die Fahnen geschrieben und hält es durch.