Fiktionen des Ich

Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge

Der österreichische Lyriker Rainer Maria Rilke, einer der einflußreichsten deutschsprachigen Literaten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Der österreichische Lyriker Rainer Maria Rilke, einer der einflußreichsten deutschsprachigen Literaten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts © picture-alliance / dpa
Von Rainer Maria Rilke · 19.03.2016
"Es kommt nicht darauf an, dass man mehr von den Beschworenen weiß, als der Scheinwerfer seines Herzens eben erkennen lässt. Sie sind nicht historische Figuren oder Gestalten seiner eigenen Vergangenheit, sondern Vokabeln seiner Not." Der Dichter Rilke verwehrte sich dagegen, das - vielleicht - Unverständliche in seinem einzigen Roman zu erläutern oder auf seine Biographie zurückzuführen.
Rilkes "Brigge", bereits 1910 erschienen, gilt heute neben Prousts "Recherche" und dem "Ulysses" von Joyce als Wegbereiter des modernen Romans. Sein Thema: die Entwurzelung des Subjekts und seine Rettungsversuche, nicht zuletzt durch die Kunst in einer aus den Fugen geratenen Zeit.
Die Erfahrung der Pariser Großstadt um die Jahrhundertwende dient dabei als Spiegel für eine Ästhetik des Hässlichen, der Krankheit und des Todes. Es gibt hier keine Handlung noch einen klassischen Erzähler: In der Form eines Tagebuches reiht sich assoziativ verknüpft eine Folge von Prosadichtungen, die zwischen Erinnerung, Beschreibung, Erzählung und Reflexion stehen. Aus ihnen schält sich schattenhaft die Figur eines 28-jährigen Dänen. Als letzter Spross eines alten Adelsgeschlechts versucht er, heimat- wie besitzlos, in Paris seine Existenz als Dichter zu begründen. Die Hörspielfassung arbeitet bewusst mit einem hohen Kürzungsfaktor. Im Zentrum stehen die Stadterfahrung und das sich in Sprache und Form auflösende Ich als Signatur moderner Erfahrung.
Regie: Iris Drögekamp
Komposition: Thomas Weber
Mit: Jens Harzer, Victoria von Trauttmansdorff, Wolf Dietrich Sprenger, Stephanie Eidt
Produktion: SWR 2015
Länge: 97'57

Rainer Maria Rilke, geboren 1875 in Prag, gestorben 1926 in Val Mont/Schweiz, schrieb mit der kurzen impressionistischen Erzählung "Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke" (1899) einen erbaulichen Bestseller über den soldatischen Heldentod, wandelte sich dann über seine Lyrik der "Neue Gedichte" (1907) und "Duineser Elegien" (1923) zu einem populären Dichter der Moderne.