Donnerstag, 18. April 2024

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Film "Das fehlende Grau"
Zu viele Grautöne

Die Regisseurin Nadine Heinze hat mit ihrem Lebensgefährten Marc Dietschreit den vierten Film produziert: "Das fehlende Grau" porträtiert eine junge Frau, die Männer verführt und dabei zwischen Verletzlichkeit und Aggression schwankt. Ein besonderer Film, findet unser Kritiker, dem mehr Mut zum Risiko jedoch gut getan hätte.

Von Rüdiger Suchsland | 21.06.2015
    Das Fehlen der Grautöne in ihrem Leben ist genau das Problem der jungen Frau, die hier im Zentrum steht. Denn schnell spürt man an ihrem Verhalten, dass irgendetwas daran nicht stimmig ist, dass der Anschein gewaltig trügt. Sie, deren Name nie genannt wird, von der wir nur ihren Beruf der Goldschmiedin erfahren, scheint zwar souverän über alle möglichen Register weiblichen Verhaltens und der Kunst der Verführung fremder Männer zu verfügen. Sie braucht und liebt es offenkundig, Aufmerksamkeit zu erregen. Sie scheint zu wissen, was sie tut, keine Angst zu haben, das Spiel mit verschiedenen Risiken zu lieben.
    Aber sofort ist auch Verletzlichkeit erkennbar. Man könnte sogar von Selbstzerstörungstrieb sprechen. Jedenfalls provoziert die junge blonde Frau die Männer, denen sie begegnet, bis aufs Blut. Zunächst bietet sie sich ihnen als Objekt für schnellen Sex, als Projektionsfläche für ihr heimliches Begehren und auch für jeweils individuelle Überschreitungsfantasien an. Doch immer wieder versteht sie es, diese Männer im entscheidenden Moment auch hinzuhalten und zurückzuweisen - zunächst spielerisch, dann um so entschiedener, drängender, bis sie selbst Grenzen überschreitet, die Männer provoziert, demütigt, bedroht, und so selbst aggressiv wird.
    Dieses Schema wiederholt sich, und wird von den beiden Regisseuren Nadine Heinze und Marc Dietschreit in ihrem Spielfilmdebüt souverän variiert und in vier sehr verschiedenen Varianten, die miteinander verschachtelt und zum Teil parallelisiert erzählt werden, entfaltet.
    Die Beobachterposition ist dabei grundsätzlich auf die junge Frau gerichtet, an deren Schicksal man Anteil nimmt, und von der man mehr wissen will, insbesondere über ihre Vorgeschichte. Der Film hält sich hier bewusst zurück, will seine Figur nicht ausschlachten und ihr Verhalten nicht übertrieben deutlich bewerten oder aus ihm pädagogische Schlüsse ziehen. Oft lacht man als Zuschauer mit der jungen Frau über die Männer, die zu ihrem Opfer werden, mitunter aber hat man auch mit diesen Männer Mitleid.
    "Du stinkst. Du stinkst aus dem Mund wie Scheiße." - "Ich wollte doch gar nichts tun, ich wollte doch nur einmal nicht ganz allein..."
    "Das fehlende Grau" verdankt sehr viel seiner großartigen Hauptdarstellerin Sina Ebell, die den Film im besten Sinne beherrscht und nahezu alleine trägt. Sie zeigt Einsamkeit und innere Zerrissenheit, Trauer und Unglück, aber auch Lust und Humor. Ihre namenlose Hauptfigur fügt sich in den derzeitigen Boom großer Frauenfiguren im deutschen Kino, ob in "Victoria", in "Hedi Schneider steckt fest", in Dominik Grafs "Geliebte Schwestern".
    Dem Publikum mehr zumuten
    "Das fehlende Grau" ist ein kleines, spezielles, interessantes, aber keineswegs perfektes Kinowerk. Ein inhaltliches Problem des Films ist, dass er das Verhalten seiner Hauptfigur, und der Männer auf die sie trifft, trotz aller Vorsicht doch pathologisiert, und seine krankhaften Aspekte betont.
    "Das Coole an der Sache ist: Ich bin nicht nur der Schiedsrichter, sondern auch der Hauptgewinn. Mach Dich mal locker..." - "Du hast echt 'nen Knall."
    Das müssen Zuschauer aber nicht akzeptieren. Oder steckt hinter jeder Lust am Verführungsspiel und der Manipulation von Mitmenschen bereits ein grundsätzlicher Defekt, hinter dem Wunsch nach Sex ohne Liebe notwendig ein krankhaftes Verhalten?
    Zudem wirft der Film eine ästhetische Frage auf, die er nur auf eine von mehreren möglichen Weisen beantwortet: So sehr Understatement ein gutes Rezept im Kino sein kann, so deutlich fragt man sich nämlich gelegentlich, ob sich der Film vielleicht selbst mehr Buntes und Schrilles hätte gestatten sollen?
    Vielleicht hätte man selbst visuelle Exzesse nicht sorgsam vermeiden sollen? Sondern sich mehr trauen, und auch dem Publikum mehr zumuten.
    So kann man resümieren, dass Nadine Heinze und Marc Dietschreit ein sehr guter, besonderer Film geglückt ist.
    Wenn man den beiden Filmemachern für ihren hoffentlich bald folgenden nächsten Versuch aber eines wünschen möchte, dann selbst etwas weniger Grautöne, und etwas mehr Mut zum Risiko des Schwarz-weiß.