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Film der Woche
Brachiale Meditation über die Trauer

Die schwarze Komödie "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri" gewann vier Golden Globe Awards und ist Aspirant auf den Titel "Bester Film" bei den Oscars. Der wunderbar hemmungslose und bewegende Film wirft unser gängiges Bild vom Trauern über Bord.

Von Hartwig Tegeler | 23.01.2018
    Frances McDormand mit der Filmcrew von 'Three Billboards Outside Ebbing, Missouri' bei den SAG Awards am 21. Januar 2018, bei denen der Film gleich in mehreren Kategorien Preise abgeräumt hat.
    Frances McDormand mit der Filmcrew von 'Three Billboards Outside Ebbing, Missouri' bei den SAG Awards am 21. Januar 2018, bei denen der Film gleich in mehreren Kategorien Preise abgeräumt hat. (Mark Ralston / AFP)
    "Wer hat die Dose geworfen?" - "Welche Dose?"
    Keine kluge Gegenfrage, denn kaum ausgesprochen, da hat Mildred dem Jungen schon in den Unterleib getreten, nur, weil er eine Limo-Dose auf ihr Auto geworfen hat. Mit der 50-Jährigen ist nicht zu spaßen. Sie trauert.
    "Was darf man laut Gesetz auf ein Billboard schreiben und was nicht?"
    Mildreds Hayes Tochter Angela ist ermordet, vergewaltigt und dann verbrannt worden. Die örtliche Polizei zeichnet sich aber in den Augen der Mutter durch Nichtstun aus.
    "Ich nehme an, man darf nichts Verleumderisches schreiben. Oder Ficken, Pisse oder Fotze. Stimmt das?" - "Oder Anus?"
    So mietet Mildred drei Werbetafeln an der Landstraße nach Ebbing, Missouri.
    "Dann dürfte ich keine Schwierigkeiten kriegen?"
    Eine Trauernde kurz vor dem Amoklauf
    Aber auch, wenn die Texte darauf keine drastischen Vokabeln enthalten, programmieren sie Ärger. Zu lesen ist:
    "Vergewaltigt beim Sterben. - Noch keine Verhaftungen. - Wie kommt das, Chief Willoughby?" Eine Anklage an alle, die den Mord an Angela vergessen wollen.
    Mit diesem Auftakt hätte Martin McDonagh das Feld bereitet für einen Rachefeldzug à la "Eine Frau sieht rot". Hätte. Gut, man könnte das, was Mildred - Frances McDormand: grandios - losbricht in Ebbing, Missouri, zunächst in Richtung solchen "Rotsehens" deuten. Im Sinne eines Rache-, eines Selbstjustiz-Dramas, und der Molotowcocktail auf die örtliche Polizeiwache scheint ja die typische Funktion des erlösenden Schusses haben zu sollen. Alle Trauer, erzählt uns das Kino nicht nur im Action-Genre, wäre damit transformiert! Zum Glück aber ist es viel komplizierter in "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri".
    Zunächst: Mildred ist einmal keine Heldin, sondern ein Kotzbrocken. Wenn der geschmähte, krebskranke Sheriff Willoughby - Woody Harrelson - Mildred zu beruhigen versucht.
    "Ich finde, Ihre Billboards da sind nicht besonders fair."
    ...kann man nicht behaupten, dass Mildred mit ihrem Zurückkoffern sympathisch wirkt. Eher durchgeknallt.
    "Ich an Ihrer Stelle würde eine Datenbank anlegen. Und wenn er was Unrechtes macht, würde ich alles vergleichen. Mich hundert Prozent überzeugen, dass die Übereinstimmung korrekt ist, und ihn töten."
    Das würde die Mutter dann auch gern selber machen. Frances McDormand spielt eine Trauernde am Rande nicht des im Kino so gängigen weiblichen Nervenzusammenbruchs, sondern kurz vorm Amoklaufs. Und doch wirkt Mildred gleichzeitig wie eine Geschundene der gleichen Trauer, der ihr Sohn Robbie beispielsweise mit einer wie auch immer glaubwürdigen Gelassenheit begegnet.
    Schwarze Komödie über Trauer außerhalb der Norm
    "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri" ist eine filmische Fantasie über die Trauer, die die genormten Vorstellungen darüber, wie man zu trauern hat, über Bord wirft. Und darin ähnelt Mildred auf wunderbar anrührende Weise dem schwarzen Engel, den Joseph Gordon-Levitt im Film "Hesher - Der Rebell" von 2010 spielt: ein langhaariger stinkender Heavy-Metall-Fan, der in das Leben eines Jungen prescht, der gerade seine Mutter bei einem Autounfall verloren hat, und Hilfe von Hesher anfängt, seine Wut über die Ungerechtigkeit des Lebens, also die Variante der aggressiven Trauer, zu leben. Mildred hingegen braucht keine Hilfe für jegliches Ausrasten.
    "Hey, Wichser!"
    Wobei sich unser Mitgefühl für die Dumpfbacke eines Hilfssheriffs...
    "Sie sagen zu einem Gesetzeshüter nicht 'Arsch'!"
    Den die trauernde Mutter auf die Hörner nimmt...
    "Hat Mama dir das eingetrichtert?"
    ...in Grenzen hält.
    "Nein, das hat meine Mama nicht getan!"
    "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri" ist eine schwarze Komödie eben. Wobei man manchmal den Eindruck hat, als ob McDonagh die Grenze zwischen Realität und Fantasie bewusst nicht markiert. Warum kann Mildred ohne Konsequenzen die Polizeistation abfackeln? Ein Wunschtraum? Das wirkt absurd, oder zeigt nur, dass Filmemacher McDonagh seine Geschichte radikal in den Dienst dieses Höllentrips durch die Abgründe der Trauer stellt. "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri" ist ein wunderbar hemmungsloser wie trauriger Film. Weil, Angela kommt nicht zurück am Ende. Egal, wie sehr Mildred auch berserkern möchte oder nur weinen. So ist das mit dem Verlust.