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Film der Woche: "Push"
Das Menschenrecht auf Wohnen

Vermieter ohne Gesicht, Wohnungen ohne Mieter: Die Dokumentation "Push" von Regisseur Fredrik Gertten zeigt, wie horrende Mietpreise unsere Städte zu unbewohnbaren Orten machen - und ergründet die Hintergründe. Verständlich, unterhaltsam und schonungslos.

Von Julian Ignatowitsch | 05.06.2019
London. Szene aus dem Film "Push – Für das Grundrecht auf Wohnen" von Fredrik Gertten.
Wohnen in London? Eine Szene aus „Push" – Für das Grundrecht auf Wohnen (Push/WG Film AB)
Menschen, die aus ihrem Zuhause, aus ihrem Viertel vertrieben werden. Es gibt sie in Toronto, New York, Berlin, Barcelona, Upsala oder Valparaiso. Sprich: Überall.
Wohnungen statt Pizza
"I think it’s hard to find one country where this is not a big issue…" Dokumentarfilmer Fredrik Gertten hat Mieter auf der ganzen Welt getroffen. Sie alle verbindet eins: Sie können sich das Wohnen in ihrer Stadt kaum mehr leisten, wegen profitgetriebener Investoren.
Fredrik Gerrten:"Es ist ein globales Phänomen. Dabei sind die Investoren nicht mal besonders schlau. Sie kopieren einfach ein Modell, mit dem sie Geld machen können. So wie: "Im letzten Jahr war es Pizza, und jetzt eben das Zuhause von Menschen."
Die Dokumentation "Push" verhandelt das vielleicht brennendste Thema unserer Zeit: Wohnraum, zu teurer Wohnraum. Das drastischste Zahlenbeispiel fällt gleich zu Beginn am Beispiel Toronto: Während die Immobilienpreise in den vergangenen 30 Jahren um 425 Prozent angezogen haben, ist das durchschnittliche Einkommen gerade mal um 133 Prozent gestiegen. Leilani Farah: "That´s realy a grim."
Verankert in der Menschenrechtserklärung
Dabei ist das Recht auf angemessenes Wohnen verankert in der Menschenrechtserklärung. Der Film begleitet UN-Sonderberichterstatterin Leilani Farha bei ihrem Kampf nach Gerechtigkeit. Sie ist die ideale Protagonistin: Telegen, klar, eloquent und immer am Fragen. Leilani Farha: "Gold is not a human right, housing is!"
An Farhas Seite lernen wir das Ehepaar kennen, dem - um eine Kündigung zu rechtfertigen - kriminelle Machenschaften vorgeworfen werden; oder wir sehen das kollektive Desinteresse von Politikern, während Farhas Vortrags vor den Vereinten Nationen, wenn alle nur auf ihr Smartphone starren und nach teuren Uhren googlen. Das sind Bilder, die hängen bleiben!
Dazu greift die Dokumentation auf die Expertise von Star-Ökonom Joseph Stiglitz, Autor Roberto Saviano und Soziologin Saskia Sassen zurück, die die Sachverhalte prägnant und verständlich erklären. Die Auswirkungen der Wirtschaftskrise 2008, leerstehende Luxus-Immobilien als sekündlich gehandeltes Investment-Spielzeug, Geldwäsche und Steueroasen als Fundament der globalen Ökonomie - so die Experten.
Nicht reißerisch, aber teilweise etwas vereinfacht
Fredrik Gerrten: "Das bedeutet: Wir hatten niemals einen größeren Unterschied zwischen Leuten, die in den Häusern wohnen, und denen, denen sie gehören. Die Hauseigentümer wissen oft nichts über dich, deine Stadt oder gar dein Land. Das ist etwas völlig Neues in der (Menschheits-)Geschichte."
"Push" spitzt manche These zu, ist dabei aber nicht reißerisch, auch wenn teilweise etwas vereinfacht wird. Der Dokumentation gelingt sogar das Kunststück trotz der frustrierenden Thematik unterhaltsam zu sein und eine positive Grundstimmung zu verbreiten, was wiederum stark mit Protagonistin Farha zu tun hat.
Was fehlt ist die Konfrontation, die Stimme der Gegenseite, also der Finanzwirtschaft. Der CEO des globalen Immobilieninvestors "Blackstone" sagt ein Gespräch kurzfristig ab.
Auch Lösungsvorschläge formuliert die Dokumentation wenige. Am Ende zeigt sie immerhin wie Farha Politiker trifft, zum Beispiel die Bürgermeisterin von Barcelona, um ein Umdenken einzuleiten. Dieses Ziel hat sich Gertten auch mit seinem 700.000 Euro teuren Film gesetzt: "Dokumentationen sind Teil einer Widerstandsbewegung. Dieser Film verbreitet Wissen. Auch wenn wir kaum Geld haben für Marketing oder berühmte Schauspieler, wird der Zuschauer mehr mitnehmen als aus einem Hollywood-Film."