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Film
Die Sexualität und das Unterbewusste eines Mannes

Denis Villeneuve erzählt in dem Kinofilm "Enemy" eine komplexe Doppelgänger-Geschichte mit Jake Gyllenhaal in der Hauptrolle. Die Adaption des Romans "Der Doppelgänger" von José Saramago ist nicht einfach, eher aufregend und verwirrend, aber für Rezensent Hartwig Tegeler wirklich großartig.

Von Hartwig Tegeler | 21.05.2014
    Der US-Schauspieler Jake Gyllenhaal bei der Premiere von "Enemy" am 20.3.2014 in Madrid
    Der US-Schauspieler Jake Gyllenhaal bei der Premiere von "Enemy" in Madrid (picture-alliance / dpa / Juanjo Martin)
    "Keine Sorge, ganz einfach. Ganz, ganz einfach. Die Geschichte eines verheirateten Mannes ist das", erläutert Regisseur Denis Villeneuve.
    "Ein Mann, der eine Affäre hat und zu seiner Ehefrau zurückkehrt. Und das sehen wir", meint der kanadische Filmemacher, ganz aus der Perspektive des Unterbewussten.
    Tja, ganz einfach also zu verstehen. Aber auch das mit der Spinne? Die wie ein Albtraum immer wieder auftaucht, einmal als gigantisches Monster über den Dächern Toronto, die Stadt, die in gelb-grauen Farben, wie im Smog zu ersticken scheint. Dann die Spinne, am Anfang, in diesem Sexklub, in dem der Mann, den Jake Gyllenhaal spielt, wie alle anderen Männer da sitzt und ihnen eine Vogelspinne auf einem Silbertablett präsentiert wird, buchstäblich, um dann von Absatz eines High Heels zertreten zu werden.
    Dann die Spinne, die den Raum füllt, als Anthony, der vielleicht ja gar nicht mehr Anthony ist, das Badezimmer betritt, in dem seine schwangere Frau duscht - oder ist es die des anderen? Die Spinne also. Ganz einfach. Die Angst des Mannes vor der Sexualität, der dunklen weiblichen Kraft. Wie Denis Villeneuve sagt: Alles aus der Perspektive des Unterbewussten. Aber einfach, nein, einfach ist dieser Kinofilm nicht, eher aufregend, verwirrend, saugend, großartig gespielt und komplex.
    Am Anfang der Sexklub, die Spinne, die zertreten wird. Danach scheinbar derselbe Mann, Adam, Geschichtsprofessor, und sein eintöniges Leben. Ab und zu trifft er seine Freundin - Mélanie Laurent -, will Sex mit ihr; ansonsten verbindet die beiden wenig. Adam wirkt wie in einem Traum. Dann sieht er einen Film, aber erst in der folgenden Nacht träumt er eine Szene nach, in der einer der Schauspieler aus dem Film so aussieht wie er, Adam selbst. Also, ein Mann, der wie träumend, schlafwandelnd durch einen Film läuft, träumt von einem Mann in einem Film. Wer ist Adam?
    Verschränkung von Traum und Realität
    "Hallo, guten Tag. - Hey, von wo rufst du an."
    Wieso denkt Helen, ...
    "Anthony, du hast zu Hause angerufen."
    ... wieso denkt Helen, Anthonys schwangere Ehefrau, ...
    "Tut mir leid, ich glaube, Sie verwechseln mich."
    ... dass Anthony anruft, während es doch Adam ist?
    "Ich rufe an, weil ich Daniel Saint-Claire sprechen möchte. - Anthony?"
    Fragt Helen. Sie versteht nichts.
    "Hallo! Wer sind Sie?"
    Traum und Realität sind in Denis Villeneuves Film "Enemy" auf wunderbare Weise miteinander verschränkt. Unentwirrbar. Überlappend. Nie können wir ganz sicher sein, in welchen Bereich wir hinein blicken. Adam und Anthony erweisen sich ...
    "Irgendeinen Unterschied muss es doch geben! - Gibt es nicht!"
    ... als Doppelgänger, deren unterschiedliche Leben durch die Suche von Adam nach Anthony aufeinander zu driften. Bis hin zur Fantasie des Schauspielers Anthony, mit der Freundin seines Doppelgängers Adam eine Nacht zu verbringen. Wer bist du? Wenn du nicht das lebst, was du leben willst, es abspaltest und es in den Anderen hinein projizierst.
    "Warum haben Sie nach mir gesucht? - Keine Ahnung, ich, ich weiß es nicht."
    Wunderbar eignet sich das Kino für solche Geschichten, weil das Irreale wie das Reale im Film gleich real scheinen. In einem Film wie "Enemy" können wir nicht mehr unterscheiden, ob das Bewusste, die Realität, das Hier, das Jetzt herrschen oder das Unbewusste. Man könnte das triebdynamisch, psychoanalytisch, mit Freud oder C. G. Jung oder oder erklären. Kann man aber auch lassen. Und einfach zuschauen. Zu diesem Schluss kommt am Ende auch Denis Villeneuve. Er habe nach einem perfekten Bild gesucht, um etwas über die Sexualität und das Unterbewusste eines Mannes zu erzählen. Mit der Dualität der Person hatte er es. Aber jetzt, sagt Denis Villeneuve, will er dieses Bild nicht mehr erklären.
    "Es macht viel mehr Spaß, es nicht zu erklären."
    Man könnte diesen formidablen Psychothriller "Enemy" aber auch mit Adams Worten auf den Punkt bringen:
    "Man weiß nie, wie der Tag ausgeht."
    Oder war es doch Anthony?