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Film "Eden"
Boom der Pariser Elektro-Szene

Von Rüdiger Suchsland | 30.04.2015
    Ein Leben im Rausch, im Rausch der Jugend, der Liebe, der Drogen, und vor allem der Musik. Das Porträt eines optimistischen Daseins, im Spaß, in völliger Gegenwärtigkeit - Innenansichten des Hedonismus: "Eden", der neueste und bereits vierte Spielfilm von Mia Hansen-Løve handelt tatsächlich vom Paradies, allerdings einem künstlichen, dem der Techno- und House-Musik, die die Popkultur seit Anfang der 90er-Jahre dominierte.
    Die Story reicht bis in unsere Gegenwart. Im Zentrum steht eine Gruppe junger DJs, die auch Musikproduzenten sind, und von den Partys leben, die sie organisieren. Einer von ihnen ist Paul, die Hauptfigur des Films. Er wollte studieren, doch bald verbringt er sein Leben mit Comic-Zeichnen, Artikeln, die er für Fanmagazine verfasst, mit Partys, Mädchen und vor allem mit seiner einzigen echten Passion: der elektronischen Musik.
    Es gibt Liebschaften, Freundschaften in dieser abwechslungsreichen Geschichte, Streit und Wiedersehen, Figuren, die aus der Handlung verschwinden, und dann später wieder auftauchen, es gibt Tod, Sex, viele Drogen und viele Partys.
    Hansen-Løve kreiert das Porträt einer ganzen Generation. Es ist das Leben jener Generation, die ihre Jugend nach dem großen Umbruch lebte, nach dem Mauerfall von '89. Eine Generation, für die Partys und Musik, die gelebte Freiheit, zur Utopie werden und die Träume von politischer Veränderung oder Lebensreform ersetzten.
    Doch auch in diesem Fall folgt dem Zauber der Anfänge die Desillusionierung. Die Drogen werden unkontrollierbar, das Geld fließt nicht wie gewünscht. Der ganze große Erfolg bleibt aus, und stattdessen wurschteln sich die Figuren so durch.
    "Könnt ihr mir mal 2.000 Francs leihen? Ich bin voll im Minus" - "Was 2.000?" - "Versteh nicht, du machst doch dauernd Partys" - "Für uns ist es auch grad nicht leicht." "Ich dachte bei dem Erfolg der Respect-Partys - das läuft doch phänomenal" - "Klar aber ohne Eintritt ist es nicht rentabel und die Besucher sind zu jung, da kommt über die Getränke nichts rein."
    Dies ist auch eine persönliche Geschichte, denn hier verarbeitet die Regisseurin die Lebensgeschichte ihres Bruders. Der arbeitete jahrelang als DJ, und versank um ein Haar in der Partyhölle aus Sex, Drogen und Elektro-Beats.
    Man muss das nicht wissen, um von der Intensität, mit der Hansen-Løve in die Techno-Kultur eintaucht, gefangengenommen zu werden, um sich von der Sympathie, die sie für ihre Figuren hat, und mit der sie die Seelenlage eines ganzen Zeitalters einfängt, berühren zu lassen.
    "Eden" ist ein musikerfülltes Stationendrama, das sowohl in Euphorie, wie in Melancholie getaucht ist, und dem es gelingt sich zwischen diesen beiden Gemütslagen nicht entscheiden zu müssen. Das liegt an der sehr besonderen filmischen Methode dieser ungemein begabten Filmemacherin: Ihre Kamera ist subjektiv, folgt ihren Figuren in die Partykeller und atmet gewissermaßen im Rhythmus der Beats. Der Blick des Films flaniert zwischen dem Geschehen, wechselt die Perspektiven. Durch diese gewissermaßen fragmentarische Erzählweise stellt die Regisseurin eine Zeit und eine Epoche dar, in ihrer Breite in Form dichter Beschreibung, fast ethnologisch und alltagsgebunden - und nicht wie allzuoft im Kino von einer hochdramatischen Szene zur nächsten, von Plotpoint zu Plotpoint springend.
    Das Besondere an diesem Film ist, dass er noch dem kleinsten Detail genauso viel Bedeutung beimisst wie den Figuren und den großen Linien seiner Handlung. "Eden" ist ein Film voller Understatement, voller Zurückhaltung und dabei neugierig und wahrhaftig, voller Intimität.
    In ihrem Verständnis von Authentizität ähnelt Hansen-Løves Ästhetik der ihres Lebensgefährten Olivier Assayas, dessen Film "Apres Mai" gleichfalls autobiografisch geprägt war, und einen ähnlichen Prozess des Erwachsenwerdens, der Desillusionierung schilderte.
    Untergründiges Thema ist in beiden Fällen auch das Vergehen der Zeit: Wir sehen, wie Automarken wechseln, Mobiltelefone kommen, wie Gästelisten durch Tablets ersetzt werden, Garage durch House, House durch Techno. Das Duo "Daft Punk" hat einige Cameo-Auftritte, völlige Laien spielen mit professionellen Schauspielern und richtigen Stars wie der New Yorker Mumblecore-Göttin Greta Gerwig. Aber auch die ist eben nur eine von vielen.
    Mit "Eden" ist Mia Hansen-Løve ist ein großartiger, berührender, stellenweise nostalgiesatter, aber niemals kitschig-sentimentaler Film geglückt. Er handelt von der Vertreibung aus dem Paradies - der Jugend; der Unbeschwertheit.