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Film "Eine neue Freundin"
Rituale der Verwandlung

Geschlechterrollen wechseln und lösen sich auf in Francois Ozon jüngstem Film "Eine neue Freundin". Der Tod von Claire wird darin zum Wendepunkt im Leben ihrer besten Freundin und ihres Ehemanns.

Von Josef Schnelle | 26.03.2015
    David (Romain Duris) und Claire (Anais Demoustier) in einer Szene des Films "Eine neue Freundin" von Francois Ozon.
    David (Romain Duris) und Claire (Anais Demoustier) in einer Szene des Films "Eine neue Freundin" von Francois Ozon. (picture alliance / dpa / Bertrand Calmeau)
    "Jemand zu Hause?"
    Eine Szene wie von Alfred Hitchcock gedreht. Claire betritt ein Haus. Sie hört Babyjammern und sieht eine Frau mit blonden Haaren auf dem Sofa. Dann dreht diese sich um. Im Trailer zum Film wird nicht gezeigt was sie nun sieht, lediglich ihr eigenes Entsetzen. Es ist eine mehr als falsche Spur. Denn nicht Horror erwartet sie, vielmehr eine neue ebenso irritierende wie beglückende Lebenserfahrung. Eigentlich hatte sie David erwartet, den Mann ihrer verstorbenen Freundin. Sie hatte ihr auf dem Totenbett versprochen sich um Mann und Kind zu kümmern. Doch dann gestaltet sich alles ganz anders als erwartet. Man nennt so etwas seit Hitchcock Suspense. Der Zuschauer weiß etwas, was die Filmfiguren noch nicht wissen. Gerade deshalb funktioniert der Schockeffekt. In Wahrheit muss sich Claire einer traumatischen Erfahrung stellen. Ihre beste Freundin ist gestorben. Sie hinterlässt Mann und Kind. Die bewegende Rede von Claire beim Begräbnis zeigt, wie intensiv die Gefühle der Freundinnen füreinander waren.
    Der Tod als Leerstelle
    "Laura war meine beste Freundin. Schon von Anfang an. Es war Liebe. Seit unserer ersten Begegnung. Weil wir füreinander geschaffen waren. Wir waren erst sieben Jahre alt und wir dachten, dass es für ewig wäre."
    Im neuen Lebensalltag nach dem Tod der Freundin haben alle zu kämpfen. Besonders dem Witwer David fällt es schwer, seine Lebensumstände allein mit dem Baby zu akzeptieren. Nur in Claire findet er eine Vertraute. Auch seine Geheimnisse will sie mit ihm teilen. Und die Leerstelle ausfüllen, die der Tod ihrer Freundin bei ihr hinterlassen hat.
    "Es wird mir guttun, ein bisschen Zeit für mich zu haben." - "Das habe ich auch zu Claire gesagt. Zeit ist sehr wichtig." - "Aber mir macht es Angst." - "Warum?" - "Mich um Lucie zu kümmern, verhindert, dass ich nachdenke."
    In fast Buñuel'scher Manier fächert François Ozon das nun neu entstehende Verhältnis der beiden Zurückgelassenen auf. Welche Rollen werden sie einander zuweisen? Wie weit werden sie in ihrer Beziehung zueinander gehen? Weit abgeschlagen landet Claires Ehemann, der bald eine Affäre vermutet, als Claire den weiblichen Faktor ihrer neuen Freundschaft zu David entdeckt. Sie hat ihn nämlich - zurück zum Thema Suspense - in Frauenkleidern und mit blonder Perücke erwischt. Zunächst will David so den Verlust überbrücken, doch dann merkt er, dass da mehr in ihm schlummert: Er tauscht die Rollen, kleidet und fühlt sich wie eine Frau.
    "Bonjour Claire, wie geht's?" - "Wieso rufst du mit dieser Nummer an. Bist du verrückt?" - "Entschuldige bitte. Aber ich wollte sicher sein, dass du rangehst." - Was gibt es denn? Wieso rufst du mich an? - "Ich muss dich wiedersehen. Es hat mir sehr gutgetan, mit dir zu sprechen, und dass du das mit mir teilst."
    In neuen Rollen
    Claire ist verwirrt. Sie wird von einem Mann angezogen, der sich als Frau kleidet und interessiert sich plötzlich für die Rituale der Verwandlung. Wie verändert das ihre eigene Geschlechterrolle? Buchstabiert sie ihr Frausein neu? Ist sogar Liebe möglich in neuen Rollenmodellen? All diese Fragen stellt Ozon nicht, ohne dass er Gefahr läuft, an erdrückenden Klischees zu ersticken. Doch er meistert sowohl Melodram wie komische Schmonzette. Manchmal wirkt der Film wie eine Gender-Studie. Dann wieder ist er ganz nah an provozierenden Auffächerung von Lebensmodellen. Nur zu explizitem Sex kommt es nicht. Claire will keinen neuen Mann, sondern eine neue Freundin.
    "Ich bitte dich, sag niemanden etwas. Es muss unter uns bleiben." - "Das kann ich nicht versprechen." - "du hast jemanden kennengelernt?" - "Eine Psychologin. Sehr sanft. Sie versteht mich, ohne mich zu verurteilen." - "Du bist krank David." - "Ich will nichts mehr verdrängen Claire. Es ist in mir." - "Das kann nicht lange so gehen." - "Ich weiß." - "Du bist pervers. Das muss aufhören."
    Interessiert, ruhig und unaufgeregt verfolgt Ozon die Irrungen und Wirrungen, in die seine Figuren geraten. Und so ist dieser Film mit hervorragenden Darstellern vor allem ein intelligenter Versuch über die Definition von Weiblichkeit. Können Männer verstehen, warum sich Frauen so anziehen, wie sie sich anziehen und können Frauen Männern die Strumpfhosen verpassen, die sie verdienen. François Ozon hinterlässt ein zu Recht verwirrtes Publikum. Und: Kann das gut gehen?