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Film "La La Land"
"Es ist ganz klar ein Nostalgiefilm"

Das sich Näherkommen in "La La Land" empfindet die Filmwissenschaftlerin Sarah Kanawin als "extrem konservativ" dargestellt, sagte sie im Corso-Gespräch. Der Film habe viele Referenzen zu alten Filmen. Er zeige oft fast groteske Klischees von Frauen und Männern - die Tanzszenen würden nicht im Mittelpunkt stehen.

Sarah Kanawin im Gespräch mit Sigrid Fischer | 27.02.2017
    Die frisch gekürten Oscar-Gewinner Emma Stone und Ryan Gosling tanzen in "La la land".
    Die frisch gekürte Oscar-Gewinnerin Emma Stone und ihr Filmpartner Ryan Gosling tanzen in "La la land". (imago/ZUMA Press)
    Sigrid Fischer: Mit dem Tanzfilm verbinden die einen Fred Astaire, Gene Kelly, 30er-, 40er-Jahre, die anderen John Travolta und Patrick Swayze, 70er, 80er, wieder andere vielleicht Channing Tatum aus der "Step Up"-Reihe. Jede Generation hat so offenbar ihre Tanzklassiker im Kino. Und wie sortiert sich denn der Oscar-Abräumer "La La Land" in diese Reihe ein? Mit seinem unbedingten Nostalgiewillen wird er ja sicher nicht der Tanzfilm der Generation der späten 2010er-Jahre werden.
    - Darüber spreche ich jetzt mit Sarah Kanawin, Theater-, Film- und Medienwissenschaftlerin aus Wien und Mitherausgeberin des Buches "Tanz im Film. Das Politische in der Bewegung". Guten Tag nach Wien, Frau Kanawin!
    Sarah Kanawin: Guten Tag!
    Fischer: Ja, was ist das für Sie eigentlich, dieser "La La Land"? Sie haben sich jetzt so viel mit Tanzfilmen beschäftigt, was ist das für Sie für ein Film?
    Kanawin: Allgemein wird es ja als Musical verhandelt, wobei ich finde, dass gerade die Tanznummern eben sehr klein sind. Es gibt eben am Anfang diese ganz große, pompöse, sehr teuer produzierte Tanznummer, und dann den Film über gibt es eigentlich nur sehr kleine, kurze Szenen mit relativ wenig Tanz. Die Musik spielt eine wichtigere Rolle. Und am Ende kommt dann wieder eine klassischere Musicalnummer, auch mit großen Szenenbildern und so, die den Film wieder abrundet. Also ganz am Anfang und am Ende ist es vermutlich ein relativ klassisches Musical, und dazwischen ist es von allem so ein bisschen. ...
    Fischer: Was meinen Sie mit klein? Klar, weil nur zwei Leute dann ... eben Ryan Gosling, Emma Stone meistens so eine Tanzeinlage haben.
    "Die beiden sind keine Tänzerinnen"
    Kanawin: Eben, oder auch nur Ryan Gosling alleine oder dann eben mit diesem Paar auf der Brücke. Klein auch, weil sie nicht besonders ... Also man merkt das, die beiden sind ja keine Tänzerinnen. Und das merkt man auch. Also man merkt auch, dass das den Produzenten, der Regie bewusst war und dass das eben deswegen auch recht spärlich eingesetzt wird und dort jetzt auch nicht die extremen Tanzkenntnisse hergezeigt werden. Also der Fokus liegt nicht darauf.
    Fischer: Da kann man ja gleich mal nach dem Sinn fragen, warum eigentlich Darsteller, die weder singen noch tanzen können, schickt man jetzt in so einen Film. Ryan Gosling hat ja auch gesagt, er hatte da sehr viele Bedenken vorher. Warum macht man das eigentlich? Ich meine, Fred Astaire hat's auch irgendwann gelernt, aber war auch Schauspieler erst mal, ne?
    Kanawin: Ja, aber dann ein sehr guter Tänzer, genauso wie Ginger Rogers.
    Fischer: Warum, ja ...
    Kanawin: Das ist eine gute Frage. Ich schätze mal, weil die beiden eben im Moment extrem erfolgreich sind und weil man auch auf diesen Erfolg gesetzt hat – vielleicht auch, um eine andere Zielgruppe noch mal anzusprechen als mit dem reinen Tanzfilm, wie zum Beispiel "Step Up" oder so, die ja auch sehr erfolgreich waren, aber eben ein sehr spezifisches Publikum auch ansprechen.
    Fischer: Aber es funktioniert ja irgendwo, also die Leute sind ja – zumindest in den USA – wirklich viel reingegangen und haben nicht gesagt, och, die können das ja gar nicht. Also das scheint auch nicht zu stören.
    Kanawin: Ja, es ist ja auch recht charmant eingebunden, und es ist ... Ich finde, man merkt, dass eben klar ist, dass das eben nicht der Mittelpunkt ist. Und damit wird auch selbstbewusst umgegangen. Und das ist ja vielleicht auch was, was durchaus sympathisch ist.
    Fischer: Vielleicht können wir mal überhaupt fragen, welche Funktion hat der Tanz überhaupt in diesem Film und was wäre, wenn man ihn weglassen würde? Also es geht ja hier zum Beispiel nicht darum, wie in vielen Filmen, über den Tanz kommen sich da zwei näher oder er wirbt um sie oder so was – welche Funktion hat es hier nach Ihrer Meinung?
    "Nähe extrem konservativ dargestellt"
    Kanawin: Also gerade die zwei Tanzszenen, wo sie sich näherkommen ... Sie kommen sich ja schon durchaus näher in den Tanzszenen, und die sind eben auch – wie ganz viel an dem Film – eben Referenzen oder Zitate von anderen Filmen. Die erste Tanzszene der beiden ist für mich eine ganz klare Referenz auf "Top Hat", also auf einen Film mit Fred Astaire und Ginger Rogers. Und die zweite Tanzszene auf "Peter Pan". Also es sind auch so Referenzen, wo es irgendwie in eine Fantasiewelt auch geht, aber wo trotzdem der Film auch an einem wichtigen Punkt ist, vielleicht nämlich der Punkt, an dem sie sich eben dann doch irgendwie näherkommen – auch wenn das extrem konservativ dargestellt ist in dem ganzen Film, weil eigentlich wirklich Nähe zwischen den beiden kaum gezeigt wird.
    Fischer: Ich finde, es herrscht Eiseskälte in dem ganzen Film zwischen diesen beiden, aber das nur nebenbei, das kann ja auch manchmal ein Problem sein wirklich zwischen Schauspielern, das ist eben manchmal so, dass es nicht funktioniert. Aber wenn Sie ja sagen, dann will da doch einer – nämlich Damien Chazelle, der Regisseur – so einen Nostalgieeffekt erzielen, indem er eben an solche Filme erinnert oder an bestimmte Tanzfilme oder an eine bestimmte Ära auch vielleicht des Hollywoodfilms erinnert, oder?
    Kanawin: Ja, sicher. Also es ist ganz klar ein Nostalgiefilm, in dem es extrem viele Referenzen auf alte Filme gibt, in dem ja auch die Farben des Films schon diesen Nostalgieeffekt geben, die Kostüme – sie trägt die ganze Zeit Kleider, er trägt die ganze Zeit Anzüge, also auch ganz fast groteske Klischees von Frauen und Männern. Wo man denken würde, die sind auch eigentlich sehr veraltet, die da aber hochgehalten werden in diesem Film.
    Fischer: Also letztlich dann auch ein Film für Cineasten oder für Hollywood. Feiert sich nicht Hollywood selbst irgendwie am meisten in diesem Film? Der Film hat auch – wenn ich mal eben Zahlen nennen darf – in den USA 136 Millionen eingespielt, bei einem Budget von 30, und in Deutschland zehn jetzt nur mal, und weltweit 205. Also es ist wirklich auf die USA konzentriert auch, dieser große Erfolg.
    Kanawin: Ja, sicher. Also ich glaube, gerade dass Hollywood so darin gefeiert wird, und das spielt ja auch in Los Angeles, in "La La Land" eben, und es geht um diesen Traum, Schauspielerin zu werden, den Traum, Musiker zu werden, also auch eben Träume, die da ganz wichtig sind. Und sicher macht es auch viel vom Erfolg aus, auch bei der Kritik und auch jetzt dann wieder bei den Oscar-Nominierungen und so, weil es da einfach auch um Dinge geht, die die Menschen wahrscheinlich ansprechen, die da eben nominieren oder die die Kritiken schreiben.
    Fischer: Ja, genau. Leider macht er aus diesen Themen auch sehr wenig. Aber was in Ihrem Buch zum Beispiel steht, was die Funktion auch oft von Tanzszenen natürlich ist, so mit Wirklichkeitsdarstellungen zu spielen oder so einen Bruch mit der Wirklichkeit herzustellen. Das macht ja dieser Film ganz klar, dass man sich dann plötzlich in so einem, ja, was weiß ich, so einer Märchenwelt oder so was da auf einmal befindet – so wie der Film inszeniert ist mit den Hintergründen auch, oder?
    "Extrem kitschiger Sonnenuntergang"
    Kanawin: Ja, also die Farben sind da natürlich extrem kitschig, es ist ein extrem kitschiger Sonnenuntergang oder -aufgang. Oder eben auch in der Schlussszene gibt's dann ja auch wirklich Kulissen, in denen getanzt wird, also ein ganz klassisches, wobei die Fantasiewelt, in die es da geht, ja eigentlich nicht sehr fantasiereich ist. Also am Ende kriegen wir in dieser Welt zwar ein alternatives Ende, das aber jetzt auch nicht ganz ausbricht aus dem, was in der Realität jetzt vielleicht vorstellbar wäre, oder so, wie das durchaus in manchen anderen Filmen ist. Dass es dann ganz abgedreht wird oder so, passiert dort eigentlich nicht, obwohl es ja um Träume geht. Aber es geht um sehr realistische Träume, sehr einfache Träume vielleicht auch.
    Fischer: Ich höre so ein bisschen raus, Sie hat es nicht so unbedingt überzeugt. Nennen Sie doch mal ein Beispiel von Tanzfilmen, wo Sie sagen, ja, da funktioniert genau so was, auch so utopische Räume öffnen oder Emotionen unterstreichen vielleicht mit so Tanzszenen. Wo, würden Sie sagen, ist das mal super gelungen gewesen?
    Kanawin: Ich nenne vielleicht einen Film, der auch irgendwie in unserem Buch vorkommt. Simon Sailer schreibt eben über "Top Hat", und das bietet sich vielleicht an, weil das ja auch die Szene ist, die da wiederum zitiert wird in dem Film. Und da zeigt sich sehr gut, dass in dem alten Film es eigentlich in dem Tanz immer eine neue Ebene gibt. Das ist auch eine Annäherungsebene zwischen Ginger Rogers und Fred Astaire. Die Rahmenhandlung ist sicher irgendwie noch mehr in den 30ern als jetzt dieser Film, aber sie begegnen sich im Tanz auf einer viel gleichberechtigteren Ebene. Sie imitieren sich, Ginger Rogers hat auch eine Reithose an, ist damit auch schon rein äußerlich viel männlicher. Und das wird durch den Tanz in diesem Film extrem verstärkt, weil auch im Tanz diese Gleichberechtigung, dieses Spiel miteinander, das Nachahmen der gegenseitigen Bewegungen, diese klassischen Geschlechterrollen aufbricht irgendwie. Und der andere Punkt, um den es eigentlich in Simons Artikel geht, ist eben, es herrscht dort ein Gewitter, im Gegensatz zu jetzt "La La Land", in dem ein traumhafter Sonnenaufgang die Naturkulisse darstellt, und dieses Gewitter ... sie setzen sich in dem Tanz mit dem Gewitter auseinander, sie eignen sich diese unheimliche, unbeherrschte Natur an, indem sie auch die Geräusche in Bewegung umsetzen, wie man das eben auch oft kennt von ganz klischeehaften Regentänzen oder so. Und ich finde, da passiert im Tanz was, was total spannend ist und was so im Film einfach nicht möglich wäre – über Sprechen zum Beispiel oder so.
    Fischer: Ja, vor allem dieses Element der Körperlichkeit, dass man eben ohne Worte und so weiter eine Körperlichkeit hat, die empfinde ich übrigens hier bei "La La Land" auch nicht, also dass man über dieses, ja, diese Körperbewegung einfach auch sich was vermittelt, ganz viel. Weiß ich nicht, wie es Ihnen da gegangen ist. Wie ist denn das, vielleicht ... also der Tanzfilm hat ja Höhen und Tiefen immer mal wieder gehabt, dann war er da, war er wieder verschwunden. Würden Sie sagen, dass "La La Land" jetzt so eine neue Welle vielleicht auslösen könnte an Tanzfilmen? Aber eigentlich erinnert er ja eher an die alten, wie wir schon gesagt haben, deswegen weiß ich gar nicht. Glauben Sie, da kommt jetzt einiges nach?
    Kanawin: Na ja, es ist schwer zu sagen, weil es eben nicht ein ganz klassischer Tanzfilm ist eigentlich. Also es gab ja die Tanzfilme jetzt eben auch weiter, zum Beispiel "Step Up" war auch ein großer Erfolg oder "High School Musical" oder so, ein bisschen früher, eben dann immer auf der Sparte. Und ich glaube, dieser Film ist ein Versuch, aus der Sparte herauszugehen.
    Fischer: Sarah Kanawin hat ein Buch mit herausgegeben, das heißt "Tanz im Film", aber "La La Land" kommt da nicht drin vor, aber darüber haben wir jetzt gesprochen. Danke schön!
    Kanawin: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.