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Film "The True Cost"
Den Finger in die Wunde gelegt

Spätestens seit dem Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesh 2013 sind die Bedingungen, unter denen Mode produziert wird, noch mal deutlich geworden. In der Dokumentation "The True Cost - der Preis der Mode" nimmt Regisseur Andrew Morgans den Zuschauer mit auf eine Reise durch die globale Mode-Welt. Und das tut weh.

Von Hartwig Tegeler | 20.01.2016
    Stephen Colbert bringt die Politische Ökonomie der Mode im 21. Jahrhundert auf den Punkt: Der globale Markt ist ein Ort, ätzt der US-Komiker und TV-Moderator, wo wir Arbeit, unter welchen Bedingungen auch immer, exportieren; und dann kommen die Produkte zurück zu uns, billig genug, um sie ohne Bedenken wegwerfen zu können. - Aber nüchtern gesprochen ätzt Stephen Colbert ja gar nicht, sondern zieht nur den gleichen analytischen Schluss über die globale Bekleidungsindustrie, zu dem auch Andrew Morgan in seinem Film "The True Cost - Der Preis der Mode" kommt.
    Die extreme, weltweit immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich macht Dokumentarfilmer Andrew Morgan sinnbildlich deutlich, wenn er zum einem Auszüge aus YouTube-Fashion-Kanälen zeigt: Junge Frauen oder Mädchen präsentieren hier vor ihrer Smartphone-Kameras neueste Billig-Einkäufe und reden dabei auch mal vom T-Shirt, das sie haben mussten, aber nie anziehen werden. Also: Tonne.
    Gegen das Bild solchen Konsumwahns stellt "The True Cost" das der Textilarbeiterin aus Bangladesh, die beim Unfall in der Nähfabrik ihre Beine verlor und die das T-Shirt, das das Konsum-Girl vor Gebrauch wegschmeißt, zusammengenäht haben könnte:
    "Ich ging von meinem Arbeitsplatz in Richtung Treppenhaus. Als ich es erreichte, fiel das Gebäude zusammen und meine Beine wurden eingeklemmt. Dann fiel noch die Seitenwand auf meine Beine."
    Die verheerenden Folgen von Fast Fashion
    Der Zusammenbruch der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesh, bei dem 2013 mehr als 1.000 Menschen starben und weit über 2.000 verletzt wurden, steht für die Folgen von "Fast Fashion". "Fast Fashion" meint kurzlebige Mode, immer billiger hergestellt und verkauft. Und zwar in den Niedriglohnfabriken der Entwicklungsländer, wo Firmen produzieren wie Zara, H&M, Primark, Forever 21, Topshop, GAP, Mango oder Joe Fresh - Unternehmen, die Andrew Morgan im Film aufzählt. Weltweit gibt es 40 Millionen Näher und Näherinnen; 85 Prozent davon Frauen. 2,5 Billionen Dollar setzt die Industrie heute um. Und die Realität hinter solchen Zahlen? Darum geht es in Andrew Morgans Dokumentation.
    Stationen einer Reise durch die globale Mode-Welt: Bangladesh, Kambodscha, Indien, China, da, wo immer billiger genäht wird. Und dazu New York, London, Paris, wo auf Laufstegen oder in irgendeiner TV-Sendung mit irgendeinem nächsten Top-Model der schöne Schein dieser Welt zelebriert wird. Andrew Morgan zeigt aber nicht nur das System, sondern auch die Gegen-Bewegung, die wächst. Es geht mit anderen Worten in "The True Cost" nicht nur um die verheerenden Folgen von "Fast-Fashion", sondern auch um "Fair Fashion". Also Fair-Trade, gerechten Handel. Lobbyisten der Fast-Fashion-Firmen sprechen davon, dass die Alternativen für die Arbeiter in den Entwicklungsländern schlimmer seien als die Arbeit in den Nähfabriken.
    Der Film macht den abstrakten Begriff von der globalen Welt konkret
    Ein wohlfeiles Argument, um Niedriglöhne, unsichere Betriebsbedingungen und damit auch die immer wieder passierenden Unfälle zu legitimieren. Doch eine Modedesignerin wie Stella McCartney konstatiert in "The True Cost", dass es zwar im System immer noch um Profit geht, doch langsam zeichnet sich, so McCartney, ein Umdenken ab. Man beginnt, die wahren Kosten dieses Systems der niedrigen Preise wahrzunehmen:
    Safia Minney, Gründerin des Fair-Trade-Modemarke "People Tree", meint: Die Fair-Trade-Bewegung ist die Antwort der Bürger, um die soziale Ungerechtigkeit in unserem funktionsgestörten Handelssystem zu korrigieren, da, wo Arbeiter und Bauern kein Existenzminimum gezahlt bekommen.
    "The True Cost" macht am Ende den abstrakten Begriff von der globalen Welt konkret. Die Modeindustrie vermittelt mit jedem Werbespot die Botschaft, dass wir sind, was wir tragen. Diese Philosophie nimmt diese Dokumentation ernst und appelliert subtil, aber sehr bestimmt an unsere Verantwortung als Konsumenten. Denn natürlich tragen wir mit dem Kauf jedes Billig-T-Shirts dazu bei, das das System, das Andrew Morgan darstellt, ewig weiterläuft. Gut, wer möchte das schon hören. Und war das nicht beispielsweise auch bei den kritischen Dokumentationen über die industrielle Nahrungsmittelproduktion so? Dass wir uns immer an die eigene Nase fassen mussten? Ja, ist nun mal so bei Dokumentationen, die filmisch geschickt Finger in Wunden legen.