Dienstag, 19. März 2024

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Filmexperiment
Das Gehirn als Regisseur

Der Brite Richard Ramchurn hat einen Film gedreht, der durch die Gehirnströme des Zuschauers gesteuert wird. Ein Headset misst die Gehirnaktivität und überträgt sie an einen Computer, der dann entscheidet, wie die einzelnen Szenen aussehen sollen. Gelingt das Experiment?

Von Dennis Kastrup | 21.06.2018
    Ein Hinterkopf, an dem etwa ein Dutzend Elektroden zum Zweckke der Hirnstrommessung angebracht sind
    Hirnstrommessung im EEG: Elektroden werden nach einem standardisierten Schema auf der Kopfhaut befestigt und über Kabel verbunden. (imago / Ute Grabowsky)
    Richard Ramchurn: "Ich stelle jetzt eine Verbindung mit dem mobilen EEG Headset her. Es sammelt elektronische Signale vom Gehirn und schickt sie über Bluetooth an den Computer. Mit diesen Daten machen wir einen Film."
    Ein Beamer und ein Computer stehen in einem abgedunkelten Raum vor Richard Ramchurn. Auf die weiße Wand dahinter wird in den kommenden 30 Minuten sein Film "The Moment" projiziert. Ich sitze davor und trage ein EEG-Headset, das ein bisschen an eine Badekappe erinnert. Bunte Kabel sind dort angeschlossen und hängen mir vom Kopf herunter. Die Apparatur misst meine Alpha- und Gammawellen im Gehirn. Die Messungen zeigen, ob jemand aufmerksam ist oder nicht.
    Richard Ramchurn: "Wir haben jetzt ein gutes deutliches Signal. 100 bedeutet hohe Aufmerksamkeit. 0 wenig."
    Gehirnwellen werden zum Regisseur
    Auf dem Bildschirm erscheinen nun immer wieder neue Zahlen. Diese Daten werden im Hintergrund kontinuierlich gesammelt und von dem Computer verarbeitet. Ihre in Echtzeit erfolgende Auswertung beeinflusst den Verlauf der Geschichte des Films.
    Richard Ramchurn: "Wenn man weniger aufmerksam ist, unterbricht der Film den Erzählstrang und geht zu einem anderen über. Wenn diese Veränderung passiert, ist man wieder aufmerksamer, weil neue Informationen auf einen zukommen. Dann fängt man an, die neue Szene zu entdecken. Wenn man wieder unaufmerksam ist, verändert sich der Film wieder. Auch die Musik und der Sound verändern sich."
    "The Moment" beginnt in düsterer Atmosphäre. Es geht um eine Zukunft, in der die Verschmelzung von Mensch und Maschine zur Normalität geworden ist. Eine Frau kämpft gegen die männlichen Bösewichte. Das ist die Geschichte, grob nacherzählt. Genau zusammenzufassen, was passiert, ist unmöglich. Denn jeder Zuschauer beeinflusst individuell mit den übertragenen Gehirnströmen, wie der Film ablaufen wird.
    Richard Ramchurn: "Es gibt drei Geschichten oder drei Charaktere, denen wir folgen. In der Hauptgeschichte spielen die Darsteller miteinander. Dann gibt es aber auch 18 Szenen, an deren Ende immer aus 6 Möglichkeiten entschieden wird."
    Das bedeutet: Es mussten insgesamt 6 mal 18, also 108 Szenen gedreht werden. Aber welche Aneinanderreihung davon ist die beste? Und: muss man unbedingt immer aufmerksam sein, um einen Film genießen zu können?
    Ein Spiel mit der Aufmerksamkeit
    Richard Ramchurn: "Das ist sehr wichtig für mich und das sage ich den Leuten auch. Die denken, dass hohe Aufmerksamkeit gut ist. Es geht aber immer rauf und runter. Das macht unsere Aufmerksamkeit ganz natürlich. Manchmal konzentrieren wir uns auf eine Sache und denken dann an eine andere. Daraus mache ich eben einen Film."
    Beim Schauen merke ich schnell, dass meine Aufmerksamkeit sich nicht dem Film selber widmet. Mich fasziniert die Art und Weise, wie er entsteht. Ich beginne mich immer öfter zu fragen: War das jetzt ein Zeichen von Aufmerksamkeit oder nicht? Langweile ich mich? Und wenn, kann ich den Film manipulieren, indem ich mich ganz stark auf etwas anderes konzentriere? Ramchurn kennt das Phänomen, wünscht sich aber eigentlich etwas anderes.
    Richard Ramchurn: "Es gibt in der Neurowissenschaft ein Konzept, das sich "Spiegelung" nennt. Das wurde schon vorher von Künstlern für Installationen benutzt, wie zum Beispiel Marina Abramovic. Im Grunde genommen geht es darum, dass man mit jemanden im selben Raum ist und mit demjenigen Kontakt aufnimmt. Die Gehirnwellen werden sich dann mit der Person synchronisieren. Das hat man mit dem EEG bewiesen. Meine Hypothese ist, dass man dasselbe mit einem Medium wie dem Film machen kann."
    Zu aufwendig für den Kinosaal
    Für mehr als eine Person ist das aber nicht möglich. In einem großen Kinosaal müsste zeitgleich die durchschnittliche Aufmerksamkeit aller Zuschauer errechnet werden. Das wäre viel zu aufwendig. Es stellt sich überhaupt die Frage, wie sinnvoll das Ganze ist. Denn das Schneiden einzelner Szenen ist eine Kunst, die den Film stark beeinflussen kann. Profis entscheiden für uns, wie die Dramaturgie am besten erzeugt wird. Dafür gibt es nicht ohne Grund eine eigene Kategorie bei den Oscars. Und sich einfach mal ohne großes Nachdenken von Bildern berieseln zu lassen, kann schließlich auch sehr entspannend sein.