Freitag, 29. März 2024

Archiv

Filmfestival Wiesbaden
Frauenpower aus Osteuropa

600 Filme wurden beim GoEast-Filmfestival eingereicht - viele von jungen Regisseurinnen. Frauen - vor und hinter der Kamera - waren bei der 17. Ausgabe des Festivals für den mittel- und osteuropäischen Film in Wiesbaden dominierend. Márta Mészáros, Pionierin des ungarischen Kinos, kam als Ehrengast.

Von Kirsten Liese | 02.05.2017
    Tragikomödie "Requiem for Mrs. J". Eine Witwe, die sich, arm, einsam, von der Gesellschaft und der Familie aufs Abstellgleis gestellt, das Leben nehmen will. Hier umarmt sie ein Kind.
    Regisseurin Mirjana Karanovic drehte die Tragikomödie "Requiem for Mrs. J": Eine Witwe - arm, einsam, von der Gesellschaft und der Familie aufs Abstellgleis gestellt - will sich das Leben nehmen. (@GoEast )
    Lena plagen Depressionen. Ihr Mathelehrer hat sie vergewaltigt, niemand weiß davon. In der Jugendpsychiatrie, in die ihre Eltern sie nach einem Selbstmordversuch eingewiesen haben, findet sie keine Hilfe. Die Therapeuten zweifeln den sexuellen Missbrauch der Mädchen an. Mitpatienten verspotten Lena in einer eskalierenden Gruppentherapie.
    "Schmutzig", das bewegende Debüt der Slowakin Tereza Nvotová, ist einer von zehn Spielfilmen im diesjährigen Wettbewerb, der von sechs Dokumentationen ergänzt wird. An ihm zeigt sich das gewohnt hohe Niveau des osteuropäischen, nun deutlich weiblicher gewordenen Autorenkinos in Wiesbaden. Schonungslos nimmt die Regisseurin Missstände ins Visier, die so im Westen kaum denkbar wären:
    "Meine Inspiration erwuchs aus der Wut darüber, dass über sexuelle Gewalt geschwiegen wird, obwohl sie klar sichtbar wird. In Tschechien ist jede zehnte Frau schon einmal vergewaltigt worden, aber keine bringt das zur Anzeige. Das Thema ist immer noch tabu."
    Prekäre Lebensumstände
    Prekäre Lebensumstände von Frauen facettenreich vermittelt: In den subtilen bewegenden Geschichten überwiegen keine larmoyanten Töne. Klaglos, bisweilen geradezu stoisch erdulden die Heldinnen ihre Schicksale. Ihr dicker Panzer, den sie sich zugelegt haben, bewahrt sie davor, am Schmerz zu zerbrechen.
    In dem Drama "Glotz nicht auf meinen Teller" kümmert sich beispielsweise eine Kroatin rührend um ihren pflegebedürftigen Vater und den behinderten Bruder, wiewohl ihre Eltern sie tyrannisieren und schlagen.
    Hommage an die erste Filmemacherin aus Ungarn
    Auch die erste Filmemacherin aus Ungarn meisterte ihr Leben mit großer Tapferkeit. Márta Mészáros, die 85-jährige Pionierin des ungarischen Kinos, verlor in ihrer Kindheit beide Eltern. Die Grande Dame, die einige ihrer Werke autobiografisch färbte, kam anlässlich der Hommage an sie nach Wiesbaden. Von ihr wurden acht Filme gezeigt.
    "Ich stand mit meinem Leid nicht allein. Damals waren fast alle Kinder Waisen, kaum einer wurde bei seinen Eltern groß. Wenn heute ein Kind Mutter und Vater verliert, sticht das tragisch hervor, damals war das Teil der Normalität. Wahrscheinlich hat uns dieses Bewusstsein gestählt."
    Mit der serbischen Schauspielerin und Regisseurin Mirjana Karanovic kam noch eine international viel beachtete Künstlerin nach Wiesbaden.
    Emanzipation im Osten
    In der Tragikomödie "Requiem for Mrs. J" ist sie eine Witwe, die sich, arm, einsam, von der Gesellschaft und der Familie aufs Abstellgleis gestellt, das Leben nehmen will.
    "In meinem Land und den angrenzenden Ländern drum herum müssen wir wirklich eine Anlaufstelle für verzweifelte Frauen schaffen, denn die wenigsten schaffen es aus eigenem Antrieb, mit Ehrgeiz und Kampfesgeist ihr Glück zu schmieden."
    Emanzipation im Osten erscheint keineswegs aussichtslos. Optimismus verströmte allen voran Manana, die Protagonistin in der georgisch-französisch-deutschen Koproduktion "Meine glückliche Familie".
    Lange genug hat sie mit ihren herrischen alten Eltern, ihrem Mann und den Kindern auf engstem Raum zusammen gelebt. Mit Anfang 50 zieht sie aus und mietet sich eine eigene Wohnung, um endlich einmal an sich zu denken. Es traten erfreulich zahlreiche starke weibliche Identifikationsfiguren auf dem Go East Filmfestival in Erscheinung.