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Filmkritik: "Der Marsianer"
Brave grüne Männchen?

"Der Marsianer" ist ein patriotischer, aber dabei erstaunlich friedfertiger Science-Fiction-Film. Die Heimholung des Vermissten, die Rettung des zurückgelassenen amerikanischen Helden, pathetische Solidarität und Opferbereitschaft - Ridley Scotts Film folgt den ausgetretenen Pfaden des amerikanischen Unterhaltungskinos.

Von Katja Nicodemus | 08.10.2015
    Szene aus "Der Marsianer" von Ridley Scott: Mars-Astronaut Mark Watney muss alleine auf dem roten Planeten überleben.
    Szene aus "Der Marsianer" von Ridley Scott: Mars-Astronaut Mark Watney muss alleine auf dem roten Planeten überleben. (imago / 20th Century Fox)
    - "Er kommt direkt auf uns zu."
    - "Bei derzeitiger Ausweitung entsteht eine Kraft von 8600 Newton!"
    - "und abbrechen müssen wir bei 7500."
    - "Alles darüber könnte das MAM umkippen."
    Nein, wir müssen sie nicht verstehen, die kryptische Wissenschaftssprache, eine vertraute Zutat auch dieses Science-Fiction-Films. In "Der Marsianer" von Ridley Scott heißt das, dass die erste Mars-Expedition der Nasa wegen eines gigantischen Sturms beendet werden muss.
    Noch ein weiteres vertrautes Motiv des modernen Science -Fiction-Films taucht in "Der Marsianer" auf: die starke Frau im All. Schon in Ridley Scotts 1979 entstandenem Film "Alien I" legte sich Sigourney Weaver als feministische Vorreiterin mit einem Monster und einem rebellierenden Roboter an. In "Der Marsianer" ist es Jessica Chastain, die als militärisch getrimmte Kommandantin den Befehl zur Evakuierung gibt.
    - "Abbruch vorbereiten. Fertigmachen für Notstart."
    - "Martinez, wie lange bis zum Start?"
    - "12 Minuten."
    - "Sichtweite fast Null."
    - "Bereit?"
    - "Bereit!"
    Nur die ersten Minuten des Films liefern jene klassische Action, die man bei Science-Fiction-Produktionen erwartet. Chaos, Panik, in den marsianischen Sturmböen herumwirbelnde Ausrüstungsteile und Menschen.
    Irrtümlich wird ein Besatzungsmitglied für tot gehalten und auf dem Planeten zurückgelassen: Mark Whatney alias Matt Damon. Von nun an kann sich die Handlung entschleunigen und gemeinsam mit dem Helden - warten. Denn Whatney weiß, dass er frühestens in ein paar Jahren mit seiner Rettung durch die nächste Expedition rechnen kann. Whatney ist ein Robinson Crusoe auf dem Mars, ein klassischer amerikanischer Kinopionier, der in einer lebensfeindlichen Umgebung das tut, was Pioniere immer tun: Sich die Natur Untertan machen.
    Die neue Herausforderung von Weltraumhelden ist die Einsamkeit
    "Rechnen wir es aus. Unsere Mission war ausgelegt auf 31 SOLs. Zur Sicherheit gibt's Essen für 68 SOLs für sechs Crew-Mitglieder. Das heißt, es reicht für mich allein 300 SOLs, wobei ich es auf 400 strecken kann, wenn ich rationiere. Das heißt, ich muss mir überlegen, wie ich Essen für drei Jahre anbauen kann, auf einem Planeten, auf dem nichts wächst."
    Bereits in Alfonso Cuaróns oscarnominiertem Film "Gravity" zeichnete sich vor zwei Jahren ein Wandel des Science-Fiction-Films ab. Hier musste Sandra Bullock als im All gestrandete Astronautin vor allem die eigenen Dämonen bezwingen, um auf die Erde zurückkehren zu können. Auch Mark Whatney ist in "Der Marsianer" auf fast existenzialistische Weise allein. Aus den Gemüsevorräten der Expedition zieht er Setzlinge, baut das Labor der Marsstation zum Treibhaus um. Gedüngt wird mit den eigenen Exkrementen.
    Die Herausforderung dieser neuen Weltraum-Helden, so scheint es, sind nicht die äußeren Feinde. Gekämpft wird hier nicht mehr gegen Klonkrieger, schleimige Monster oder schwarze Planeten. Die Herausforderung sind vielmehr Einsamkeit, Hunger, Langeweile. Und für Mark Whatney ein Bordcomputer, in dem sich keinerlei Musik findet, außer...
    Gloria Gaynor: "I'll survive"
    Anderthalb Jahre allein auf dem Mars mit den Disco-Hits der siebziger Jahre! Das mag für Mark Whatney eine Prüfung sein. Für den Science-Fiction-Film ist es eine Bewegung weg von Laserschwertern und Weltraumschlachten. In den achtziger Jahren wurde der Film "Star Wars" in der Öffentlichkeit zum Namenspaten für Ronald Reagans Plan eines Atomraketenabwehrprogramms. "Der Marsianer" hingegen taugt nicht als Symbolreservoir für kriegerische Auseinandersetzungen. Stattdessen schaut man Matt Damons langsam dünner werdendem Helden dabei zu, wie er Kartoffeln anbaut, Kartoffeln erntet, Kartoffeln zubereitet, Kartoffeln kaut. Währenddessen solidarisieren sich seine Kameraden auf der Raumfähre mit dem einsamen Marsmenschen.
    - "Wir haben ihn zurückgelassen."
    - "Holen wir unseren Mann!"
    Die Heimholung des Vermissten, die Rettung des zurückgelassenen amerikanischen Helden, pathetische Solidarität und Opferbereitschaft - hier folgt Ridley Scotts Film wieder den ausgetretenen Pfaden des amerikanischen Unterhaltungskinos. Sagen wir es so: "Der Marsianer" ist ein patriotischer, aber dabei erstaunlich friedfertiger Science-Fiction-Film.