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Filmkritik "Die getäuschte Frau"
Entrückte unterwegs auf mitteleuropäischen Autobahnen

Im ihrem Film "Die getäuschte Frau" erzählt Regisseurin Sacha Polack die Geschichte von Nina, die nach dem Tod ihres Partners dessen Doppelleben entdeckt. Vor allem der erste Teil des Films bedient gekonnt die Filmästhetik der Berliner Schule - der zweite Teil driftet aber in Küchenpsychologie ab.

Von Patrick Wellinski | 30.07.2015
    Verschwommener Gesichtsausschnitt - Mund und Nase sind zu sehen
    Nina deckt in "Die getäuschte Frau" das Doppelleben ihres Partners auf. (picture alliance / Klaus Rose)
    Nina ist eine unscheinbare Frau. Sie irrlichtert durch niederländische Autobahnraststätten. Zu Beginn von Sacha Polacks still-traurigem Film "Die getäuschte Frau" sehen wir sie bei einem Country-Festival. Ein junges Pärchen steht vor ihr in der Schlange und Nina schiebt sich immer enger an deren Rücken. Sie sucht Nähe und Körperkontakt. Sie wird abgewiesen. Dann sehen wir sie Autofahren. Einmal nimmt sie einen jungen Anhalter mit. Er ist wie wir, sehr neugierig auf das Geheimnis der verschlossenen Frau: - "Sind Sie verheiratet?" - "Mein Mann hat mich verlassen."
    Das ist eine Lüge. Wahr ist, dass Boris, Ninas Mann, ein LKW-Fahrer, bei einem Autounfall starb. An der Autobahnausfahrt bei der niederländischen Stadt Zurich erinnert ein Holzkreuz an ihn. Einmal fährt Nina dahin. Sie steigt aus. Geht zum Kreuz. Wir sehen Fotos von Boris und seinen Kindern. Aber seltsam: Nina ist darauf nicht zu sehen. Und auch die Kinder sind nicht von ihr. Nach langer Abwesenheit kommt Nina dann kurz nach Hause:
    "Sie haben 25 neue Nachrichten. Nachricht 1. Hallo hier ist Paco. Meinst du, wir können reden?"
    Geheimnis der getäuschten Frau
    Regisseurin Sacha Polack versucht, das Geheimnis dieser getäuschten Frau in ihrem sehr ruhig und präzise inszenierten zweiten Spielfilm zu ergründen. Dabei wird Ninas Geschichte in zwei Teilen erzählt. Im ersten sehen wir die Folgen von Ninas Trauer. Völlig frei von psychologischen Deutungen fällt unser Blick auf diese einsame Frau, die sich von allem losgelöst hat. Sie wird zum Phantom, das Wärme und Liebe braucht, ihnen aber recht selbstzerstörerisch aus dem Weg geht.
    Sehr deutlich wird das in Ninas Affäre mit dem deutschen LKW-Fahrer Matthias, den sie bei einer Autopanne kennenlernt. Schnell verlieben sich die beiden. Matthias stellt Nina sogar seinen kleinen Söhnen vor.
    - "Wo wohnst du eigentlich?" - "Welche Straße?" - "Hast du eigentlich einen Mann?" - "Einen Mann? Ich bin doch mit eurem Papa!"
    In der ersten Hälfte des Films erkennt man, dass Sacha Polak es versteht, das Gefühlsleben von widerspenstigen Frauenfiguren zu erforschen. War es in ihrem Debüt "Hemel" eine aufmüpfige Lolita-Inkarnation, ist es nun die trauernde Trucker-Witwe. Gemeinsam mit ihrer Drehbuchautorin Helena van der Meulen sucht Polak den erzählerischen Minimalismus und die Reduktion. Die Bilder sind konzentriert. Sie verweigern den konventionellen Rhythmus von Montage und gehen manipulativer Musik aus dem Weg. Damit bedienen die beiden hoch talentierten Niederländerinnen die Filmästhetik der Berliner Schule. - "Du machst zu. Du machst nicht auf. Weißt du was, man kann sich von Leuten nehmen, so viel, bis nichts mehr da ist. Und bei mir da ist nichts mehr!"
    Zweiter Teil: Abdriften ins Belanglose
    Nach dem starken ersten Teil folgt in "Die getäuschte Frau" der zweite. Der Film macht einen Zeitsprung zurück an den Tag des fatalen Unfalls. Hier werden die Hintergründe von Ninas erratischem Verhalten erklärt, auch, warum sie die getäuschte Frau ist. Leider wird durch diesen dramaturgischen Kniff jede Doppeldeutigkeit und Ambivalenz auf den Boden der küchenpsychologischen Tatsachen geholt. Ninas anfänglich noch mysteriöse Trauerarbeit driftet ins Belanglose.
    Das hat diese Filmfigur wahrlich nicht verdient. Und vielleicht darf der Filmkritiker dann auch mal einschreiten und eine Frau wie Nina vor den konstruierten Fügungen des Drehbuchs retten. Vor allem, wenn sie von der Debütantin Wende Snjiders gespielt wird. Snjiders, eigentlich Sängerin und Performance-Künstlerin, spielt die Nina mit einer irritierenden Kantigkeit. Dabei erinnert sie an die junge Frances McDormand. Gerne wäre man noch länger dieser Entrückten gefolgt, durch mitteleuropäische Autobahnen und Rasthöfe.
    Doch Sacha Polack und Helene van der Meulen haben anderes mit ihr vor. Das ist das gute Recht der Filmemacher. Für Nina hätte man sich aber ein anderes Ende oder in dem Fall - einen anderen Anfang - gewünscht.