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Filmpremiere vor 65 Jahren
"Sissi" - extraleichte Unterhaltung für die Nachkriegszeit

Neuere Biografien zeigen Kaiserin Elisabeth von Österreich als luxuriöse Egomanin. Mit dem Naturkind Sissi im gleichnamigen „Historienfilm“ hatte sie eher wenig zu tun. An den Hauptdarstellern Romy Schneider und Karlheinz Böhm blieb die am 21. Dezember 1955 uraufgeführte Schmonzette zeitlebens kleben.

Von Beatrix Novy | 21.12.2020
    Romy Schneider als "Sissi", 1955
    Romy Schneider als "Sissi", 1955 (Courtesy Everett Collection)
    Eine Musik wie kannenweise Himbeersirup. Auf dem Bergsee schmettert das Volk seine Gesänge, arm, aber glücklich. Herzig die Kinderschar des gemütlichen Landesvaters, Herzog Max in Bayern - ein unbekümmerter Ehebrecher, dies aber nur in der historischen Wirklichkeit. Das Setting ist also perfekt, jetzt fehlt nur noch: "Sissi!"
    Auftritt Romy Schneider als Wildfang von Possenhofen: "Guten Morgen!" – "Um Himmels Willen, Sissi, was machst du denn schon wieder!"
    Selten schlug ein Weihnachtsfilm derart ein. "Sissi" wurde nach der Wiener Uraufführung am 21. Dezember 1955 nicht nur in Österreich und Deutschland, sondern international ein enormer Erfolg. Seine jugendliche Hauptdarstellerin Romy Schneider überstrahlte damit endgültig ihre Mutter: Magda Schneider, beliebte Vorkriegsdiva vorwiegend im Hopsasa-Trallala-Genre - ihre eigenen Worte - hatte schon 1953 ihr Debüt als Filmmutter von Romy gehabt: im Musik-Melodram "Wenn der weiße Flieder wieder blüht". Da war Magda noch die Hauptperson gewesen.
    Szene aus dem Film "Wenn der weiße Flieder wieder blüht" mit der 14-jährigen Romy Schneider und ihrer Mutter Magda (rechts) 
    Szene aus dem Film "Wenn der weiße Flieder wieder blüht" mit der 14-jährigen Romy Schneider und ihrer Mutter Magda (rechts) (United Archives)

    Mutter und Tochter im Paket

    Fortan wurden Tochter und Mutter immer wieder, und nicht immer gern, als Paket gebucht. Magda Schneider nutzte ihre zweite Karriere mit Geschäftssinn, und Teenager Romy kam sowieso kaum zum Denken:

    "Meistens kommt so um 7 Uhr - na Moment, 6:55 Uhr steht auf der Disposition meistens, dann fangen wir um halb neun zu drehen an, vorher ist die Anschmiererei, die Schminkerei, und dann wird gedreht bis halb eins, eins. Dann ist eine halbe Stunde Mittagspause, dann geht’s weiter bis 7 Uhr."

    "Rosarote Marzipanschweinchen-Welt"

    Aber schon bald erhob die kleine Diva ihr Sissi-Stimmchen mit Äußerungen des Widerstands. Die Fortsetzung "Sissi, die junge Kaiserin" ließ sie noch über sich ergehen, den dritten Teil "Schicksalsjahre einer Kaiserin" hätte sie - aber nur - fast abgelehnt. Romy Schneider ahnte, was ihr Filmgatte Karlheinz Böhm besonders schmerzlich erfahren sollte: die, Zitat Böhm, "rosarote Marzipanschweinchen-Welt" wurde zum Stigma, für beide blieb "Sissi" eine lebenslange Last.
    Der Regisseur der Sissi-Trilogie war Ernst Marischka, erfolgreichster Spross einer ganzen Kino-Dynastie. Mit den Marischkas verbinden sich Fließband-Titel wie "Rosen in Tirol", "Allotria in Zell am See", "Du bist die Rose vom Wörthersee"; extraleichte Unterhaltung für die Nachkriegsgesellschaft im Stil der Vorkriegszeit, erweitert zum werbeträchtigen Heimatfilm.
    Als liebenswerter Kaiser Franz-Josef (r) schrieb Karlheinz Böhm mit der "Sissi"-Trilogie (1955 - 1957) an der Seite von Romy Schneider als Kaiserin Elisabeth (M) Filmgeschichte.
    Als liebenswerter Kaiser Franz-Josef (r) schrieb Karlheinz Böhm mit der "Sissi"-Trilogie (1955 - 1957) an der Seite von Romy Schneider als Kaiserin Elisabeth (M) Filmgeschichte (picture-alliance / dpa)

    "Sissi" ein Historienfilm? Ein Witz

    "‘Sissi ist eigentlich weniger aufgrund der Diktatur des leider nicht sehr guten Publikumsgeschmacks entstanden, sondern gleichsam auf Befehl der österreichischen Hoteliers und Gastwirte", mutmaßte der Schriftsteller Alexander Lernet-Holenia. "Historienfilm" nannte Ernst Marischka seine Sissi. Im Licht neuerer Biografien ist das bekanntlich ein Witz: Die zeigen eine unangepasste, sportliche, politisch interessierte, aber auch luxuriös-egomane Selbstdarstellerin Elisabeth, die - als Heine-Verehrerin - tief empfundene und äußerst schlechte Gedichte schrieb. Immerhin sind aber die Grundzüge der Filmstory nicht erfunden: die schnelle Entfremdung der jungen Elisabeth vom Wiener Hof, ihre Ungarn-Begeisterung, ihre ständigen Fluchten ins Ausland. "Aber ich will ja gar nicht Kaiserin werden! Ich will frei leben ohne Zwang!", beteuert "Sissi" im Film.
    Das Ölgemälde von Franz Xaver Winterhalter zeigt Elisabeth, Kaiserin von Österreich und Königin von Ungarn, in einem schulterfreien weißen Kleid und mit Blumen im Haar.
    Elisabeth, Kaiserin von Österreich und Königin von Ungarn auf einem zeitgenössischen Ölgemälde von Franz Xaver Winterhalter (picture-alliance / dpa)

    Säule des nostalgischen Habsburger-Tourismus

    Die authentische Sisi verband allerdings problemlos die Vorteile des Kaiserin-Seins und ein nomadisches Rebellentum. Die mysteriöse Erscheinung der Ewig-Schönen, die sich bald nach ihrem 30. Geburtstag nicht mehr fotografieren ließ, beschäftigte bereits die Fantasie ihrer Zeitgenossen. Schon 1932, 34 Jahre nach ihrem Tod, brachten der Komponist Fritz Kreisler und zwei Marischkas ein Musical namens "Sissi" auf die Bühne. In den Songs heißt es etwa:

    "Man muss seinen eigenen Willen haben als Träger der Herrschergewalt."
    "Und zum Schluss geschieht ja doch, was die Mutter bestimmt."
    "Sie, wer sagt denn das?"
    "Die Liebesgeschichte zwischen der absonderlichen Elisabeth und dem kühlen Franzl würde in Wahrheit nicht einmal für den kürzesten Kurzfilm ausreichen", urteilte wirklichkeitsfremd das Wiesbadener Tagblatt 1957, als Österreich den dritten Sissi-Film stolz zum Festival in Cannes einreichte.
    Seit den 90er-Jahren wurde das Produkt Sissi zu einer tragenden Säule des nostalgischen Habsburger-Tourismus ausgebaut. Und das Musical "Elisabeth" leistete sich mit postmoderner Selbstironie ein wahres Wort: "Kitsch". Ja, Kitsch. Einfach herrlich.