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Finanzen und Glückspiel im alten Rom

Vor zwei Jahren haben deutsche Wissenschaftler in der römischen Basilica Aemilia des Forum Romanums sogenannte Sacellae freigelegt. Daraufhin haben sie das Forum genau erforscht - und dabei einiges über das - damals recht weltliche - Treiben in der Basilica herausgefunden.

Von Peter Meisenberg | 11.09.2009
    "Vor zwei Jahren haben wir hier, zwischen der Via Sacra und den Portiken der Basilica Aemilia, einen Streifen freigelegt, und was hier rauskam, sind sogenannte 'kleine Heiligtümer', sogenannte Sacellae, und zwar elf an der Zahl."

    Klaus Stefan Freyberger ist wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom. Fünf Jahre hat er mit seinem Team aus Architekten, Computerfachleuten, Zeichnern und Fotografen das Forum neu erforscht und vermessen. Ein Schwerpunkt der Arbeit lag auf der im zweiten vorchristlichen Jahrhundert erbauten Basilica Aemilia am Südrand des Forums: ein zweistöckiger Profanbau von enormen Ausmaßen, 90 Meter lang, 30 Meter breit, 23 Meter hoch. Obwohl er als Gerichtssaal, als Bank und als Verkaufsraum für Luxusartikel diente, hatte man offenbar die nun neu entdeckten Sakralstätten unmittelbar vor den Eingängen des Gebäudes immer erhalten.

    "Diese elf Sacellae, die wir haben, sind alle kleine Rechtecke. Der Eingang lag auf der Schmalseite. Und auf der gegenüberliegenden Schmalseite, da befand sich dann das Kultbild beziehungsweise das Idol. Und diese Heiligtümer, die gehen alle auf eine sehr, sehr lange Tradition zurück. Sie wurden immer wieder restauriert, erneuert, auch mit Marmor, und hatten offenbar einen hohen Stellen- und Erinnerungswert inne - bis in die Spätantike."

    Die Tatsache, dass sich die italienische Börse seit 1878 im 145 nach Christus erbauten Hadrianstempel befindet, ist möglicherweise einer auf dem antiken Forum Romanum gegründeten Tradition zu verdanken, nach der fiskalische, politische und religiöse Funktionen auf engste nebeneinander her existierten, sich teilweise sogar miteinander verschränkten.

    "Das ist eben ein ganz großer Unterschied zum heutigen Leben. Der profane Bereich, das heißt, die Politik oder der wirtschaftliche Bereich, war immer auch mit dem Sakralen aufs Engste verknüpft. Das kann man auch an den Heiligtümern selber feststellen, zum Beispiel im Podium des Tempels der Dioscuren, den wir direkt vor uns haben: Da befanden sich Bankdepots und im Tempel des Saturn, da war der Staatsschatz. Da zeigt sich sehr schön diese enge Verknüpfung von sakraler und wirtschaftlicher Funktion, und das haben wir bei sehr vielen Heiligtümern."

    Im Jahr 238 nach Christus brannte die Basilica Aemilia zwar ab, doch verschonte der Brand offenbar ihren Marmorfußboden. So konnte der Archäologe hier ebenfalls einige aufschlussreiche Neuentdeckungen machen, nachdem er die schützende Kiesschicht vom Boden entfernt hatte.

    Und da gibt es Brandspuren, und zwar Erosionsspuren von Metall und Silber, aber auch Spuren von verbranntem Holz. Und interessant ist, dass man diese Spuren durchgehend findet in den Seitenschiffen, im Mittelschiff überhaupt nicht. Und dann kann man diese Spuren auch immer zwischen den Säulen rundum feststellen. Und da standen offenbar die Tische der Geldwechsler, die aus Holz waren. Und genau aus diesen Spuren selbst, wie sie hier auf dem Pflasterboden noch vorhanden sind, da kann man einen Teil des Inventars rekonstruieren.

    Die Rekonstruktion des Gebäudeinneren legt den Schluss nahe, dass nur der mittlere und größere Trakt des dreischiffigen Gebäudes frei von Inventar war und vor allem als Gerichtsraum benutzt wurde. Das belegt auch eine weitere Neuentdeckung Freybergers: An der Südseite der Basilica konnte er den Standort einer Wasseruhr ausmachen, mit der die Dauer der Verhandlungen angezeigt wurde. In den beiden Seitenschiffen der Basilica Aemilia dagegen wurden handfestere Geschäfte, eben Wechsel- und Bankgeschäfte, abgewickelt. Allerdings wohl auch solche der nicht ganz feinen Art. Denn neben den Brandspuren fand Freyberger auch seltsame Einritzungen im Marmorboden.

    "Das waren Ritzlinien mit so kreisförmigen Vertiefungen im Boden - und das sind Glücksspiele, die wir in der Basilica haben, dann auf der Südseite auf den Treppenstufen. Und diese sogenannten Spiele, diese eingeritzten, haben wir auch in großer Anzahl auf der gegenüberliegenden Basilica Julia. Sie sehen, die monetäre Funktion ist hier offensichtlich in allen Bereichen vorhanden. Und wir nehmen sogar an, dass diese Ritzlinien oder diese Spiele hier innen systematisch zwischen den Säulen angebracht waren, dass es sich sogar um organisierte Glücksspiele gehandelt hat."

    Den heutigen Beobachter der Finanzmärkte wird es kaum verwundern, dass im Finanzzentrum der damaligen Welt professionell gezockt wurde. Erstaunlich ist an Freybergers Entdeckung allerdings, dass für das gewöhnliche Volk im Alten Rom sämtliche Glücksspiele verboten waren, weil sie den Charakter schwächten.

    Wer heute in der Basilica Aemilia steht, befindet sich im Freien. Vom früheren Prachtbau sind nur drei Reihen von Säulenstümpfen und ein paar Reliefs übrig geblieben, die in antiker Zeit als Wandschmuck dienten. Und auch daraus weiß der Archäologe Schlüsse zu ziehen, nämlich solche, die für alle Bauten und Funktionen des antiken Forum Romanum zutreffen: Immer war man penibel darauf bedacht, die Tradition nicht nur zu bewahren, sondern sich unmittelbar darauf zu beziehen und das nicht nur aus Gründen sentimentaler Traditionspflege.

    "Wenn Sie hier gegenüberschauen, ist der Fries der Basilica Aemilia, in Wirklichkeit sind es einzelne Reliefs, die die Geschichte Roms von den mythischen Anfängen erzählen, also aus der Zeit des Romulus bis zur Zeit des Augustus, bis zum Goldenen Zeitalter. Das ist natürlich eine ganz raffinierte Geschichte gewesen. Hier wird die Vergangenheit instrumentalisiert, um den Jetztzustand, also das Goldene Zeitalter, die Zeit, in der Augustus herrschte, entsprechend vorzukehren - und das ist der Höhepunkt der römischen Geschichte schlechthin. Aber zugleich wird natürlich darauf hingewiesen, dass Augustus und seine Leute … in welche Reihe berühmter Leute sie sich eingliedern können."